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Georgien
Pro-EU trotz Ablehnung westlicher Werte

Wie die georgische Regierung sich selbst widerspricht
EU-Flagge und LGBTQ-Flagge in Georgien
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Zurab Tsertsvadze

Die große Mehrheit der Georgierinnen und Georgier spricht sich für den Beitritt ihres Landes in die EU aus, doch das Regierungshandeln steht zuweilen im Widerspruch zum Wunsch der Bevölkerung.   So wird die georgische Regierung unter ihrem Ministerpräsidenten Irakli Gharibashvili nicht müde zu betonen, dass der Westen Georgien mit sogenannter „LGBTQ-Propaganda“ angreift. Doch viele Menschen im Land haben andere Sorgen. Sie befürchten, dass Georgien aufgrund von Reform-Defiziten erneut den EU-Kandidatenstatus nicht erreicht. In dieser Zeit zeigt ein Baptistenpfarrer der georgischen Regierung, dass es auch anders gehen kann. Der Geistliche beweist eindrucksvoll, dass Religion und der Einsatz für die Rechte sexueller Minderheiten sich nicht ausschließen.

In den vergangenen Monaten hat die georgische Regierung immer wieder für internationale Schlagzeilen gesorgt, als sie mit anti-westlicher Propaganda auf sich aufmerksam machte, die den großen Nachbarn Russland in nichts nachzustehen scheint. So wollte sie Anfang März ein sogenanntes „Agentengesetz“ auf den Weg bringen, das die Gängelung von aus dem Ausland finanzierten NGOs und Medien zur Folge gehabt hätte. Zwar wurde das geplante Gesetz zurückgezogen, jedoch hat sich das fragwürdige Agieren der georgischen Regierung gegenüber dem Westen nicht verändert. Die Begriffe „ausländische Agenten“, „LGBTQ-Propaganda“ oder auch „radikale Opposition“ könnten aus dem Mund Vladimir Putins stammen, sind aber Teil des Standardrepertoires der georgischen Regierung, um die politischen Mitbewerber zu diskreditieren.

Für besondere Aufregung sorgte die Regierung in Tiflis, als sie sich über vermeintliche „LGBTQI-Propaganda“ echauffiert hatte. Hintergrund: Mit dem Erwerb eines Happy Meals der US-amerikanischen Fastfoodkette McDonalds erhielten die Kunden ein Heft mit einem Bericht über das Leben des offen Homosexuell lebenden Musikers Elton John; eine reine Werbemaßnahme. Der Sprecher der Regierungsfraktion Mamuka Mdinaradze nannte das Heft „widerlich“ und warf der Fastfoodkette die Sexualisierung von Kleinkindern vor.  Kurioserweise ging es in dem besagten Heft gar nicht um sexuelle Minderheiten; es wurde lediglich darin erwähnt, dass der Popmusiker mit seinem Partner eine Familie gegründet hat. Dass ein nebensächlicher Satz bereits für so viel Furore sorgt, zeigt, dass es um westliche Werte innerhalb der georgischen Regierung nicht gut bestellt ist. Vor dem Hintergrund, dass in Umfragen 75% der Georgier der gleichgeschlechtlichen Ehe eher skeptisch gegenüberstehen, bietet sich das Thema für Stimmungsmache gegen den Westen an und wird damit gleichzeitig für Regierungszwecke instrumentalisiert. In einem sehr christlichen Land kann sie dabei auf die Unterstützung der orthodoxen Staatskirche bauen.

Umso verwunderlicher ist es, dass die georgische Regierung trotz ihrer ablehnenden Haltung westlicher Werte einen EU-Beitritt befürwortet. Die Gefahr besteht, dass die EU sich neben Polen und Ungarn mit Georgien ein drittes Sorgenkind ins Haus holen könnte.

Ein besonderer Dorn im Auge konservativer Kreise ist ein Pfarrer, der in den letzten Jahren immer mal wieder für Aufruhr gesorgt. Sein Name ist Malkhaz Songulashivili, und seine Meinung zu LGBTQI-Rechten weicht ab vom Standpunkt der orthodoxen Kirche in Georgien. In der Vergangenheit hatte er öfter auf sich aufmerksam gemacht, indem er Angriffe auf die LGBTQI-Community verurteilte und Vertreter der Kirchen kritisierte, weil diese sich mit gewalttätigen homophoben Demonstranten solidarisierten. Erst am 8. Juli 2023 kam es erneut zu Gewalt anlässlich der Pride Week in Tbilisi. Die Pride-Veranstaltung musste an diesem Tag abgesagt werden und die Teilnehmer mussten den Veranstaltungsort verlassen.

Erstaunlich ist daher, dass sich Malkhaz Songulashivili mit seinem Mut der üblichen Rhetorik widersetzt. Als Pfarrer in dem traditionsbewussten Georgien war es deswegen nur eine Frage der Zeit, bis er selbst zur Zielscheibe wurde. So wurde Ende Dezember 2022 sein Auto von einem Ziegelstein getroffen, worauf die Frontschutzscheibe zu Bruch ging. Ungeachtet dessen trotzt der Pfarrer diesen Einschüchterungsversuchen und beharrt auf seinem eigenen theologischen Standpunkt und äußert seinen Unmut über die vorherrschende Diskriminierung. "Hunderte von Millionen von Menschen werden als LGBT geboren. Ich kann nicht an einen Gott glauben, der einen einzigen Menschen, ohne das Recht zu lieben und geliebt zu werden, erschaffen würde".

Songulashivili wird nicht aufhören, für die Anerkennung von sexuellen Minderheiten zu kämpfen und eine pro-westliche Position zu vertreten, sagt er. Dabei wird er allerdings weiter auf wenig Gegenliebe stoßen bei der aktuellen Regierungspartei Georgischer Traum. Das bisherige Verhalten der Partei spricht nicht dafür, dass Georgien von der Europäischen Union den Kandidatenstatus erhält. Bleibt der Georgische Traum an der Macht, sieht es düster aus für LGBTQI-Rechte in Georgien.

Die FNF Südkaukasus unterstützt die LGBTQI-Community in Georgien unter anderem durch die Zusammenarbeit mit dem Online Queer-Magazin. In diesem Jahr hat sie den Dokumentarfilm „Another House“  herausgebracht, der drei LGBTIQ-Vertreter porträtiert, die Georgien verlassen haben.


Phil Badstieber ist Masterstudent der University of Kent mit dem Fach Peace and Conflict Studies und hat bei der FNF in Tiflis ein Praktikum gemacht.