Ein Spiegelbild deutscher Realität
Seit dem Sommer gibt es in Halle starke Proteste gegen ein Hausprojekt der rechtsextremen Gruppe "Identitäre Bewegung". Die Stiftung für die Freiheit bot nun im Rahmen einer Veranstaltung eine Diskussionsplattform. freiheit.org hat mit Katja Raab (Leiterin des Regionalbüros Mitteldeutschland) und Prof. Dr. Johannes Varwick (Inhaber des Lehrstuhles Internationale Beziehungen und Europäische Politik an der Uni Halle und Vertrauensdozent der Stiftung) über das Thema gesprochen.
Frau Raab und Herr Prof. Varwick, wie ist die aktuelle Situation vor Ort? Welche Gruppen stehen sich mit welchen Forderungen gegenüber?
Varwick: Sachsen-Anhalt hat ein Rechtsextremismusproblem. Sichtbar etwa an einer Reihe an rechtsterroristischen Vorfällen, der Wirkung des Zentrums für Staatspolitik von Götz Kubitschek sowie des Verlages Antaios in Schnellroda, aber auch den Wahlerfolgen der AFD in der jüngsten Landtags- (24,3 Prozent) bzw. Bundestagswahl (19,6 Prozent). Im April 2017 hat sich dann ein so genanntes „identitäres Hausprojekt“ direkt gegenüber am Steintorcampus der Universität gegründet. Was dort genau passiert, wissen wir nicht, aber offenkundig haben wir hier einen Anlaufpunkt für die rechtsextreme Szene mit Schulungsszentrum und Konferenzräumen. Eine Art Basis zur rechtsextremen Agitation. Das dürfen wir nicht einfach ignorieren sondern wir müssen uns damit auseinandersetzen.
Raab: In Halle müssen wir leider eine Radikalisierung beobachten. Sowohl Kräfte von links, etwa die Antifa und das Bündnis „Kick them out“ treten teilweise aggressiv gegen die Identitären auf. Daneben gibt es aber auch eine breite Bürgerbewegung, die mit den Mitteln des demokratischen Protestes Stellung bezieht. So heißt es in einem Brief von 120 Anwohnern: "Wir wünschen ausdrücklich keine Nachbarschaft mit Ihnen. Wer andere Menschen ausgrenzt, bedroht und in Lebensgefahr bringt, kann nicht für sich eine gute Nachbarschaft beanspruchen." Halle ist also in mancher Hinsicht ein Spiegelbild deutscher Realität mit Extremen links und rechts – und einer aktiven Zivilgesellschaft in der Mitte. Wir wollen letztere stärken.
Im Kern ist der neue Rechtsextremismus ein antiliberales Projekt.
Herr Prof. Varwick, da sich das Haus - um das es geht - in direkter Nachbarschaft Ihres Lehrstuhls befindet, sprechen auch Sie sich immer wieder öffentlich gegen das Projekt aus. Welche Gefahr geht Ihrer Meinung nach von der Etablierung des „identitären Hauses“ aus?
Varwick: Die „Identitäre Bewegung“ und ihr Ableger „Kontrakultur“ versteht sich als eine Art intellektuelle Speerspitze der extremen Neuen Rechten. Sie wollen dem völkischen Nationalismus einen intellektuellen Anstrich geben. Sowohl der Verfassungsschutz Bund als auch der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt sehen offenkundig Beobachtungsgründe. Im Kern ist der neue Rechtsextremismus ein antiliberales Projekt und wir sollten, so meine ich, diesen Wertekonflikt offensiv austragen. Wir wollen deren Ansichten demaskieren und aufzeigen, wo deren Denken endet, nämlich in Hass, Menschenverachtung und letztlich Bürgerkrieg. Ich jedenfalls habe mich dafür entschieden, keine relativierende De-Thematisierung als Strategie für sinnvoll zu halten, sondern mich aktiv mit den Identitären auseinanderzusetzen. Jenseits von hilflosem Antipopulismus aber natürlich auch jenseits von Alarmismus – denn diese Gruppe ist zwar wirksam, aber doch recht klein. Rechtes Gedankengut ist aber weit in bürgerliche Kreise vorgedrungen. Tabus fallen, es verschiebt sich der Konsens, was man sagen darf und was nicht. Dazu trägt auch die AfD bei. In so einer Gemengelage kann auch eine kleine Gruppe viel Schaden anrichten.
