TTIP: In from the Cold?
Vor einem Jahr brachte Cecilia Malmström die Lage auf den Punkt: "We put TTIP into the freezer!" - so die liberale schwedische Handelskommissarin bei einer Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Hamburg. Sie reagierte damit auf Donald Trumps Schimpftiraden, die nur eine Botschaft enthielten: Freihandel, pfui Teufel - Schluss mit NAFTA, Finger weg von TTIP! Es folgte eine Welle von Drohungen der Amerikaner mit Strafzöllen. Aber zunächst ist nichts geschehen. Nun hat Donald Trump zum zweiten Mal gegenüber der EU die Frist verlängert - bis Ende Mai. Anlass für unseren stellv. Vorstandsvorsitzenden Professor Karl-Heinz Paqué darüber nachzudenken, ob am Ende der transatlantischen Krise nicht doch mehr Freihandel stehen könnte. Paradox, aber denkbar.
Donald Trump macht was er will: erratisch, impulsiv, instinktiv - ein Hipster der Politik, wie ihn Ulf Poschardt treffend bezeichnete. Es kommen dabei manchmal ganz andere (Zwischen-)Ergebnisse heraus, als wir klugen Beobachter erwarten und befürchten. Wer hat schon nach Monaten des Kriegsgetöses, das Trump munter anfachte, den freundschaftlichen Händedruck von Kim und Moon an der Grenze zwischen Süd- und Nordkorea vorhergesagt?
Genauso wenig kann man sich derzeit vorstellen, dass der heraufbeschworene transatlantische Handelskrieg vielleicht gar nicht stattfindet oder in einer Rückwendung zum Freihandel mündet - mit einer Reihe durchaus wünschenswerter Nebeneffekte. Lassen wir doch einfach mal unsere Phantasie spielen. Nehmen wir an, Europa bleibt hart und reagiert nicht auf die amerikanische Drohung mit Strafzöllen - eine hoffentlich realistische Annahme, denn alles andere würde der Welt signalisieren, dass die liberal gesinnte Handelsgroßmacht EU einknickt, sobald nur der Druck von Dritten stark genug wird. Nehmen wir weiter an, Trump macht seine Drohung wahr, und die Europäer reagieren wie angekündigt mit einer WTO-Klage und eigenen Strafzöllen. Es kommt also im Sommer 2018 zur ersten Stufe eines Handelskrieges, vielleicht sogar einer zweiten. Beide Seiten beweisen sich gegenseitig, dass sie es ernst meinen.
Was dann? Ist es nicht plausibel zu vermuten, dass Amerikaner und Europäer sich auf ihre Kerninteressen besinnen würden, und die lauten: besserer Marktzugang auf der jeweils anderen Seite des Atlantiks. Die Amerikaner können dabei das Argument ins Feld führen, dass der Zollschutz im Durchschnitt höher ist als in den USA, was stimmt. Die Europäer können auf Hemmnisse bei der öffentlichen Auftragsvergabe verweisen, was ebenfalls stimmt. Und da sind wir wieder bei dem "alten" ökonomischen Pro und Kontra von TTIP, dem transatlantischen Freihandelsabkommen.
Seit Trump geht es um die Rettung des freien Welthandels, vor Trump ging es nur um seine Weiterentwicklung.
Allerdings mit einem gewaltigen Unterschied zu früher, und der ist politisch: Seit Trump geht es um die Rettung des freien Welthandels, vor Trump ging es nur um seine Weiterentwicklung. Den vielen europäischen TTIP-Gegnern in Deutschland wird drastisch vor Augen geführt, wie kleinkariert die Diskussion um Produktstandards, Intransparenz der Politik und Aushöhlung des Rechtsstaats war, die über Jahre jeden Fortschritt bei TTIP verhinderte - und damit die derzeitige Lage mit verschuldete. Nicht nur den notorischen Nörglern gegen die Globalisierung aus dem linken und grünen politischen Lager, sondern auch der breiten Mitte der Gesellschaft wird dann klar: Es geht um ungeheuer viel. Alle müssen sich bewegen und ängstliche Bedenken zurückstellen. Es kann sehr wohl sein, dass dies die Stimmung gegenüber TTIP hierzulande grundlegend verbessert - und damit den Weg freimacht für wirklich konstruktive Verhandlungen.
Zugegen, das sind derzeit alles Spekulationen. Aber diese sind auch psychologisch wichtig, denn sie machen deutlich: Ein harter Konflikt mit dem Amerika von Donald Trump ist noch kein Weltuntergang, auch noch kein veritabler "Handelskrieg". Er ist vielmehr ein klares Signal, dass alle sich bewegen müssen, denn wir wollen nicht in einer Sackgasse des Protektionismus landen.