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Archiv des Liberalismus
Liberale und Frieden

Kolloquium zur Liberalismus-Forschung 2018
WEK-Preisverleihung: Joachim Scholtyseck, Matthias Oppermann, Anne Christine Nagel

WEK-Preisverleihung: Joachim Scholtyseck, Matthias Oppermann, Anne Christine Nagel

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

„Gott hat den Frieden geschlossen, aber wir als Historiker müssen tiefer gehen!“, so lautete der eindringliche Apell von Anuschka Tischer (Würzburg) in ihrem Eröffnungsvortrag beim diesjährigen Kolloquium zur Liberalismus-Forschung, mit dem sie zugleich die anwesenden Fachkolleginnen und -kollegen in die Pflicht nahm. Zu der Veranstaltung hatten Ende Oktober das Archiv des Liberalismus der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und die Forschungsstelle Weimarer Republik der Universität Jena anlässlich der 100-jährigen Wiederkehr der Pariser Friedenskonferenz von 1919/20 nach Jena eingeladen. Unter reger Beteiligung zahlreicher Wissenschaftler wurde dabei über die zum Teil recht widersprüchlichen Einstellungen von Liberalen zur Friedensfrage während des 19. und 20. Jahrhunderts debattiert.

Insgesamt 14 Referenten näherten sich der vielschichtigen Tagungsthematik aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Das breitgefächerte Veranstaltungsprogramm reichte von „Stimmen aus dem deutschen Liberalismus zum Westfälischen Frieden“ (Anuschka Tischer, Würzburg), über „Friedensvorstellungen im bürgerlichen Widerstand gegen Hitler“ (Manuel Limbach, Koblenz) bis hin zur „Außenpolitik der FDP in den 1950/60er-Jahren“ (Tim Geiger, Berlin) und hielt mit Betrachtungen zu „Krieg und Frieden bei William E. Gladstone“ (Jürgen Peter Schmied, Bonn/Rhöndorf) sowie dem „Zusammenhang von Freiheit und Frieden bei Raymond Aron“ (Matthias Oppermann, Potsdam/Berlin) auch interessante Seitenblicke auf den britischen bzw. französischen Liberalismus bereit. Darüber hinaus wurden den Teilnehmern durch Erörterungen über die „Friedensfrage in der liberalen politischen Philosophie“ (Andreas Braune, Jena) und die „Liberale Schule der Internationalen Beziehungen“ (Rafael Biermann, Jena) konzeptionelle Zugänge aus dem Feld der Politikwissenschaft vorgestellt. Letztlich ließ sich anhand der präsentierten Vorträge die Erkenntnis gewinnen, dass – so viel sei bereits vorweggenommen – die Haltungen liberaler Denker und Politiker zum Thema „Frieden“ starken Wandlungen unterworfen waren.

Welch ambivalentes Verhältnis die Liberalen stets zum Frieden pflegten, wurde besonders im Vortrag von Ulf Morgenstern (Friedrichsruh) deutlich, der die uneinheitliche Bewertung von Bismarcks Reichseinigungspolitik und den damit einhergehenden Friedenschlüssen durch die liberalen Zeitgenossen in den Blick nahm. So habe sich beispielsweise Theodor Mommsen im Zuge des Schleswig-Holstein-Konflikts von 1863/64 vom entschiedenen Gegner Bismarcks zu dessen Fürsprecher gewandelt, ehe er angesichts der fortschreitenden Entfernung von den „Ideen von 1848“ und anderen „Folgekrankheiten des Einheitsfanatismus“ in den 1870er-Jahren schließlich wieder von seiner pro-bismarckschen Position abgerückt sei. In eine ähnliche Richtung wiesen auch die Ausführungen von Jürgen Frölich (Gummersbach/Bonn) über Friedrich Naumann, in dessen politischem Denken die Bewahrung des Friedens bis 1914 allmählich einen immer höheren Stellenwert eingenommen habe, um dann aus Enttäuschung darüber, dass kein Verständigungsfrieden zustande kam, zum vehementen Gegner des Versailler Friedensvertrags von 1919 zu werden.

