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Russland
Sanktionen – Aus für Russlands Außenhandel?

Russland Hafen
© picture alliance/dpa | Yuri Smityuk

Das westliche Sanktionsregime schadet Europa mehr als Russland, hieß es aus den Kreisen kremltreuer Medien im Sommer 2022. Damals hatte die Unsicherheit auf den Energiemärkten sowie die durch russische Einflussnahme reduzierte Verfügbarkeit an Energieträgern – allen voran Gas – zu deutlichen Preissteigerungen bei den europäischen Verbrauchern geführt. Somit konnte Russland zunächst von den hohen Preisen profitieren und seine Gewinne aus dem Energiegeschäft im Jahr 2022 trotz verringerten Volumens sogar um etwa 28 Prozent steigern. Diese Entwicklung war allerdings nur von kurzer Dauer. Denn zunehmend greifen die wirtschaftlichen Sanktionen der westlichen Industrienationen gegen die russische Rohstoffexportpolitik. Die Resultate können sich sehen lassen!

Russische Exportwirtschaft

Um die tatsächlichen Auswirkungen bemessen zu können, gilt es allerdings zunächst den wirtschaftlichen Trend Russlands vor dem völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine zu erörtern. Auf dieser Basis kann man dann die Veränderungen erahnen, die sich im Zuge des Krieges und den in der Folge verhängten Sanktionen und sonstigen Maßnahmen eingestellt haben. In der vergangenen Dekade hatte das Exportgeschäft durchschnittlich zwischen einem Viertel und einem Drittel der russischen Gesamtwirtschaft ausgemacht. Zuletzt hatte Russland Waren und Dienstleistungen mit einem Gegenwert von rund 484 Mrd. US$ exportiert – dem standen Importe in Höhe von etwa 271 Mrd. US$ entgegen. Dadurch war Russland vor dem Krieg in der Ukraine ein Nettoexporteur. Besonders starke Exportbeziehungen hatte Russland mit China, den Niederlanden, Deutschland, der Türkei und Belarus. Dabei fällt auf, dass die russischen Exporte nach China mit einem Exportvolumen von ca. 70 Mrd. US$ der unangefochtene Spitzenreiter unter den russischen Exportpartnern sind; das entspricht in etwa dem Wert des zweiten und dritten Platzes – den Niederlanden und Deutschland – zusammen.

Russische Handelsgüter

Russland hatte dabei in der Vergangenheit in erster Linie mit Rohstoffen gehandelt – allen voran mit fossilen Produkten wie Rohöl, raffiniertem Öl, Erdgas und Kohle. Diese machten etwa 60 Prozent des gesamten Exportwerts aus. Aber jenseits davon handelte Russland auch mit Edelmetallen wie Gold und Platin. Außerdem haben auch Eisen und Stahl eine wichtige, wenn auch abnehmende Rolle in Russlands Exportvolumen eingenommen. Eine politisch enorm bedeutsame, ökonomisch in der Vergangenheit allerdings häufig übersehene Exportfunktion Russlands liegt außerdem im Agrarhandel. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der Handel mit Weizen, aber auch Stickstoffdünger – in beiden Gütern ist Russland jeweils der weltweit größte Exporteur. Dabei ermöglicht diese Gütergruppe, insbesondere im Verhältnis zu den Regierungen im teilweise von Hungersnöten geplagten Globalen Süden, ein besonderes Einfallstor für russische Einflussnahme in die politischen Geschicke der betroffenen Länder. Die Industrienationen des Westens, aber auch China und Indien, hatten es indes besonders auf die russischen Energierohstoffe abgesehen.

Russische Handelsinfrastruktur

Besonders Erdgas, aber auch Erdöl, sind für den Transport von einer komplexen Infrastruktur abhängig. Diese Infrastruktur wurde seit der Zeit der Sowjetunion entwickelt und zunehmend größer skaliert, um somit wirtschaftliches Umschlagsvolumen zum einen, aber auch politische Einflussnahme zum anderen zu steigern und auszubauen. So belegen Dokumente aus dem Sowjet-Politbüro, dass die Entscheidung, Westdeutschland mit sowjetischem Erdgas zu versorgen, von oberster Stelle getroffen wurde und zum Ausbau der wirtschaftlichen und politischen „Softpower“ im Westen dienen sollte. Wohlgemerkt geschah dies in den Sechziger und Siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Daran hat sich grundsätzlich auch nach dem Fall der Sowjetunion nichts geändert. Das Kalkül blieb dasselbe, und nach und nach wurde eine immer komplexere Handelsinfrastruktur etabliert, die einen konstanten Fluss von Gas und Öl von den Explorationsstätten im Osten zu den Verbrauchern und Handelsumschlagspunkten im Westen ermöglichen sollte. Dies setzte milliardenschwere, langfristig geplante Investitionen in zum Teil unter widrigen Umständen gebaute Pipeline- und Kompressorentwicklungen voraus. Die in Deutschland berechtigterweise umstrittenen und mittlerweile zerstörten Projekte Nordstream I und II sind dabei nur die bekanntesten Beispiele in einer langen Liste von Transportverbindungen zwischen Russland und Europa.

