Kinderrechte
Duterte-Gegnerinnen feiern „historische“ Gesetzesänderung in den Philippinen
Mit einer Gesetzesnovelle zur sexuellen Mündigkeit von Kindern haben zwei der prominentesten Gegnerinnen von Präsident Duterte die Mehrheit im philippinischen Senat hinter sich versammelt. Demnach soll Sex mit bis zu 16-jährigen per se als Vergewaltigung gelten – bisher liegt die Altersgrenze bei gerade zwölf Jahren.
Mit nur einer Enthaltung hat der philippinische Senat fast einhellig einer Gesetzesänderung zugestimmt, die Kinder und Minderjährige besser vor sexuellen Übergriffen schützen soll. Sie sieht vor, dass das Alter der sexuellen Mündigkeit in den Philippinen noch vor der anstehenden Wahl im Mai 2022 auf 16 Jahre angehoben werden soll. Bislang liegt die Altersgrenze bei zwölf Jahren – demnach wäre Sex mit einem Kind ab diesem Alter vor dem Gesetz keine Vergewaltigung und nicht mehr strafbar.
Zu verdanken ist der neue Gesetzespassus nicht dem Präsidenten Rodrigo Duterte, der sich für seinen sogenannten „Anti-Drogenkrieg“ Untersuchungen des Internationalen Strafgerichtshofs wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausgesetzt sieht. Die Kinderrechts-Änderung ist von seinen beiden schärfsten Gegnerinnen aus der Opposition vorangetrieben worden: Den Senatorinnen Leila de Lima, ehemalige Vorstandsvorsitzende der Menschenrechtskommission auf den Philippinen und seit 2017 in Haft, und Risa Hontiveros. Hontiveros setzt sich schon lange für die Belange von Frauen und Kindern ein. Sie nannte die geplante Gesetzesänderung „historisch“. Dutertes Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung geißelt sie seit Jahren öffentlich und ruft die internationale Gemeinschaft dazu auf, sich den Menschenrechtsverbrechen entgegen zu stellen. Ihrem Einsatz ist es zu verdanken, dass fast alle politischen Hürden für die Gesetzesänderung zum Wohle der Kinder überwunden werden konnten. Duterte muss nach einem jahrelangen Prozess nur noch unterschreiben – und könnte den Fortschritt ohne Eigenverdienst für seine Amtszeit verbuchen.
Die sexuelle Ausbeutung von Kindern ist in vielen Ländern Südostasiens – trotz jahrzehntelanger internationaler Anstrengungen – ein großes Problem. Obwohl die meisten Übergriffe Studien zufolge im familiären Kontext passieren, trägt auch die Verbreitung des Internets dazu bei: Täter können mit Minderjährigen in Chats anonym Kontakt aufnehmen und sich auch untereinander vernetzen. Hinzu kommt der globale Tourismus. In Ländern wie den Philippinen, Thailand, aber auch Kambodscha und Laos grassierte in der vor-pandemischen Zeit der „Sex-Tourismus“, in den Rotlichtbezirken sind auch Minderjährige anzutreffen. Vor allem in den armen Gegenden sind sie einem höheren Risiko der sexuellen Ausbeutung ausgesetzt.
Auch laxe Gesetzgebung trägt dazu bei: Mit der Altersgrenze zu sexueller Mündigkeit von zwölf Jahren bilden die Philippinen in Südostasien bisher das traurige Schlusslicht. In Kambodscha beispielsweise gelten bereits seit Jahrzehnten Minderjährige erst ab 15 Jahren als sexuell mündig, ebenso wie in Indonesien, obwohl dort noch das Problem der Kinderehen bestehen bleibt. In Deutschland liegt die absolute Schutzgrenze bei 14 Jahren.
Kritiker fordern schon lange, die Altersvorgabe auch in den Philippinen heraufzusetzen. Sie verweisen auf Studien, wonach Kinder dieses Alters noch nicht genug emotionale Reife und Entscheidungsfähigkeit besitzen, um die Auswirkungen ihres Handelns – etwa der Zustimmung zum Geschlechtsverkehr – abwägen zu können. Sie lassen sich schneller überreden oder unter Druck setzen. Diese Erlebnisse können bei ihnen jedoch vermehrt zu einem Trauma führen und sie in ihrem ganzen weiteren Leben negativ belasten. Außerdem stehe das Alter zur sexuellen Mündigkeit im starken Kontrast zu anderen rechtlichen Zubilligungen, kritisiert UNICEF. So könnten Minderjährige ohne die Zustimmung ihrer Eltern keine HIV-Tests machen, geschweige denn einen Vertrag abschließen oder wählen.
Opfer konnten nur Frauen sein
Die hochgesetzte Altersfrist ist jedoch nur ein Teil der Gesetzesänderungen. In der neuen Version wird auch die vorherige Festlegung aufgehoben, wonach es sich bei dem Täter nur um einen Mann handeln kann und bei dem Opfer nur um eine Frau. Stattdessen steht dort nun: Person. Das ist einer Studie des Council for the Welfare of Children (CWC) zufolge auch näher an der Realität: Demnach berichten mehr Jungen als Mädchen von sexueller Gewalt gegen sie. Fast jedes fünfte Kind im Alter zwischen 13 und 17 hat das demnach schon erlebt. Straffrei soll allerdings bleiben, wenn zwei etwa Gleichaltrige miteinander Sex haben. Bei einem Mindestalter von 13 Jahren wird sexueller Kontakt mit jemandem, der nicht mehr als drei Jahre älter ist als seine Partnerin oder Partner, nicht belangt – die sogenannte „sweetheart Verteidigung“.
Andere Probleme kann das neue Gesetz nur schwer lösen: etwa die hohe Rate der Schwangerschaften von Minderjährigen in den Philippinen. 2019 waren bei 47 von 1000 Geburten die Mütter gerade zwischen 15 und 19 Jahren alt. Das liegt über dem globalen Durchschnitt von 44 und weit über dem Durchschnitt im regionalen Staatenbund ASEAN (33,5). In mehr als 70 Prozent der Fälle waren die Sexpartner älter als 21 Jahre. Doch gibt es für Minderjährige ohne Zustimmung der Eltern keine Möglichkeit, an Verhütung zu kommen. Abtreibungen sind in dem mehrheitlich katholischen Land in jedem Fall verboten und zudem noch stigmatisiert.
Durch die Diskussion um das Alter der sexuellen Mündigkeit und Ausbeutung Minderjähriger kommen auch alte Fälle wieder an das Licht der Öffentlichkeit. So erinnert die Redaktion der „Straits Times“ an einen Fall von 1997. Damals war der philippinische Politiker Romeo Jalosjos Sr wegen Vergewaltigung einer 11-Jährigen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Noch während seiner Haftzeit konnte der Kongressabgeordnete Wahlen gewinnen, nach zwei Jahren setzte man ihn wieder auf freien Fuß. Bis heute tritt er als Geschäftsmann und Politiker in der Öffentlichkeit auf. Er gilt der Zeitung zufolge als großer Unterstützer der Bürgermeisterin von Davao, die in den Umfragen zur Präsidentschaft 2022 weit vorne liegt: Sara Duterte, Tochter des amtierenden Präsidenten.
Vanessa Steinmetz ist Projektassistentin im Regionalbüro SOOA in Bangkok.
Mitarbeit: Jose Augusto Caedo und Ainara Fabregas