Wie stark diese im Kern zwiespältige Tendenz auch bei liberalen Persönlichkeiten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgeprägt war, verdeutlichten die Vorträge von Wolfgang Michalka (Heidelberg) über Walther Rathenau sowie von Christiane Scheidemann (Berlin) über Gustav Stresemann, die beide dem Versailler Vertrag zunächst äußerst ablehnend gegenübergestanden, sich in der Folgezeit jedoch mit diesem arrangiert und ihn im Amt des Außenministers jeweils als Arbeitsgrundlage akzeptiert hätten. Besonders stachen in diesem Zusammenhang die Darlegungen von Michael Dreyer (Jena) zum Agieren der linksliberalen Akteure während der Pariser Friedensverhandlungen hervor. Unter anderem charakterisierte er die Verhandlungstaktik des der DDP nahestehenden deutschen Außenministers Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau – sehr zugespitzt, aber dennoch hoch interessant – als „Symbolpolitik“, welche die Kriegsschuldfrage bei der eigentlich apathischen Bevölkerung in Deutschland erst wirklich ins Bewusstsein geholt habe, um dadurch Proteste gegen den „Diktatfrieden“ hervorzurufen.

Sehr anschaulich war ebenfalls der öffentliche Abendvortrag von Eckart Conze (Marburg) unter dem Titel „Die große Illusion. Versailles 1919 und die Neuordnung der Welt“, der neben der sonst üblichen europäisch-westlich zentrierten Sichtweise auch eine globale Perspektive eröffnete. Gleichwohl ließ der Referent keinen Zweifel daran, dass auf dieser „Konferenz der Völker“ eben nicht das zuvor vom US-amerikanischen Präsidenten Wilson proklamierte Selbstbestimmungsrecht der Völker maßgebend gewesen sei, sondern dass wieder einmal die traditionellen Großmachtinteressen der westlichen Staaten das Geschehen bestimmt hätten. Weiterhin zeigte Conze auf, welche Bilder und Emotionen die Konferenz bis heute im kollektiven Gedächtnis der Chinesen begleiteten und wie die damalige Ignoranz gegenüber den arabischen Interessen im Jahr 1948, ja sogar bis heute dazu beitrügen, die Anerkennung Israels seitens der arabischen Nachbarn als unmöglich scheinen zu lassen. Besonders negativ sei die Wirkung des Vertragswerks selbstredend in Deutschland gewesen, wo sich dessen Ablehnung zum „zerstörerischen Minimalkonsens“ der Weimarer Republik entwickelt und es selbst in der Bundesrepublik noch kritische Stimmen gegeben habe, die ihm nachsagten, maßgeblich zum Aufstieg Hitlers beigetragen zu haben.

Den chronologischen Abschluss des Kolloquiums markierten zwei Vorträge zur außenpolitischen Entwicklung des deutschen Nachkriegsliberalismus. Während Tim Geiger (Berlin) die FDP der 1950er und 60er-Jahre sehr wohlwollend als „Motor“ der deutschen Außenpolitik charakterisierte, widmete sich Oliver Bange (Potsdam/Berlin) mit Wolfgang Schollwer einem geistigen Wegbereiter der Neuen Ostpolitik, dessen deutschlandpolitisches Konzept darin bestanden habe, die Existenz zweier deutscher Staaten zu akzeptieren, beide aber miteinander zu „verklammern“, um den Frieden zwischen den Blöcken aufrechtzuerhalten und somit eine bessere Chance auf die deutsche Wiedervereinigung zu wahren.

Im Rahmen des Kolloquiums wurde Matthias Oppermann (Potsdam/Berlin), der zufälligerweise zugleich Referent war, mit dem zum 53. Mal verliehenen Preis der Wolf-Erich-Kellner-Gedächtnisstiftung für seine Habilitationsschrift „Triumph der Mitte. Die Mäßigung der Old Whigs und der Aufstieg des britischen Liberalkonservatismus, 1750–1850“ ausgezeichnet.

Die Veröffentlichung sämtlicher Kolloquiumsbeiträge ist für den im Herbst 2019 erscheinenden 31. Band des „Jahrbuchs zur Liberalismus-Forschung“ vorgesehen.

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Archivleiter Experte für die Geschichte des Liberalismus, Wissenschaftsgeschichte und Verfassungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts
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