Was tun mit Fluggastdaten?
Unser Vorstand Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf freiheit.org zur Fluggastdaten-Entscheidung des EuGH.
Auf Initiative des Europäischen Parlaments hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs über den Entwurf eines internationalen Abkommens zwischen der Europäischen Union und Kanada, insbesondere über seine Vereinbarkeit mit den Rechten der EU-Grundrechtecharta entschieden. Gegenstand dieses Abkommensentwurfs sind Regelungen zur gegenseitigen Übermittlung und Verarbeitung von Fluggastdatensätzen (engl: PNR, passenger name record). Die Entscheidung des EuGH ist in Form eines Gutachtens ergangen. Es bindet die Organe der EU rechtlich genauso wie andere Entscheidungsformen des Gerichts, z.B. ein Urteil.
1. Was sind Fluggastdaten?
Fluggastdatensätze sind Datensätze, die von einer Fluggesellschaft für jeden Fluggast zu Buchungszwecken erfasst, an eine staatliche Stelle (in Deutschland das Bundeskriminalamt) übermittelt und dort gespeichert und verarbeitet werden. Zu den Fluggastdaten gehören neben dem Namen des Fluggastes beispielsweise das Datum der Buchung, Datum des Fluges, Vielflieger- und Bonusinformationen, sämtliche verfügbaren Kontaktangaben und Zahlungsinformationen, die Reiseroute, etwaige Name des Reisebüros und Sacharbeiters, sämtliche Informationen zu Gepäck, Sitzplatzinformationen inklusive Sitzplatznummer, Sonderwünsche wie vegetarisches oder glutenfreies Essen sowie weitere von den Fluggesellschaften freiwillig zusätzlich gespeicherte Informationen wie z.B. über eine körperliche Behinderung eines Rollstuhlfahrers.
2. Was hat der EuGH entschieden?
Der EuGH hat entschieden, dass das geplante Abkommen in seiner jetzigen Form nicht geschlossen werden und inkrafttreten darf, weil es mit der EU-Grundrechtecharta, namentlich mit Art. 7 [Achtung des Privat- und Familienlebens] und Art. 8 [Schutz personenbezogener Daten] nicht vereinbar ist. Er bemängelt insbesondere, dass so genannte sensible Daten von dem Abkommen nicht ausgenommen sind. Das sind solche Fluggastdaten, die Angaben zur ethnischen Herkunft, zu politischen Meinungen, religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen, Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, Gesundheitszustand, Sexualleben oder sexuellen Orientierung einer Person beinhalten. Ferner bemängelt er - unter Bezugnahme auf seine Rechtsprechung zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten - dass Fluggastdaten auch dann (anlasslos) weiter gespeichert würden, wenn sich bei dem betroffenen Fluggast keine Anhaltspunkte für eine terroristische Gefahr o.Ä. ergeben haben. Für aus der EU kommende Bürger gelte das zumindest dann, wenn sie aus Kanada wieder ausreisten.
3. Welche Auswirkungen hat die Entscheidung?
Das EuGH Gutachten gilt unmittelbar nur für das geplante Abkommen EU-Kanada. Dieses darf erst nach Ausräumung der rechtsstaatlichen Mängel (s.o.) geschlossen werden. Auswirkungen hat die Entscheidung ebenfalls auf bereits bestehende vergleichbare Abkommen der EU mit Australien und den USA. Soweit diese nicht den aufgestellten Kriterien des EuGH genügen, müssen sie von Seiten der EU nachverhandelt bzw., wenn das nicht möglich sein sollte, in letzter Instanz aufgekündigt werden.
Schließlich betrifft die Entscheidung die EU Richtlinie 2016/681 "über die Verwendung von Fluggastdatensätzen zur Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität." Mit ihrer Datenübermittlungspflicht für die Fluggesellschaften und der Rechtsgrundlage für Speicherung und Aufbewahrung bei den staatlichen Stellen bildet sie einerseits das Fundament solch internationaler Abkommen zur Übermittlung und Verarbeitung von Fluggastdatensätzen. Andererseits bildet sie das Regelwerk für Speicherung und Verwendung von Fluggastdaten innerhalb der EU selbst, ohne dass Auslandsbezug vorliegt. Sie fällt in den sachlichen Anwendungsbereich des EuGH Gutachtens, weil sie Speicherung und Verwendung von Fluggastdaten innerhalb der EU regelt. Hier könnte sich rächen, dass der deutsche Gesetzgeber diese Richtlinie mit dem Fluggastdatengesetz vorschnell umgesetzt und dabei sogar ausgeweitet hat. Denn auch das Fluggastdatengesetz muss den vom EuGH konturierten Vorgaben der EU-Grundrechtecharta entsprechen. Was sonst droht, lässt sich am Schicksal der Vorratsdatenspeicherung beobachten. Die Bundesdatenschutzbeauftragte hat Änderungebedarf bereits angemahnt und damit den Gesetzgeber nach der Bundestagswahl in die Pflicht genommen.