In Richtung Osten wurden die infrastrukturellen Verbindungen während der Sowjetzeit indes eher stiefmütterlich behandelt. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte der Konkurrenzdruck zwischen der Sowjetunion und der Volksrepublik China um die Rolle des Hegemons innerhalb des kommunistischen/sozialistischen Lagers sein. Zwar wurde diese Verbindung in der jüngeren Vergangenheit durch unterschiedliche Projekte gestärkt, das ändert jedoch nichts daran, dass aus russischer Perspektive die Entwicklung der Handelsinfrastruktur gen Osten nach wie vor weit weniger ausgeprägt ist als in Richtung Europas. Folglich sind Russlands Energierohstoff-Exporte nach China nach wie vor hauptsächlich vom Seeweg abhängig. In diesem Zusammenhang kommt den russischen Schwarzmeerhäfen eine bedeutsame Rolle zu – auch sie liegen, von den großen Gas- und Ölvorkommen aus betrachtet, gen Westen. So wurden beispielsweise allein über den Hafen von Novorossiysk in der Vergangenheit etwa zwei Prozent des weltweiten Ölhandels abgewickelt. Aber auch Getreide und andere Produkte russischer Herkunft wurden aus dieser Region exportiert. All das zeigt vor allem eines: Die russischen Exporte sind von einigen wesentlichen Flaschenhälsen abhängig. Diese befinden sich aus einer geographischen Betrachtung vornehmlich im Westen.

Westliche Importsanktionierung

Ein großer Teil der westlichen Abnehmer für russische Exportgüter ist im Rahmen der Wirtschaftssanktionen weggefallen, die als Reaktion auf den russischen Angriff gegen die Ukraine verhängt wurden. Diese gelten auch für russische Kohle und russisches Öl. So wurde aus europäischer Perspektive der Import von russischer Kohle relativ schnell verboten. Auch russisches Rohöl darf innerhalb der EU seit Dezember 2022 nicht mehr vertrieben werden – raffinierten Ölprodukten russischen Ursprungs bleibt das EU-Gebiet seit Februar dieses Jahres versperrt.

Um jedoch auch den Handel zwischen Russland und Drittländern unter europäischer Beteiligung zu sanktionieren, sieht das Reglement der Europäischen Union nun Höchstpreise für russisches Erdöl und Ölderivate vor. Das bedeutet, dass, wenn europäische Reedereien, Raffinerien oder Versicherer weiterhin am Handel zwischen Russland und Drittländern beteiligt sind, Russland nicht mehr als 60 US$ pro Barrel Öl verdienen darf. Zum Vergleich: Das Barrel Rohöl vom Typ Brent wird derzeit auf dem Weltmarkt für knapp 85 US$ gehandelt. Dadurch werden Russland dringend benötigte Devisen vorenthalten, die zur Finanzierung des Angriffskrieges fehlen. Neben der EU beteiligen sich auch die übrigen G7-Nationen und Australien an dieser Maßnahme. Die Maßnahmen entfalten zunehmend ihre Wirkung. Demnach haben sich die russischen Einnahmen aus dem Ölgeschäft verglichen mit den Vorjahreswerten seit Anfang dieses Jahres beinahe halbiert – so das russische Wirtschaftsministerium. Dieser besonders hohe Rückgang dürfte allerdings auch auf die außergewöhnliche Einnahmesteigerung im Vorjahr zurückgehen. In jedem Fall steht aber fest: Für Russland, die drittgrößte Ölfördernation der Welt, hat diese Entwicklung natürlich einen maßgeblichen Effekt auf den öffentlichen Haushalt.

Allerdings gilt es in diesem Zusammenhang auch Betrug und Schmuggel zu verhindern. Beispielsweise steht der Vorwurf im Raum, dass indische Händler versuchten, die Sanktionen der G7-Nationen durch den verschleierten Handel mit russischen Ölprodukten zu umgehen. In Bezug darauf werden bereits weitere Maßnahmen zur Sanktionsfluchtbekämpfung geprüft.

Verbliebene Handelspartner

Trotz allem besteht natürlich auch weiterhin ein Handelsaustausch zwischen Russland und einer Vielzahl an Nationen, die sich nicht am westlichen Sanktionsregime beteiligen. Allen voran steht nach wie vor China. Tatsächlich spielen die Sanktionen dem energiehungrigen Reich der Mitte vermutlich sogar in die Karten. Denn unter den neuen Bedingungen können chinesische Unternehmen nun zu günstigeren Konditionen die vom Westen geschmähten Öl- und Kohleressourcen erstehen. Allerdings führt auch das dazu, dass Russland geringere Gewinne aus dem Energiegeschäft verbuchen kann und somit auf dringlich benötigte Zahlungsströme verzichten muss.

