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„Mit ängstlichen Menschen ist auf Dauer keine liberale Gesellschaft möglich!“

Thea Dorn argumentiert leidenschaftlich für die Freiheit

Wann immer die Freiheit bedroht und Gefahren für unsere liberale Gesellschaft verharmlost oder relativiert werden, ist Thea Dorn verlässlich zur Stelle. Wenn die Verteidigung der Freiheit auf der Agenda steht, geht sie keinem öffentlichen Streit aus dem Weg, scheut sie keine Positionierung.

So formulierte sie etwa unmittelbar nach dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz im vergangenen Dezember einen eindringlichen Appell im Handelsblatt, der mit „Bekenntnisse einer Liberalen“ überschrieben war und mit dem Satz endete: „Freiheitsliebende aller Länder, vereinigt euch!“

Und Thea Dorn erfüllt in nachgerade idealtypischer Weise ein wesentliches Merkmal, das Jürgen Habermas den öffentlichen Intellektuellen zuschreibt: einen „avantgardistischen Spürsinn für Relevanzen.“

Bei einer Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im voll besetzten Saal der Neuen Kammerspiele im brandenburgischen Kleinmachnow hatten die Besucher Gelegenheit, diese unerschrockene liberale Publizistin und Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Kritikerin, live zu erleben. Sie sollten es nicht bereuen.

Mit ihrem Vortrag „Leidenschaftlich für die Freiheit! Warum liberale Werte gerade heute aktiv verteidigt werden müssen!“ machte sie den Aufschlag für das anschließende Gespräch mit der FDP-Politikerin Linda Teuteberg, an dem sich im weiteren Verlauf auch die Gäste beteiligen konnten. Kai Kochmann, der Initiator bundesweit ausgerichteter „Liberaler Salons“ der Stiftung, moderierte den Abend anregend und kenntnisreich.

Ein Bild von Thea Dorn.

"Mit Freiheit muss man etwas anfangen können und wollen." Thea Dorn

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Freiheit können und wollen

Im Kern geht es Thea Dorn darum, einem weit verbreiteten Verständnis von „Freiheit als irgendetwas zwischen unzumutbarer Last und langweiliger Selbstverständlichkeit“ eine qualitativ-substanzielle Dimension gegenüberzustellen: „Mit Freiheit muss man etwas anfangen können und wollen.“ Hierzu bedarf es nicht zuletzt normativer und kultureller Voraussetzungen.

Der Vorstellung allerdings, dass Freiheit quasi ein natürlicher Zustand des Menschen sei, der erst durch kulturelle/gesellschaftliche Strukturen verdorben, ja pervertiert werde, erteilt sie eine klare Absage. Diese, maßgeblich von Jean-Jacques Rousseau in seinem berühmten Gesellschaftsvertrag formulierte Überzeugung – „Der Mensch ist frei geboren. Und überall liegt er in Ketten“ – sei eines der fatalsten Missverständnisse, wenn man über Freiheit nachdenke. Richtigerweise müsste der Satz lauten:

„Der Mensch ist prinzipiell zur Freiheit veranlagt. Allerdings entsteht Freiheit erst nach einem langwierigen und nicht unkomplizierten Prozess der Charakterbildung.“

Dies bedeute auf der anderen Seite freilich nicht, dass man Kulturen ohne nennenswerte Freiheitstradition, in denen Herkunft, Familienzugehörigkeit, Religion etc. eine entscheidende und prägende Rolle spielten, prinzipiell die Fähigkeit zur Freiheit  absprechen dürfe. Aber es sei nachgerade neo-rousseau’sche Naivität zu glauben, dass dies ein einfacher und rasch zu bewerkstelligender Prozess sein könne.

Ein erhebliches Problem der westlichen liberalen Kultur bestehe demgegenüber darin, dass nicht wenige Zeitgenossen die Freiheit als langweilig bzw. eher als lästige Selbstverständlichkeit begriffen. Nicht als etwas, das Leidenschaft und Pathos hervorrufe.

Was also tun, wenn viele Menschen in unserer liberalen Gesellschaft, in der es sich insgesamt erfreulich angenehm leben lässt, vorwiegend mit der Sicherung ihres Status quo beschäftigt sind bzw. der Angst, ihn zu verlieren?

Die im freien Westen recht verbreitete spezifische Form von Ängstlichkeit, Angepasstheit, Duckmäusertum, der Weigerung, Verantwortung zu übernehmen, mache sie fassungslos, so Dorn: „Wo kommen wir denn hin, wenn wir so ängstlich sind und so tun, als würden wir in einer Autokratie leben?“

Freiheit können und wollen setze daher auch Erziehung zu Mut und Zivilcourage voraus.

