Corona
Keine dauerhaften exekutiven Sonderrechte – für niemanden!
Gesetze bilden den unsichtbaren Rahmen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Sie sichern in einer liberalen Demokratie die Freiheit des Individuums – und sie bändigen den Staat. Gesetze sind das Fundament unserer Demokratie, ohne sie ist der Rechtsstaat zahnlos. Doch beinhalten Gesetze auch die immerwährende Gefahr, dass sie konträr zu ihrem eigentlichen Zweck interpretiert werden, um sie für eine eigene Agenda und die eigenen politischen Ziele zu instrumentalisieren. Und dass sie mittels exekutiver Verordnungen de facto außer Kraft gesetzt werden.
Dies gilt insbesondere für Zeiten umfassender Krisen, der oft zitierten „Stunde der Exekutive“, in der die Bürger am lautesten nach der Hand des starken Staates rufen. Zu oft verstehen die Regierenden diesen Ruf bewusst falsch als einen Blankoscheck für kaum legitimierte Ermächtigungen – sei es bei einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer globalen Pandemie. Immer wieder werden in Katastrophenfällen die individuellen Freiheiten massiv eingeschränkt, während die Grundrechte zur Knetmasse in den Händen der Exekutive verkommen.
In der Corona-Krise hat diese Entwicklung ein in der Bundesrepublik bis heute unbekanntes Ausmaß angenommen. Seit dem Ausbruch der Pandemie erlassen die Regierungen in Bund und Ländern im Eiltempo Verordnungen, mit denen das öffentliche Leben, die Grundrechte und individuellen Freiheiten eingeschränkt werden – ohne dass ein Parlament je darüber abgestimmt hätte. Und trotz immer schärferer Kritik aus politischer Opposition, von Wissenschaftlern, Gerichten und aus der breiten Bevölkerung scheint sich daran kaum etwas zu ändern.
Als jüngstes Beispiel dafür dient ein am Freitag bekannt gewordener Entwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium, nach dem die seit Pandemiebeginn im Infektionsschutzgesetz festgehaltenen Sonderrechte für Gesundheitsminister Jens Spahn im Eilverfahren verlängert und gar noch ausgebaut werden. Spahn könne nach dem Entwurf eigenhändig Verordnungen erlassen, wenn dies „zum Schutz der Bevölkerung vor einer Gefährdung durch schwerwiegende übertragbare Krankheiten erforderlich ist.“ Bereits diese Formulierung im Entwurf ist irreführend: Statt den eigentlich geltenden Mechanismus zur „epidemischen Lage nationaler Tragweite“ aus dem Infektionsschutzgesetz zu achten, der dem Minister tatsächlich seit Pandemiebeginn – vom Bundestag legitimierte und zeitlich begrenzte – Sonderrechte bewilligt, ist nun lediglich von „schwerwiegenden übertragbaren Krankheiten“ die Rede. Wie eine solche Krankheit definiert ist, ob also eine schwere Grippewelle künftig Grund genug sein wird, weitgehende Sonderbefugnisse zu rechtfertigen, ist unklar.
Die Corona-Pandemie ist, und das muss immer wieder betont werden, eine absolute Ausnahmesituation. So wie die Pandemie zeitlich beschränkt sein wird, müssen auch die Sonderrechte der Regierung genau das bleiben: eine Ausnahme. Eine Verstetigung der exekutiven Sonderrechte, wie sie in Spahns neuem Gesetzentwurf angestrebt wird, darf es nicht geben – zum Schutz der Gewaltenteilung, des Rechtsstaats und der Demokratie.
Die geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes ist ein Paradebeispiel dafür, dass Regierungen die ihnen einmal zugestandenen Sonderrechte nur selten freiwillig wieder abgeben – und stattdessen versuchen, ihre Macht zu zementieren. Schritte wie diese zeugen von mangelndem Respekt gegenüber unserem Grundgesetz und Rechtsstaat.
Dies gilt ebenso für die Vielzahl exekutiver Verordnungen, die im Geiste alarmistischer Corona-Politik nicht mehr legitimiert werden müssen. Vielmehr sollten sich, so die Mentalität vieler Verantwortungsträger, all jene rechtfertigen, die diese Maßnahmen nicht verlangen oder gar kritisieren. Die Grundprinzipien der parlamentarischen Demokratie werden so ad absurdum geführt.
Dass Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus notwendig sind, ist Konsens in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die breite Bevölkerung hat die damit verbundenen zahlreichen und umfassenden Einschränkungen bisher weitgehend mitgetragen. Im Falle ungerechtfertigter Eingriffe in die Grundrechte haben Gerichte diese wieder aufgehoben. Mit Blick auf die nun wieder steigenden Infektionszahlen und den daraufhin eilends gewobenen Flickenteppich an Exekutivverordnungen – vom Beherbergungsverbot bis zur Sperrstunde – steigt der Unmut jedoch spürbar. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen wieder aufflammen und der Politikverdruss neue Sphären erreicht.
Die Regierungen von Bund und Ländern täten vor diesem Hintergrund gut daran, ihre Entscheidungen endlich in die Parlamente zu tragen, statt auf Sondergipfeln hinter verschlossenen Türen kaum nachvollziehbare Entscheidungen zu fällen. Wenn die Bevölkerung erst aus durchgestochenen Beschlusspapieren erfährt, auf welche Maßnahmen sie sich in den kommenden Wochen und Monaten einstellen muss, zeugt das nicht von transparenter Regierungspolitik.
So bleibt es den Gerichten als unfreiwilliger Feuerwehr überlassen, die zahlreichen Entscheidungen der Exekutive zu prüfen und, wenn nötig, zu kippen. Seit Monaten schon wird in den Urteilen bemängelt, dass die Parlamente die Corona-Maßnahmen nicht rechtlich absichern und die Maßnahmen nicht richtig begründet sind. Chaos, wie es im Falle des Beherbergungsverbots eingetreten ist, war so vorprogrammiert. Und vermeidbar!
Gesetze sind kein Spielball in den Händen der Regierung – auch und erst recht nicht in Krisenzeiten, wie wir sie aktuell erleben. Die verfassungsrechtliche Gewaltenteilung mit den Grundrechten als rechtsstaatlichem Fundament schränken die Regierung in ihren Handlungen ein. Jede darüberhinausgehende Entscheidung muss vom Gesetzgeber legitimiert werden, eine Ausnahme bleiben, verhältnismäßig sein und schnellstmöglich auslaufen. Sonst wird die Akzeptanz für die Maßnahmen zum Bevölkerungsschutz nachlassen – und das Coronavirus freies Spiel haben.