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The Biggest British Quiz Question

Die Brexit-Verhandlungen nähern sich dem Kernpunkt. Endlich!
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Wie sieht Großbritanniens und Europas Zukunft aus?

© Baloncic/iStock / Getty Images Plus/

Jeremy Corbyn, der durchaus EU-skeptische Vorsitzende der britischen Labour Party, hat ein politisches Erdbeben ausgelöst. Er kündigte an, seine Partei könne sich nach dem Brexit eine weitere Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der EU-Zollunion vorstellen. Er versucht damit, die gefährliche Frage der verhassten Kontrollen an Nordirlands Grenzen und Küsten vom Tisch zu ziehen. Er schlägt – mit welchen politischen Hintergedanken auch immer – einen Pflock ein, der von nun ab die Diskussion bestimmen könnte. Unser stellv. Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Paqué beschreibt die neue Lage. Er sieht keine Lösung, wohl aber eine gigantische Herausforderung für die Phantasie der Strategen auf beiden Seiten des Verhandlungstischs.

Ökonomisch ist es alles ganz einfach: Eine Zollunion ist eine Zone des Freihandels mit einem gemeinsamen Außenzoll, also auch einer gemeinsamen Handelspolitik. Nur mit ihr lassen sich Grenzkontrollen vermeiden, denn ohne sie können Waren durch das Tor des niedrigsten Außenzolls eingeführt werden, womit der jeweils höhere Außenzoll gegenstandslos wird. So haben selbst die NAFTA-Länder Kanada, USA und Mexiko untereinander zwar Freihandel, aber auch Grenzkontrollen.

Genau dies wollen die Nordiren auf keinen Fall: Grenzkontrollen gegenüber der Republik Irland würden den Friedensprozess – das sog. Karfreitagsabkommen von 1998 – massiv gefährden. Und alternative Kontrollen an den Küsten der Irischen See zwischen Nordirland und Schottland bzw. England und Wales würden das „Vereinigte Königreich“ im wahrsten Sinne des Wortes spalten.

Ökonomisch ist also klar: Es muss – egal wie man es nennt – im Ergebnis so etwas wie eine Zollunion herauskommen, soll die moderne „irische Frage“ im Sinne der Briten und Iren beantwortet werden. An dieser Frage haben sich die Brexiteers in ihrem populistischen Feldzug immer vorbeigemogelt. Die Liberal Democrats dagegen haben in ihrer Remain-Kampagne stets darauf hingewiesen, blieben aber wenig beachtet. Jeremy Corbyn tut das nun endlich auch, dies allerdings mit großer öffentlicher Resonanz.

Damit wird das zentrale Problem offenkundig, aber politisch nicht gelöst. Das Vereinigte Königreich könnte eine Art „passive Assoziierung“ an die EU vereinbaren, also: Übernahme aller Handelsvereinbarungen der Europäischen Union, aber ohne selbst Verhandlungspartner zu sein oder zumindest ein Mitspracherecht zu haben. Aber diese ökonomisch bestens praktikable Variante ist natürlich politisch für die Briten völlig inakzeptabel. Böse Zungen sprechen davon, das Vereinigte Königreich würde dann zu einer EU-Kolonie. Das mag polemisch klingen, aber so ganz falsch ist das nicht, jedenfalls mit Blick auf die Handelspolitik.

Eine Lösung, die für die Briten akzeptabel wäre, könnte nur darin bestehen, sie im handelspolitischen Entscheidungsprozess der EU zu beteiligen. Dies wiederum stieße auf massiven Widerstand in der EU, denn selbstverständlich sitzen nur EU-Mitglieder am Verhandlungstisch – und nicht Gäste, die den „acquis communautaire“, also die Rechte und Pflichten der EU einschließlich des Gemeinsamen Marktes mit Freizügigkeit der Arbeitnehmer, voll akzeptieren. Spielraum für Phantasie zur Lösung des Problems könnte darin bestehen, über eine „begrenzte“ Form der britischen Beteiligung nachzudenken, also: weniger als volles Mitspracherecht bei Handelsfragen, aber mehr als Nichts.

Die Vorstellungskraft hat aber auch hier enge Grenzen. Bei den Briten, einer überaus stolzen Nation, wäre alles unterhalb eines kompletten Vetorechts wahrscheinlich nicht akzeptabel. Und auf der EU-Seite wäre das Einräumen eines Vetorechts eine riesige Beute der Briten beim „Rosinenpicken“, die dann wirklich Nachfolgestaaten motivieren könnte, es trotz der schwierigen Brexit-Verhandlungen den Briten gleichzutun. Denn es wäre eine Einladung, die lästigen Regeln der Freizügigkeit los zu werden und gleichzeitig Freihandel zu behalten – ein wunderbares Vorbild für wohlhabende Länder wie Dänemark und Schweden, wo es starke populistische Parteien gibt, die sich gegen die Zuwanderung stellen. Es wäre der Anfang vom Ende einer EU als Gemeinsamer Markt. Eigentlich undenkbar, dass sich die EU darauf einlässt.

Es bleiben noch immer eine Fülle von Varianten für die Phantasie all jener Strategen, die sich über Großbritanniens und Europas Zukunft Gedanken und Sorgen machen. Am nächsten liegt sicherlich irgendein Modell, das seine Inspiration aus dem durchaus glücklichen Status Quo Norwegens bezieht (so im liberalen Londoner ECONOMIST). Norwegen ist hochengagiertes Mitgliedsland der NATO. Es ist mit Island und Liechtenstein Teil des Europäischen Wirtschaftsraums, für den die EU-Binnenmarktvorschriften zu rund 80 Prozent gelten und Freihandel mit der EU herrscht, aber formal keine Zollunion besteht. Dennoch fallen faktisch die Zölle nur in Ausnahmen auseinander, so dass die Anreize zum Umgehen von Zollmauern begrenzt sind. Gleichwohl: Sie sind vorhanden, und deshalb gibt es Grenzkontrollen, so etwa zwischen Norwegen und EU-Nachbarland Schweden. Vor allem Lastwagen werden dort sorgfältig geprüft.

Es fällt schwer zu erkennen, wie man es schaffen könnte, diese Grenzkontrollen völlig abzuschaffen. Dabei wäre im Falle eines Brexits mit den norwegischen Konditionen der Bedarf an Kontrollen an den Grenzen Nordirlands allein schon wegen des dort viel dichteren Verkehrs noch erheblich zwingender als auf der dünn besiedelten skandinavischen Halbinsel.

Vor den Briten steht also nach Brexit-Vote und Corbyn-Erklärung eine gigantische Herausforderung: Wie schafft ein stolzes souveränes Land ohne Einführung von Grenzkontrollen den Ausstieg aus einer Zollunion? Die Bewohner des Vereinigten Königreichs sind bekannt dafür, dass sie Preisrätsel lieben. Vielleicht ist dies aber die „Biggest British Quiz Question“, die sich in der Geschichte dieser großen Nation jemals gestellt hat. Ein Ausweg ist noch lange nicht in Sicht, wohl aber eine bittere politische Auseinandersetzung, wer, wie und wo letztlich doch Kompromisse machen muss, um zu einer möglichst liberalen Lösung zu kommen, die aber das Brexit-Vote im Kern respektiert. Es ist in erster Linie ein innerbritischer Konflikt, aber in zweiter Linie betrifft er die Europäische Union und Deutschland. Auch hierzulande bedarf es mehr Phantasie, auch wenn sich die Briten den Brexit selbst eingebrockt haben.