Hanau
10-Punkte-Plan für den Kampf gegen Rechtsextremismus

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mahnt dringend überfällige Reformen im Kampf gegen den Rechtsextremismus an
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
© Tobias Koch

Heute vor einem Jahr wurden in Hanau neun Menschen bei einem rassistisch motivierten Attentat ermordet. Wir gedenken heute der Opfer: Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi und Fatih Saraçoğlu. 

Der Anschlag von Hanau war ein Angriff auf unsere offene Gesellschaft, auf unser Land, auf unsere Demokratie. Wenn Menschen mit Migrationshintergrund gezielt ermordet werden, dann ist dies auch die Folge einer gesellschaftlichen Verrohung und der Verharmlosung rechter Gewalt.

Das Hanauer Attentat war der dritte rechtsterroristische Anschlag in Deutschland innerhalb von neun Monaten - nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 1. Juni 2019 und dem Attentat in Halle am 9. Oktober 2019. 

Damals versprachen Politiker fast aller Parteien, den Kampf gegen den Rechtsextremismus zu intensivieren. Doch noch immer ist zu wenig geschehen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mahnt dringend überfällige Reformen an und stellt  zehn Forderungen für den Kampf gegen den Rechtsextremismus. 

 

1. „Schwarmterrorismus“ frühzeitig erkennen und bekämpfen

Rechtsextreme und gewaltbereite Gefährder bilden dynamische Netzwerke, in denen spontan Einzeltäter für terroristische Gewaltakte mobilisiert werden können. Die Sicherheitsbehörden müssen Konzepte entwickeln, um diesen „Schwarmterror“ frühzeitig erkennen und beobachten zu können.

2. Hasskriminalität im Netz nachhaltig bekämpfen

Um rechte Strukturen im digitalen Raum effektiv zu bekämpfen, müssen Polizei und Staatsanwaltschaften mit den notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet werden. Die Verantwortung für Strafverfolgung im Netz muss der Staat übernehmen, keinesfalls darf er die Verantwortung allein den Netzbetreibern überlassen. Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat mit der Gründung des Sonderdezernats "Hate Speech" zur strafrechtlichen Verfolgung von politisch motivierten Hasskommentaren ein Modell etabliert, an dem sich Länder und Behörden orientieren können.

3. Mitglieder rechtsextremer Netzwerke entwaffnen

Eine Mitgliedschaft in rechtsextremistischen Organisationen und Netzwerken muss zwangsläufig zur Entwaffnung und dem Entzug des Waffenscheins führen. Ein besonderes Augenmerk muss auf sog. „Hybridwaffen“ und „Geisterwaffen“ liegen, die mit privaten 3D-Druckern hergestellt werden können.

4. Stärkung der Sicherheitsbehörden gegen Rechtsextremismus und Terrorismus

Sicherheitsbehörden brauchen spezialisierte Abteilungen und Task-Forces zur Überwachung von Rechtsextremisten. Zudem braucht es flächendeckende Zuständigkeiten für antiislamische und antisemitische Straftaten in den Staatsanwaltschaften. Ein verstärkter Fokus auf und eine Sensibilisierung für Rechtsextremismus ist bei der Ausbildung von Polizisten und Staatsanwälten notwendig.

5. Reform der föderalen Sicherheitsarchitektur (Föderalismusreform III)

17 Verfassungsschutzämter, das Bundeskriminalamt und der Militärische Abschirmdienst (MAD) haben seit Jahren massive Probleme, ihren Auftrag „Bedrohungen für die (…) freiheitliche demokratische Grundordnung und die öffentliche Sicherheit weit im Vorfeld polizeilicher Maßnahmen zu erkennen“, umzusetzen. Die staatliche Sicherheitsarchitektur gleicht einem löchrigen Flickenteppich, was zu enormen Effizienzverlusten führt.  Eine Reform, mit der die Verfassungsschutzämter auf vier Schwerpunktbehörden – Nord, Süd, Ost und West – reduziert werden, sollte angestrengt werden.

6. Rechte Strukturen in Behörden und Nachrichtendiensten bekämpfen

Rechte Strukturen in Ämtern, Behörden und bei der Bundeswehr wurden und werden unterschätzt. Eine verstärkte und unabhängige Revision rechter Strukturen in den einzelnen Behörden ist überfällig.

7. Prävention und Deradikalisierung stärken

In der Hooligan- und Islamistenszene werden Gefährder seit Jahren aktiv angesprochen. Auch in der rechten Szene muss dieser Präventionsarbeit eine bedeutend größere Rolle eingeräumt werden. Zudem müssen Deradikalisierungsprogramme und Ausstiegsangebote, beispielsweise in Gefängnissen, massiv ausgebaut werden. Ein Sofortprogramm mit Sondermitteln in Höhe von 20 Millionen Euro wäre ein erster Schritt.

8. Schutzstandards für gefährdete Versammlungsorte wie Moscheen und Synagogen verbessern

Der Objektschutz für gefährdete Versammlungsorte muss einheitlich organisiert und koordiniert werden.

9. Meldestellen für antiislamische und antisemitische Vorfälle ausbauen

Meldestellen sind ein Frühwarnsystem und sollten gefördert werden. Sie können Gefährdungen durch Rechtsextremisten erkennen und melden.

10. Förderung von Bildung und Medienkompetenz

Insbesondere junge Menschen müssen lernen, mit Emotionalisierung, Verschwörungstheorien und digitaler Gewalt umzugehen. Sie müssen für Desinformation und Fake News sensibilisiert werden und sollten diese frühzeitig erkennen können.