Thea Dorn, Linda Teeuteberg und Kai Kochmann im Gespräch.

Thea Dorn im Gespräch mit Linda Teuteberg.

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

„Zivilisierte Verachtung“ vs. Political Correctness

Ein freiheitsliebender Charakter zeichne sich durch Toleranz, Selbständigkeit und Selbsterkenntnis aus, d. h. auch durch das Wissen, dass die jeweils eigene Position nicht der Maßstab aller Dinge sei: Er setze sich permanent der Kritik der Welt aus und sei in der Lage, eigene Positionen zu relativieren bzw. zu revidieren und damit auch dem eigenen Freiheitsdrang Grenzen zu setzen.

Allerdings habe in den vergangenen Jahren im Kontext meist linker Diskurse und einer ausufernden Political Correctness ein „maximaler Toleranzbegriff“ die gesellschaftlichen Debatten überlagert – mit dem Ergebnis, dass nachgerade jede Kritik an anderen Lebensformen, die potenziell Verletzungsgefühle bei Menschen auslösen könnte, als unstatthaft und unzulässig eingestuft worden sei.

Kritik und Dissens zivilisiert zum Ausdruck zu bringen und zivilisiert zu ertragen, so Dorn, gehöre aber zu den Grundelementen einer jeden freiheitlichen demokratischen Kultur. In Anlehnung an das Konzept der „Zivilisierten Verachtung“ des in Tel Aviv lehrenden Philosophen und Psychologen Carlo Strenger hält sie daher am fundamentalen Prinzip der Aufklärung fest, nämlich dass nichts und niemand über Kritik erhaben sein darf.[1]

[1][1] Vgl. Carlo Strenger, Zivilisierte Verachtung. Eine Anleitung zur Verteidigung unserer Freiheit, Berlin 2015, S. 21: „Zivilisierte Verachtung ist die Fähigkeit, zu verachten, ohne zu hassen oder zu dehumanisieren.“

Ein Bild von Linda Teuteberg.

"Keine Bildung ohne Anstrengung". Linda Teuteberg

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Ein Bild von Linda Teuteberg.

"Man darf Angst haben, aber die Angst darf einen nicht haben." Linda Teuteberg

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Keine Charakterbildung ohne Anstrengung

Linda Teuteberg ergänzte im nachfolgenden Gespräch die Befunde Thea Dorns zur Charakterbildung noch um Hinweise zum Thema Bildung:  diese müsse sehr früh ansetzen, da das Erlernen elementarer Kulturtechniken (Lesen, Schreiben, Rechnen) für alle weiteren Bildungsprozesse unabdingbar seien. Ausdrücklich unterstützte sie Dorns vehemente Abneigung gegen „mundgerechte Häppchen“ und ihr Plädoyer für Mühe und Anstrengung im Erlernen und Nachvollziehen von – auch schwierigen – Inhalten und Texten.  

Amtlichen Überlegungen etwa im Bundesland Hessen, Schülern wichtige Romane der ‚besseren‘ und leichteren Lesbarkeit willen in gekürzter Form  vorzulegen (auch an Gymnasien!), erteilte sie ebenfalls eine klare Absage. Gerade die Fähigkeit zur Konzentration sei unverzichtbar und müsse kontinuierlich eingeübt und praktiziert werden. Ebenso dürften die klassischen Inhalte der humanistischen Bildung und die Erfordernisse der digitalen Welt von heute nicht gegeneinander ausgespielt werden. Beides sei wichtig und zeitgemäß in passenden methodisch-didaktischen Formaten zu vermitteln.

Die folgende – ebenso lebhafte – Diskussion mit den Teilnehmern drehte sich u. a. um den Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung, den Unterschied von Toleranz und Gleichgültigkeit sowie die Voraussetzungen und Möglichkeiten der Re-Politisierung einer weithin apolitischen Studentenschaft. Die Meinungen und Antworten gingen hier freilich teilweise auseinander, wie etwa auch bei der Einschätzung und Bewertung des Internets im Kontext der heutigen Debatten- und Streitkultur. Von einem „Ethos der Meinungsbildung“ könne jedenfalls heute vielfach keine Rede mehr sein, so Thea Dorn.

Einig war man sich darüber, dass Mut und Zivilcourage entscheidende und unverzichtbare Elemente gelebter liberaler Demokratie sind. Auch dem oft beklagten Mangel an freiheitlichem Pathos könnte auf diesem Feld abgeholfen werden: „Denn nichts ist erhabener, als eigene Ängste zu überwinden.“ (Thea Dorn)

Michael Roick ist Leiter des Regionalprogramms bei der Stiftung für die Freiheit.