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"Der Aufstieg der AfD lässt sich nicht allein durch Wirtschaft und Arbeit erklären"

Karl-Heinz Paqué zum Thema Populismus nach der Bundestagswahl 2017

Der Aufstieg der AfD lässt sich nicht allein durch Wirtschaft und Arbeit erklären. Es geht auch um das Vertrauen in den Staat. So sieht es der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Karl-Heinz Paqué mit Blick auf die Ergebnisse der Bundestagswahl 2017. Er warnt - obwohl selbst Volkswirt - vor einer zu engen ökonomischen Deutung der Zugewinne des Rechtspopulismus in Deutschland und Europa. Der Beitrag entstand im Nachgang zum Forum 2000 der Vaclav-Havel-Stiftung in Prag, das in diesem Jahr ganz im Zeichen der Auseinandersetzung mit den Ursachen und Folgen des Populismus in Europa und Amerika stand.

"Im neuen Deutschen Bundestag werden sechs Parteien vertreten sein. Darunter sind die wieder erstarkte FDP und die neu erstarkte AfD. Die beiden Parteien könnten in ihrer Grundausrichtung nicht unterschiedlicher sein. Schlagworthaft lässt sich formulieren: Die FDP steht für eine offene, die AfD für eine geschlossene Gesellschaft. Viele ziehen daraus den Schluss, dass der Rechtspopulismus der AfD dort besonders gut ankommt, wo die wirtschaftlichen Aussichten der Menschen relativ schlecht sind: Wo es an gut bezahlter Arbeit fehlt, da möchte man die Zugbrücken gegenüber dem Zustrom von Konkurrenz in welcher Form auch immer hochziehen, also: weniger Zuwanderung, weniger Handel, weniger weltweite und europäische Integration.

Diese Diagnose gehört zum Standardrepertoire, vor allem der politischen Linken. Sie ortet in der ökonomischen Spaltung des Landes die zentrale Ursache für den Ruck nach Rechts. Und manche Fakten bestätigen dies, vor allem natürlich das beachtliche Gefälle der AfD-Ergebnisse entlang der früheren innerdeutschen Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland.

Schaut man genauer hin, greift diese Diagnose allerdings viel zu kurz. Es gibt nämlich innerhalb des Westens und innerhalb des Ostens ein weiteres bemerkenswertes Gefälle. 

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Zweitstimmenanteil der AfD, Bundestagswahl 2017 © Wahlatlas, Btw17afd, CC BY-SA 4.0
 Geographisch verläuft es von Südosten nach Nordwesten. So schnitt die AfD in Ostbayern und Württemberg besonders gut ab, in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen dagegen relativ schwach; und in Ostsachsen lagen ihre Ergebnisse weit höher als an der mittleren Elbe im Raum Magdeburg, in Altmark und Prignitz sowie dem westlichen Mecklenburg. Dieses Südost/Nordwest-Gefälle hat nicht viel mit Wirtschaftskraft zu tun. Im Gegenteil, der Südosten des Westens ist auch in den ländlichen Regionen Teil des stärksten industriellen Raumes in Deutschland - anders als das zum Teil ländlich-strukturschwache Rheinland-Pfalz und die altindustriellen Zentren der Rhein/Ruhr-Region. Und im Osten gilt ausgerechnet der ostsächsiche Großraum Dresden als eine der wirtschaftlich gesündesten Regionen! Wo liegt also der Grund für dieses Gefälle? Noch weiß dies niemand genau, aber es gibt eine plausible, wenn auch noch vage Hypothese. Sie zielt nicht auf die "harte" Ökonomie, sondern auf "weiche" Werte. Mit Mut zur Vereinfachung lässt sie sich wie folgt formulieren: Der Südosten, traditionell auch die Hochburg der CDU bzw. CSU, ist inhärent konservativer als der Nordosten. Die Menschen wollen dort einen "starken Staat", weitgehend unabhängig von der eigenen und der regionalen wirtschaftlichen Lage. Geht wie 2015 an den Grenzen die Kontrolle des Staates verloren, sind die Menschen entsetzt; sie vergessen das nicht und bestrafen die dafür Verantwortlichen, wenn es rechtspopulistische Alternativen gibt. Natürlich gibt es diese Tendenz überall, aber sie fällt im traditionell weltoffeneren "atlantischen" Nordwesten Deutschlands erheblich schwächer aus.  Bemerkenswert ist auch, dass der deutsche Südosten an jene ausländischen Regionen angrenzt, die sich besonders vehement gegen die Aufnahme von Flüchtlingen wehren. Von Polen über Tschechein bis zur Slowakei und Ungarn, nirgends gab es die Bereitschaft zur Offenheit gegenüber muslimischen Flüchtlingen - und auch Österreich hat seit langem mit der FPÖ (und einer neuerdings nach rechts rückenden ÖVP) starke migrationsskeptische politische Parteien. Zugegeben, auch bei westlichen Nachbarn Deutschlands gab es einen kräftigen Aufstieg des Rechtspopulismus zum Beispiel mit Wilders in den Niederlanden und dem Front National in Frankreich. Allerdings geschah dies - im Unterschied zu den Vizegrad-Ländern - im Gefolge eines starken Anstiegs der muslimischen Bevölkerung und nicht erst zu Beginn einer als Bedrohung empfundenen Zuwanderung. 

Fazit

 Deutschland liegt wie so häufig in seiner Geschichte mitten auf der Schnittlinie zwischen Gefühlswelten und Gesellschaftswerten, die es immer schon gab, aber durch die Globalisierung neu akzentuiert wurden. Darauf muss die Politik reagieren, will sie die Menschen im Prozess des Wandels mitnehmen und nicht eine tiefe Spaltung des Landes riskieren. Einfache Rezepte dafür gibt es nicht, auch nicht den wirtschaftlichen Erfolg. Zumindest muss er ergänzt werden durch den Wiedergewinn des Vertrauens in den Rechtsstaat.