Frau Raab, warum ist das ein Thema für die Stiftung?
Raab: in zentraler Begriff für unsere Stiftung ist der Begriff der Freiheit. Verbunden damit und mit unserem liberalen Weltbild ist das hohe Gut der Meinungsfreiheit, jedoch fußend auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Darum hat das Thema in zweierlei Hinsicht Relevanz für uns. Zum einen steht das Weltbild der Identitären und der Rechten Bewegung insgesamt diametral entgegen unserem freiheitlichen Verständnis und es ist geradezu eine Pflicht für uns als Stiftung der politischen Bildungsarbeit, dieses aufzuzeigen. Zum anderen stehen aber auch die bisher häufig am linken Rand verwendeten Strategien der Auseinandersetzung mit den Rechten nicht in Übereinstimmung mit unserem Verständnis von Freiheit. Wir setzen uns im verbalen Diskurs auseinander, nicht durch Gewalt und auch nicht durch die Ablehnung jeglicher inhaltlicher Auseinandersetzung. Nur so, und davon bin ich überzeugt, gewinnen wir zweifelnde Mitte der Gesellschaft der zurück.
Vergangene Woche haben Sie beide gemeinsam zur Diskussionsrunde geladen. 300 Leute sind gekommen, es musste sogar auf einen zweiten Saal ausgewichen werden. Welche Fragen waren den Besuchern besonders wichtig?
Varwick: Ja. Das war ein wirklicher Erfolg. Vermutlich war es die größte Diskussionsrunde dieser Art in Sachsen-Anhalt, die jemals stattgefunden hat. Neben der Demaskierung der Absichten und Strategien der Identitären, was mir besonders wichtig war, ging es den Diskussionsteilnehmern insbesondere um die Frage, wie man denn konkret in Universität und Gesellschaft damit umgehen soll.
Wir dürfen den Rechten nicht die Diskurshoheit im öffentlichen Raum überlassen
Und wie soll man mit den Identitären umgehen? Reden oder ignorieren? Was kann jeder Einzelne von uns tun?
Varwick: Zunächst: Ich diskutiere mit jedem, der sich auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung bewegt. Und das ist bei den Identitären ganz offenkundig nicht der Fall. Deswegen möchte ich über sie reden aber nicht mit ihnen reden. Andererseits: Wir brauchen einen Konsens und auch das Selbstvertrauen der Demokraten, dass gegenüber Extremisten nicht Feigheit hilft, sondern nur das offensive Auseinandersetzen mit deren Themen. Die Demokratie muss also in die Offensive kommen. Das ist in Halle auch unter schwierigen Bedingungen erstmal und bis auf weiteres gelungen.
Raab: Es gibt kein Patentrezept. Reden mit Identitären bringt wohl tatsächlich wenig, denn es ist unwahrscheinlich, Menschen mit einem fest geschlossenen Weltbild zu überzeugen. Aber wir müssen einerseits individuell mutig bleiben. Anderseits dürfen wir den Rechten nicht die Diskurshoheit im öffentlichen Raum überlassen. Bilden und vernetzten ist die Aufgabe, die Stiftung betreibt das aktiv.
Varwick: Absolute Zustimmung. Ergänzen würde ich noch, dass auch die Sicherheitsbehörden da eine wichtige Rolle spielen. Niemand muss individuell den Helden spielen im Umgang mit Rechtsradikalismus, und bei Gewalt hilft nur das staatliche Gewaltmonopol. Geistige Gewaltbereitschaft können wir aber durchaus argumentativ bekämpfen.