Punktgenauer Angriff
Dieser Artikel wurde am Sonntag, den 11. März 2018 in der Süddeutsche Zeitung veröffentlicht und ist online auch hier zu finden.
Er meint es offenbar ernst: Donald Trump droht mit hohen Strafzöllen auf Stahl- und Aluminiumimporte, auch Europa ist davon betroffen. Jetzt gilt es, kühlen Kopf zu bewahren. Dazu zählt auch, sich klarzumachen, was Trump überhaupt will und kann. Aus volkswirtschaftlichen Lehrbüchern lässt sich dabei wenig lernen, wohl aber aus dem Innenleben der amerikanischen Politik.
Fast zehn Monate ist es her, dass der amerikanische Senat den Rechtsanwalt Robert Lighthizer zum 18. US-Handelsvertreter bestellte - auf Vorschlag von Trump. Schon die Personalie ließ aufhorchen: Lighthizer ist ein Profi, manche nennen ihn respektvoll den Handelszaren. Er diente bereits in den Achtzigerjahren dem damaligen Präsidenten Ronald Reagan als Handelsfachmann. Damals schoss der Dollar in die Höhe, Importe wurden billig und Exporte teuer. Die amerikanische Industrie klagte wie heute bitter und lautstark über die ausländische Konkurrenz. Und Lighthizer war es, der von 1983 an eine Vielzahl bilateraler Handelsabkommen abschloss, unter anderem für die Automobil- und die Stahlindustrie. Deren Handschrift: pragmatischer Protektionismus, also gezielte Maßnahmen in Form bilateral ausgehandelter Abkommen in punktgenau definierten Wirtschaftsbranchen. Kein Poltern und Türenschlagen, sondern völlig rationale Industriepolitik - ganz in der Tradition der "alten" Republikanischen Partei, die sich immer schon als Advokat der Industrieinteressen verstand.
Verfolgt man die Verhandlungen zur Fortsetzung - oder Aufkündigung - des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta), erkennt man ohne Mühe die Handschrift Lighthizers. Erstens verlangt er, dass in der Automobilbranche künftig ein deutlich höherer Anteil der Wertschöpfung in den USA erfolgen müsse; dies gilt für alle Fahrzeuge, die im Nafta-Raum endgefertigt werden. Zweitens fordert er ein Ende der in der Nafta üblichen Streitschlichtung in Handelsfragen, und drittens möchte er die Gültigkeit des Freihandelsabkommens befristen.
Vor allem gegen den ersten Punkt gibt es nicht nur massiven Widerstand aus Mexiko und Kanada, sondern auch aus dem eigenen Land. So sind amerikanische Hersteller natürlich stark auf den zollfreien Handel von Vor- und Zwischenprodukten über die Süd- und Nordgrenzen der USA angewiesen, um auf den Weltmärkten preiswert Waren anbieten zu können. Längst ist die industrielle Arbeitsteilung über Wertschöpfungsketten mit den Nachbarländern so komplex und gegenseitig, dass ein einfaches Entwirren ohne allseitige Schäden kaum möglich ist. Hinzu kommt, dass natürlich auch die kanadische und die mexikanische Seite prüfen, wie sie die USA mit Handelsbeschränkungen empfindlich treffen könnten, wenn Nafta beendet würde. So ist zum Beispiel Mexiko für die Agrarproduzenten der USA ein überaus wichtiger Absatzmarkt, und dies vor allem in jenen ländlich strukturierten Staaten Amerikas, die Trump zur Mehrheit bei der Wahl verholfen haben. Untersuchungen des Brookings-Instituts zeigen, dass Trump nicht nur in jenen Staaten besonderen Zuspruch erhielt, die unter industriellen Krisen gelitten haben, sondern auch in jenen, die stark abhängig von Exporten sind, was sich zum Teil deckt.
Das Gezerre um die Zukunft von Nafta ist ein erstes praktisches Beispiel für die "neue" US-Handelspolitik; sie steht unter gehörigem Zeitdruck: In Mexiko wird Mitte des Jahres ein neuer Präsident gewählt, in den Vereinigten Staaten finden im November Kongresswahlen statt. Niemand weiß, wie die Verhandlungen ausgehen werden. Selbst im schlimmsten Fall, dass das Abkommen gekündigt wird, bleibt die komplexe Interessenlage bestehen. Das wird sich in den dann nötigen Verhandlungen über drei bilaterale Abkommen niederschlagen.
Die Wirtschaft ist heute so eng verflochten, dass Handelskriege nur schwer zu führen sind
Schon heute lässt sich daraus eine wichtige politökonomische Lektion lernen: Gerade das Ausmaß der grenzüberschreitenden Verflechtung, das sich im Zuge der Globalisierung entwickelt hat, macht klassische Handelskriege schwieriger als früher. Der Begriff "Krieg" muss neu definiert werden. Was früher wie ein frontales Aufeinanderprallen von sauber trennbaren, nationalen Produzenten mit ihren Interessen daherkam, ist heute einem feinmaschigen Gewebe von Lieferstrukturen gewichen. Dies eröffnet Chancen, die politisch genutzt werden können, und zwar im Interesse eines möglichst freien Handels. So ist es zum Beispiel überaus clever von der liberalen kanadischen Regierung, dass sie in jüngster Zeit den Kontakt mit den benachbarten amerikanischen Bundesstaaten sucht, um die dortigen Gouverneure und Kongressabgeordneten für die beidseitigen Interessen enger Lieferverflechtungen zu sensibilisieren.
Es wird höchste Zeit, dass Europa - und insbesondere Deutschland - daraus die richtigen Konsequenzen zieht. Auch transatlantisch ist die Handelsstruktur äußerst knifflig. Beide Seiten schaden sich auf lange Sicht selbst, wenn sie sich abschotten. Deshalb muss eine zweigleisige Strategie gefahren werden. Zum einen gilt es, alle Kontakte in die amerikanische Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit zu nutzen, um die USA von der harten Linie des Protektionismus abzubringen. Dazu könnten zum Beispiel die Partnerschaften deutscher Länder zu amerikanischen Bundesstaaten genutzt werden, die über stark exportabhängige Industrien verfügen. Auch die Bundespolitik muss dies endlich zu ihrer (Chef)-Sache machen.
Daneben sollte allerdings auch klar sein, dass Europa entschlossen, kühl und klug dosiert reagiert, wenn die USA ohne Rücksicht auf die Regeln der Welthandelsordnung (WTO) hohe "Strafzölle" erheben. Genau dies wird gerade vorbereitet. Europa dürfte bald eine Klage gegen die USA vor einem WTO-Schiedsgericht einreichen. Dies ist notwendig und richtig, aber es genügt nicht. Denn die sicherheitspolitische Begründung für Zölle auf Stahl und Aluminium ist derart abwegig, dass es ein Hohn wäre, über ein Jahr auf den Schiedsspruch zu warten, an den sich Trump dann möglicherweise gar nicht halten würde.
Es geht längst um eine hochpolitische Grundsatzfrage, nicht um ein paar der üblichen Tricksereien im Handel, die ein Schiedsspruch aus der Welt schaffen könnte. Wenn die Europäische Union an dieser Stelle nicht reagiert, ist ihre Glaubwürdigkeit als Hüterin der WTO-Prinzipien zerstört. Dann macht Trump fortan, was er will, und jeder populistische Präsident, der ihm nachfolgt, ebenso. Auch die warnenden Stimmen in den USA selbst werden dann lächerlich gemacht. Wenn aus Europa keine Vergeltung droht, hat Robert Lighthizer leichtes Spiel.