Ukrainische Seestreitkräfte

Während des Augusts dieses Jahres wurden, neben einer Unzahl von mehr oder weniger erfolgreichen Drohnenangriffen auf militärische Transportinfrastruktur Russlands, gleich zwei russische Schiffe empfindlich getroffen: ein Landungsboot der russischen Schwarzmeerflotte und ein militärisch genutzter Tanker, der mit US-Sanktionen belegt ist und sowohl zur Versorgung der russischen Luftwaffe in Syrien als auch zur Sanktionsumgehung genutzt wurde. Beide Ziele wurden aus einer Entfernung von weit über 500 Kilometern mit Seedrohnen aus ukrainischer Entwicklung angegriffen – der wahrscheinliche Ursprung der Drohnen lag im ukrainisch kontrollierten Küstengebiet. Daraus lässt sich vermuten, dass die ukrainischen Streitkräfte möglicherweise in der Lage sind, nahezu im gesamten Schwarzmeerraum zu operieren. Das wiederum hätte bedeutende politische Implikationen.

Der Blick auf die Karte

Dass die Ukraine, eine Nation praktisch ohne konventionelle Marine, zu derartigen Schlägen in der Lage ist, ist schon bemerkenswert genug. Die möglichen Auswirkungen dieses Schrittes werden jedoch erst ersichtlich, wenn man einen Blick auf russische Energieinfrastrukturkarten wirft. Hier macht sich wieder die oben beschriebene Westorientierung der russischen Exportinfrastruktur bemerkbar. Als Ergebnis könnte nun der Handelsverkehr über die Schwarzmeerhäfen weiter eingeschränkt werden – denn die Preise für Schiffsversicherungspolicen könnten unter diesen Umständen auch die Seeroute unwirtschaftlich werden lassen. Angesichts der wenigen, ganzjährig eisfreien Seehäfen, die Russland zur Verfügung stehen, ist die Bedeutung dieser Entwicklung schwer zu überschätzen – durch die geringen Ausweichmöglichkeiten, die die starre Pipelineinfrastruktur ermöglicht, könnten diese Effekte zusätzlich verstärkt werden. Diese neue Situation könnte also den russischen Außenhandel langfristig auch mit Nationen erschweren, die bisher den Warenverkehr aufrechterhalten hatten.

Was bedeutet das?

Sollte sich der Absatz von russischem Öl aus den Schwarzmeerhäfen tatsächlich deutlich verringern, würde das den Bedarf an Öl aus der besagten Pipelineinfrastruktur schmälern. Diese ist jedoch auf eine gewisse Mindestauslastung ausgelegt – andernfalls droht der Wasseranteil im Rohöl bei den Temperaturen des russischen Winters zu gefrieren, was wiederum die Pipelineinfrastruktur nachhaltig beschädigen könnte. Somit könnten die Erlöse aus dem russischen Ölgeschäft nicht nur kurzfristig zurückgehen, sondern es droht tatsächlich die langfristige Zerstörung eines wesentlichen Wirtschaftszweigs der Russischen Föderation.

Das könnte auch das interne Machtgefüge ins Wanken bringen, denn besonders die Oligarchenelite hat in der Vergangenheit vom Geschäft mit Energieträgern profitiert. Obgleich dieser enge Kreis der Kremlgünstlingen längst auch in andere Geschäftsfelder investiert ist, sind die Einnahmen aus dem Öl- und Gashandel nach wie vor das Lebensblut der russischen Kleptokratie. Sollte diese Einkommensquelle nun zu kippen drohen, könnte das eine gewaltige politische Erschütterung für den russischen Machtapparat bedeuten – die Auswirkungen könnten also erheblich sein!

Außenpolitisches Kapital

Auch außenpolitisch können diese Entwicklungen bedeutende Folgen haben. Nationen wie Indien und China haben sich in der Vergangenheit aus geopolitischen und vor allem wirtschaftlichen Gründen in ihrer Bewertung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine eher bedeckt gehalten. Ein wichtiger Grund hierfür dürfte der beschriebene, deutlich günstigere Zugang zu russischen Energieträgern sein. Sollte dieser Aspekt nun aufgrund einer de facto Hafenblockade durch ukrainische Seedrohnen wegfallen, dürften auch wichtige politische Argumente zugunsten Russlands wegfallen. Das dürfte den außenpolitischen Druck auf Russland deutlich erhöhen. Somit könnte sich Russland noch tiefer in eine geopolitische Sackgasse manövriert haben.