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"Bayern braucht ein Update"

Bayern muss sich den Herausforderungen der Zukunft stellen
Buchvorstellung mit Martin Hagen

Martin Hagen, Herausgeber des Buches "Das neue Bayern"

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Der Freistaat Bayern wird 100 Jahre alt und steht einmal mehr vor großen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen. Globalisierung, Digitalisierung, Individualisierung und demografischer Wandel, die großen Entwicklungen unserer Zeit, verändern unsere Welt in atemberaubender Geschwindigkeit. Bayern muss die Herausforderungen der Zukunft annehmen, damit wir auch weiterhin gut leben und arbeiten können. "Ein Umdenken ist notwendig – Bayern braucht ein Update", erklärt  Martin Hagen, Herausgeber des Buches "Das neue Bayern" im Interview mit freiheit.org.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch herauszugeben?

Der Freistaat Bayern wird nächstes Jahr 100 – ich finde, dieses Jubiläum ist ein guter Anlass, darüber zu diskutieren, wie unsere Heimat sich verändert und wie wir sie gestalten wollen. Mein Buch soll ein Anstoß und ein erster Beitrag zu dieser Debatte sein. Wir stehen vor gewaltigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbrüchen und ich habe das Gefühl, die Tragweite haben viele noch gar nicht erkannt.

Bayern steht so gut da wie noch nie in seiner Geschichte, die Wirtschaft boomt, in vielen Regionen ist quasi Vollbeschäftigung erreicht. Warum braucht Bayern ein Update?

Auch das beste Programm braucht irgendwann ein Update. Natürlich geht es Bayern aktuell gut, aber das ist keine Garantie, dass es auch morgen noch so sein wird. Ich bringe gerne das Beispiel von Nokia: Die waren über ein Jahrzehnt lang unangefochtener Weltmarktführer, sozusagen das Bayern der Handybranche. Dann kam das iPhone und hat alles revolutioniert. Der Chef von Nokia hat damals gesagt, Apple wisse doch gar nicht, wie man Handys baut – tja, so kann man sich irren. Wenn wir heute Entwicklungen wie die Digitalisierung, den demografischen Wandel oder den Aufstieg neuer Wirtschaftsmächte ignorieren, geht es uns bald wie Nokia. Bayern muss sich für die Zukunft rüsten.

"Wenn wir heute Entwicklungen wie die Digitalisierung, den demografischen Wandel oder den Aufstieg neuer Wirtschaftsmächte ignorieren, geht es uns bald wie Nokia."

Martin Hagen
Martin Hagen

Sie beklagen überbordende Regulierung, althergebrachte Regeln werden oftmals neuen Geschäftsmodellen übergezwungen – ob sie passen oder nicht. Wie stellen Sie sich zukünftig einen Umgang mit bestehenden Regeln vor, wenn sich marktverändernde Entwicklungen ergeben?

Neue Geschäftsmodelle und Technologien brauchen zeitgemäße rechtliche Rahmenbedingungen – denken Sie nur an Sharing Economy oder autonomes Fahren. Das wäre eigentlich eine unglaublich spannende Aufgabe für die Politik. Aber leider wird Innovation oft ausgebremst. Ein aktueller Fall: In Hüffenhardt, einer 2000-Seelen-Gemeinde in Baden-Württemberg, gibt es seit Jahren keine Apotheke mehr. Im April 2017 hat ein Versandhändler Abhilfe geschaffen und dort einen Medikamentenautomaten mit angeschlossenem Videoterminal eingerichtet. Die Einwohner fanden das super, endlich gab es wieder Arzneimittel vor Ort, mit persönlicher Beratung. Aber nur einen Tag später mussten das Ding wieder abgeschaltet werden – der Apothekerverband hatte eine einstweilige Verfügung dagegen erwirkt. So etwas ärgert mich. Unsere veralteten Gesetze schaden nicht nur innovativen Firmen, sondern vor allem auch den Kunden und Verbrauchern.

Die Jobs im Bereich der Digitalisierung entstehen vor allem in urbanen Ballungsräumen. Schon heute haben wir in Bayern ein erhebliches wirtschaftliches Gefälle zwischen Stadt und Land. Wie kann Bayern seine wirtschaftliche Dynamik erhalten und gleichzeitig ein auseinanderdriften des Landes verhindern?

Der Trend zur Urbanisierung lässt sich nicht aufhalten, das ist ein weltweites Phänomen. Aber gerade die Digitalisierung bietet auch Chancen für den ländlichen Raum: In vielen Berufen kann man heutzutage bequem von zu Hause aus arbeiten, und es ist egal, ob dieses Zuhause in München ist oder in der ländlichen Oberpfalz. Die Immobilienpreise sind ja eher ein Argument dafür, aufs Land zu ziehen. Voraussetzung ist allerdings eine gute Infrastruktur, beispielsweise flächendeckendes Breitband-Internet oder auch das Angebot an Kinderbetreuungsplätzen. Hier ist die Politik gefragt.

