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Wahlen auf den Philippinen
Geister der Vergangenheit: Der Sohn des verstorbenen Diktators wird neuer Präsident der Philippinen

Ferdinand Marcos Jr.

Laut vorläufigem Ergebnis der philippinischen Präsidentschaftswahl hat Ferdinand Marcos junior deutlich gewonnen

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Aaron Favila

Am 9. Mai 2022 gaben 67,5 Millionen registrierte philippinische Wähler ihre Stimme ab und entschieden mit der Wahl eines neuen Präsidenten über die Zukunft ihres Landes: Mit fast 60 Prozent der Stimmen ist Ferdinand "Bongbong" Marcos Jr. zum nächsten Staatschef des südostasiatischen Landes gewählt worden. Er ist kein Geringerer als der Sohn des verstorbenen Diktators Ferdinand Marcos Sr., der die Philippinen fast zwei Jahrzehnte lang brutal unter Kriegsrecht regierte. Marcos' schärfste Konkurrentin, Vizepräsidentin Leni Robredo, eine Menschenrechtsanwältin deren transparente Politik internationale Auszeichnungen erhielt, erreichte weniger als 30 Prozent der abgegebenen Stimmen auf den über 7.000 Inseln des Inselstaates sowie in rund 70 Ländern im Ausland, in denen wahlberechtigte und registrierte Filipinos leben.

Wahltag: technische Probleme, lange Warteschlangen und tödliche Anschläge

Der Wahltag selbst wurde mit Spannung erwartet, doch schon wurden über technische Probleme und Unregelmäßigkeiten berichtet. Die Wähler mussten oft drei Stunden in der Schlange warten, weil defekte Wahlmaschinen den Wahlvorgang durch Papierstaus, zurückgewiesene Stimmzettel, unleserliche Ausdrucke oder defekte Maschinenteile verzögerten. Die eigentliche Stimmabgabe beinhaltete zahlreiche Schritte: Nach Überprüfung der Identität der Wähler und Korrektheit der Stimmzettel hing ein reibungsloser Ablauf stark vom problemlosen Funktionieren der jeweiligen Wahlmaschinen ab. So musste sich sogar die noch amtierende Vizepräsidentin und Zweitplatzierte Leni Robredo zwei Stunden lang anstellen, um ihre Stimme abgeben zu können. Doch die defekten Wahlmaschinen stellten nicht nur die Geduld der Wähler bei ihrer Stimmzettelabgabe auf die Probe. Aufgrund der technischen Probleme wurden die Wähler auch ermutigt, ihre ausgefüllten Stimmzettel einfach in den Wahllokalen liegen zu lassen. Diese würden dann zu einem späteren Zeitpunkt gescannt werden, sobald die technischen Probleme der defekten Maschinen behoben waren, hieß es. Ein Verfahren, das für Wahlbetrug geradezu prädestiniert ist und im Gegensatz zum offiziellen Verfahren steht: Eine individuelle und automatisch erstellte Wahlübersicht muss vom Wähler nach der Stimmabgabe gegengeprüft werden. Zu diesem Zeitpunkt hat der Wähler das Recht und die Möglichkeit, die korrekte Auszählung seiner Stimmen anzuzweifeln und anzufechten. Neben technischen Problemen und langen Warteschlangen überschatteten einige wenige, aber nicht weniger gewalttätige Anschläge mit mindestens vier Toten und rund einem Dutzend Verletzten den Wahltag.

Revidierung der Geschichte, um an die Macht zu kommen

Nur wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale zeigten die vorläufigen Ergebnisse bereits einen Erdrutschsieg von Ferdinand "Bongbong" Marcos, auf den fast 60 Prozent der Stimmen entfielen. Damit erreichte er die absolute Mehrheit, ein Ergebnis, das auch in offiziellen Umfragen vor den Wahlen vorhergesagt wurde. Leni Robredo, die mit einer wesentlich geringeren Zustimmung als Marcos in den Wahlkampf gezogen war, gewann in den Wochen vor den Wahlen eine beachtliche Zahl von Anhängern. Am Ende stimmten jedoch weniger als 30 Prozent der Filipinos für sie. Der Ausgang des Rennens zwischen Marcos Jr. und Leni Robredo war bei den Vizepräsidentschaftswahlen 2016 ein ganz anderer: Marcos Jr. verlor mit knapp 250.000 Stimmen gegen Robredo. Seitdem hat seine Familie stark in eine Desinformationskampagne vorwiegend auf den sozialen Medien investiert, um das Bild des Marcos-Clans als "goldene Ära" zu verherrlichen. Auf diese Weise revidierten sie die brutale Diktatur des verstorbenen Marcos Sr., in deren Verlauf laut Amnesty International über 100.000 Filipinos verfolgt, gefoltert oder getötet wurden. Mit einem Durchschnittsalter von 26 Jahren hatten rund 50 Prozent der philippinischen Wähler die Diktatur des Vaters von „Bongbong“ Marcos Jr. nicht selbst erlebt. Jeder Filipino verbringt im Durchschnitt vier Stunden pro Tag in den sozialen Medien, und die Unerfahrenheit bei der Überprüfung von Fakten und Informationen, die online gefunden und konsumiert werden, machte die jungen Wähler besonders empfänglich für die vom Marcos-Clan verbreiteten Falschinformationen.

