Coronavirus
Optimismus ist Pflicht
„Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie“, sagte Ludwig Erhard. In diesem Satz steckt viel Weisheit. Zukunftsvertrauen stützt die Wirtschaft, Zukunftsangst hingegen frisst sie an. Wer morgen gute Erträge erwarten kann, der investiert und wirft die Produktion schon heute an; wer ein gesichertes Einkommen hat, der gibt sein Geld auch gern aus. In einem solchen Miteinander kann ein dauerhaft selbsttragender Wachstumsprozess entstehen, von dem alle Mitglieder der Gesellschaft profitieren. Häufig wird dieser Prozess in der öffentlichen Debatte unterstützt von beflügelnden, im Bewusstsein der Menschen verankerten Begrifflichkeiten wie „Wohlstand für alle“ und „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ oder auch „blühende Landschaften“. Wenn indes die meisten Leute damit rechnen, dass die Lage immer nur noch schlimmer wird, und deshalb ihre Aktivität drosseln, dann wird sie tatsächlich schlimmer.
Oftmals gibt es einen handfesten Grund für Niedergeschlagenheit und Pessimismus, wie zum Beispiel in der gegenwärtigen Corona-Krise, die der Weltwirtschaft absehbar mehr zusetzen wird als alles, woran sich die meisten Menschen aus ihrem eigenen Erleben erinnern können. Jeder, der jetzt ängstlich wird und dann auch so handelt, der verhält sich individuell durchaus rational, selbst wenn er den kollektiven Abstieg damit unabsichtlich beschleunigt. Richtig gefährlich wird es, wenn der Pessimismus nicht einmal mehr rational ist, sondern sich verselbständigt und weit um sich greift. Man kann auch ihn als eine Art Virus verstehen, das sich in einem fatalen sozialpsychologischen Prozess nicht nur mit Hilfe von politischen Verschwörungstheorien, sondern auch mit ökonomischen Fake News und Untergangsszenarien selbst ernährt und durch flächendeckende Ansteckung eine Spur der Verwüstung zieht. Dies gilt es zu verhindern, um den wirtschaftlichen Rückschlag durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung von Sars-Covid19 zu begrenzen und nach dem Abklingen der Krankheitswelle rasch wieder in Aufschwungsmodus zu kommen.
In der modernen Wirtschaftsgeschichte findet sich eine Fülle von Beispielen für die prägende Kraft der gesellschaftlichen „Narrative“. In der Alltagssprache ist dieser Begriff längst „viral gegangenen“ und wird inflationär gebraucht; in der wissenschaftlichen Fachsprache indes bezeichnet er Meta-Erzählungen, die populäre Stimmungen einfangen, prägen und als Ideologie verfestigen – im Guten wie im Schlechten. Narrative sind nicht immer falsch und schädlich. Viele von ihnen, zum Beispiel die Erzählungen vom Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit und der Sozialen Marktwirtschaft als deutschem Sonderweg, sind eine wichtige Quelle von Systemakzeptanz, sozialem Zusammenhalt und Motivation. Aber es kommt eben auch regelmäßig vor, dass in diesen Erzählungen Fake News kolportiert werden, unzutreffende ökonomische Zusammenhänge, agitatorische Prognosen. Das geschieht zum Teil lediglich mangels besseren Wissens, zum Teil auch in ideologischer Verblendung, zum Teil aber in manipulierender Absicht. Schon jetzt ist zu hören, Corona sei die Quittung dafür, dass man es mit der Globalisierung zu weit getrieben habe, und nun sei es zum Glück vorbei damit. Die massiven Wertverluste an den Börsen korrigierten endlich die materielle Ungleichheit, und in Zukunft müssten wir ohne die Kerosinschleudern am Himmel auskommen. Solche Vorhersagen fußen auf Fehlurteilen, und sie sind gefährlich.
Fake-News-Erzählungen folgen stets denselben Mustern; sie setzen stets an denselben, zum Teil existentiellen Ängsten und Vorurteilen an; und sie verschwinden selbst dann nicht ganz, wenn die Wirklichkeit sie längst widerlegt hat, sondern sie tauchen in leicht veränderter Form immer wieder auf. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Behauptung, der Menschheit gehe die Arbeit aus und Maschinen ersetzten allmählich die menschliche Arbeitskraft, die damit zwangsläufig der Verarmung anheimfalle. Diese Sorge findet sich sogar schon in der Antike, unter anderem bei niemandem Geringeren als dem Philosophen Aristoteles. In der industriellen Revolution geriet sie zum Narrativ und blühte mächtig auf, ebenso wie in der Weltwirtschaftskrise. Auch gegenwärtig geistert sie wieder herum, im Zusammenhang mit dem Siegeszug der Künstlichen Intelligenz. Die Verdrängungsangst der Menschen hält sich, obwohl die Wirtschaftsgeschichte alles andere ist als der Beleg allgemeiner Verarmung.
Wirkmächtig werden solche Vorstellungen und Erzählungen erst, wenn sie an gegebene subjektive Befindlichkeiten andocken und ihnen eine objektive, von der Meinung der Gruppe gestützte Bestätigung vorgaukeln; wenn sie in den Köpfen hängenbleiben, weil sie griffig, emotional oder moralisierend formuliert sind; wenn sie Menschen das Gefühl vermitteln, nicht allein zu sein, sondern sie zu einem womöglich zornigen „Wir“ zusammenschweißen. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller, der solche Erzählungen seit Jahren erforscht, berichtet in seinem dieser Tage auf Deutsch erschienenen neuen Buch „Narrative Wirtschaft“ davon, wie nach dem Ersten Weltkrieg die Inflationsperiode in den Vereinigten Staaten nur deshalb unmittelbar in eine Depression überging, weil eine Erzählung von Schmarotzertum, Ausbeuterei und Preiswucher viral ging und einen Konsumentenstreik auslöste. Der Spuk war erst vorbei, als eine andere Darstellung Fuß fassen konnte, die sich an einen plakativen, beruhigenden Begriff koppelte: „Normalcy“. Ähnlich lief es nach der Weltwirtschaftskrise, als es der amerikanischen Regierung endlich gelang, das verselbständigte Narrativ der immer weiter fallenden Preise mit einer massiven „Buy-now“-Kampagne zu durchbrechen.
Nicht immer ist so etwas von Erfolg gekrönt. Der Versuch, Fake News durch Aufklärung zu enttarnen und Erzählungen umzudrehen, kann auch nach hinten losgehen. In Echokammern greifen Fakten auch in normalen Zeiten selten; wer Fake News bekämpft, macht sich dort zum Feind. Mitten in der wirtschaftlichen Krise dazu angehalten zu werden, die sorgenvollen Narrative zurückzuhalten, kann außerdem erst recht die Panik befördern. Und dennoch muss man es versuchen. Statt etwas Schlimmes vorauszusagen, sagte Karl Popper, sollten wir uns dafür einsetzen, die Zukunft besser zu machen: „Wir alle bestimmen sie mit durch das, was wir tun: Wir sind alle mitverantwortlich für das, was kommt“. Popper hatte dafür sogar einen kraftvollen Slogan, der spätestens jetzt viral gehen könnte: „Optimismus ist Pflicht“.