Spannend finde ich in diesem Zusammenhang auch die Idee der „Bavarian Valleys“, die der ehemalige Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger in meinem Buch vorstellt: Solche Sonderwirtschaftszonen für innovative High-Tech-Unternehmen können einerseits industrielle Monokulturen aufbrechen und andererseits der Zentrierung auf die Metropolregion München entgegenwirken.

"Ich möchte mit dem Mythos aufräumen, dass im Bildungsbereich Leistung und Chancengerechtigkeit im Widerspruch zueinander stehen, das stimmt einfach nicht."

Martin Hagen
Martin Hagen

Laut Pisa-Tests gehört Bayern im Bildungsbereich konstant zu den Spitzenreitern in Deutschland, gleichzeitig diagnostiziert McKinsey aber eine mangelnde Bildungsmobilität. Wie kann Bayern sein Bildungssystem an die Bedürfnisse des 21. Jahrhunderts anpassen ohne die traditionellen Stärken zu verspielen?

In Bayern hängt der Bildungserfolg zu stark vom Elternhaus ab. Die Wahrscheinlichkeit, ein bayerisches Gymnasium zu besuchen, ist für Kinder aus den oberen sozialen Schichten sechseinhalbmal so hoch wie für solche aus den unteren sozialen Schichten. In Sachsen beträgt dieser Faktor nur 2,8 – und Sachsen ist weiß Gott kein Hort linker Kuschelpädagogik, es schneidet bei allen Vergleichstests mindestens so gut ab wie Bayern. Ich möchte mit dem Mythos aufräumen, dass Leistung und Chancengerechtigkeit im Widerspruch zueinander stehen, das stimmt einfach nicht.

Wir brauchen eine Bildungsoffensive, damit niemand auf dem Weg in die digitale Wissensgesellschaft zurückgelassen wird: Mehr Investitionen in frühkindliche Bildung, Ganztagsschulen und digitale Unterrichtsmethoden, außerdem eigenverantwortliche Schulen, individuelle Förderung für jedes Kind und am besten auch ein längeres gemeinsames Lernen.

"Bayern sollte weltoffen sein und trotzdem stolz auf seine Heimat."

Stefan Dettl, Frontmann der Band LaBrassBanda

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Der wirtschaftliche Boom Bayerns lockt Fachkräfte aus ganz Deutschland und aus aller Welt an. Im Buch beschreiben Sie die bayerische Tradition und Identität als wichtigen Standortfaktor und gesellschaftlichen Kitt. Was ist für Sie das Geheimnis dieser Entwicklung?

Die Menschen in Bayern sind sehr heimatverbunden, das hat in den letzten Jahren sogar noch zugenommen. Ich bin überzeugt, dass das gerade in Zeiten großer Umbrüche Halt gibt und Kraft für notwendige Veränderungen. Auch für Zuwanderer ist es attraktiver, sich in eine Gesellschaft zu integrieren, wenn diese Gesellschaft einen positiven und selbstbewussten Bezug zu ihrer eigenen Kultur und Identität hat. Wichtig ist dabei, dass dieses bayerische „Wir“ inklusiv verstanden wird und nicht ausgrenzend.

Ich habe für mein Buch ein Interview mit Stefan Dettl geführt, dem Frontmann von LaBrassBanda. Diese Band ist ja ein Paradebeispiel dafür, wie man mit Einflüssen aus aller Welt etwas kreieren kann, was neu ist und dabei trotzdem typisch bayerisch. Stefan Dettl hat zu mir gesagt: „Bayern sollte weltoffen sein und trotzdem stolz auf seine Heimat.“ Ich finde, das trifft’s auf den Punkt.

 

Hintergrund: Das Buch "Das neue Bayern – Warum unser Land ein Update braucht" beleuchtet mit verschieden Experten unterschiedliche politische Handlungsgebiete: Autoren sind unter anderem der Vorsitzende des Roman-Herzog-Instituts Prof. Randolf Rodenstock, die Präsidentin der Universität Passau Prof. Dr. Carola Jungwirth, der Politikwissenschaftler und Zukunftslobbyist Dr. Wolfgang Gründinger, die Europapolitikerin Nadja Hirsch, der ehemalige Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger und der Weltbank-Ökonom Dr. Wolfgang Fengler. Das Vorwort des Buches stammt von Bundesjustizministerin a.D. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.