Die unklare politische Zukunft unter Ferdinand "Bongbong" Marcos Jr.

Während des Wahlkampfs blieb "Bongbong" Marcos wiederholt den im Fernsehen ausgestrahlten Präsidentschaftsdebatten fern und nahm nicht an Pressekonferenzen teil, es sei denn, sie wurden von seinem Lager organisiert, um zu kontrollieren, welche Journalisten und Medienvertreter eingeladen wurden. Damit wollte er sowohl unbequemen Fragen aus dem Weg gehen als auch die falschen Erzählungen über die Geschichte seiner Familie bestmöglich verbreiten. Außer seiner Behauptung, ein "vereinigender Präsident" zu sein, hat er sich im Wahlkampf nicht durch weitere Wahlversprechen positioniert. So kann über seine zukünftige Politik zum jetzigen Zeitpunkt nur spekuliert werden. Sicher ist, dass "Bongbong" Marcos die Rechtsstaatlichkeit weiter untergraben wird, um an das unrechtmäßig erworbene Vermögen der Familie zu gelangen und die gegen ihn erhobenen Steuerschulden abzuweisen. Letztere waren am Wahltag noch nicht geklärt und könnten ihn im Falle eines Schuldspruchs letztendlich für das Amt des Präsidenten disqualifizieren. Auch die Rede- und Pressefreiheit wird weiter eingeschränkt werden, damit die Familie die Diktatur von Marcos Sr., der die Philippinen bis 1986 unter Kriegsrecht regierte, weiter beschönigen kann.

Die Präsidentschaftswahlen auf den Philippinen fanden zu einem Zeitpunkt statt, zu dem das Land dringend eine gute Führungspersönlichkeit braucht. Mit einer Armutsquote von rund 25 Prozent hat eine der härtesten und längsten Lockdowns weltweit im Zuge der Covid Pandemie das Land und seine Wirtschaft stark getroffen: Die Schließung der Landesgrenzen hatte schwerwiegende Auswirkungen auf den Tourismus, von dem der Inselstaat so abhängig ist. Darüber hinaus wird sich ein fast zweijähriger Unterrichtsausfall an Schulen noch wesentlich länger auf viele Wirtschaftszweige auswirken. Viele Sektoren sind auf die guten Englischkenntnisse der Filipinos angewiesen, unter anderem das Business Process Outsourcing (BPO) oder das Gesundheitswesen in Übersee. Der Sohn eines verstorbenen Diktators scheint nicht der richtige Problemlöser für die zahlreichen Probleme der Philippinen zu sein. Von der neu gewählten Vizepräsidentin wird kaum Unterstützung zur Linderung der Schwierigkeiten kommen: Sara Duterte, Tochter des noch amtierenden populistischen Präsidenten Rodrigo Duterte, erhielt bei den Wahlen am 9. Mai rund 60 Prozent der Stimmen. Sie ist für eine ähnlich strenge und harte Politik wie ihr Vater bekannt, für die Präsident Duterte berüchtigt ist.

Die Liberalen des Landes hofften bis zum Wahltag, dass die Umfragen doch noch unrecht haben könnten. Bei der Abschlusskundgebung von Leni Robredo kamen am Ende des Wahlkampfes eine Ansammlung von über 700.000 Unterstützer zusammen. Robredos Kampagne entwickelte sich zu einer noch nie dagewesenen Bewegung von Freiwilligen, die unter dem Motto "radikale Liebe" Empathie, Bescheidenheit und gegenseitiges Verständnis betonte. Doch die wenigen Monate seit der Ankündigung ihrer Präsidentschaftskandidatur im Oktober 2021 reichten nicht aus, um gegen eine Desinformationskampagne anzugehen, die seit Jahren geplant und ausgeklügelt worden war. In ihrer ersten Erklärung nach Abschluss der Wahlen machte die unterlegene Präsidentschaftskandidatin ihren Anhängern Mut und richtete auch einen klaren Appell an die neu gewählte Regierung: "Wir haben einen Anfang gemacht, den es in der gesamten Geschichte des Landes noch nie gegeben hat. Eine Kampagne, die vom Volk geführt wird. Eine Bewegung, die sich nicht nur gebildet hat, um das alte und verrottete System abzusetzen, sondern um einen wirklichen und positiven Wandel herbeizuführen. ... Wir sind noch nicht fertig. Wir stehen erst am Anfang." Mit einer Amtszeit von sechs Jahren werden die Philippinen 2028 erneut einen neuen Präsidenten wählen - genug Zeit für Leni Robredo und ihre Unterstützer, ihre Bewegung fortzusetzen und zu einer noch stärkeren Opposition zu werden.

 

*Rebecca Zistel leitet das FNF Büro in Manila