Eine Welt ohne Hunger ist möglich
Dürre und Flut, Krieg und Korruption, Bevölkerungswachstum und Ressourcenknappheit, unfairer Handel und Landraub – die Liste der Hürden und Herausforderungen im Kampf gegen Hunger und Armut ist lang. Trotzdem ist Dr. Till Wahnbaeck, Vorstandsvorsitzender der Welthungerhilfe, optimistisch: Wir werden die Generation sein, die den Hunger abschafft. Ein Gastbeitrag.
Auf den ersten Blick scheinen die Aussichten düster: noch immer hungern 815 Millionen Menschen weltweit und es stirbt alle 10 Sekunden ein Kind an den Folgen von Unterernährung. Die Ursachen von Hunger und Armut sind bekannt. Kriege, Klimawandel und Korruption führen in den betroffenen Ländern dazu, dass Menschen ihre Existenzgrundlage verlieren und die Staaten ihre Verantwortung gegenüber der Bevölkerung nicht wahrnehmen.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist die Abschaffung des Hungers zum Greifen nahe.
Im Südsudan warten jeden Monat Hunderttausende auf Flugzeuge am Himmel. Die riesigen Antonows aus russischer Produktion werfen weiße Säcke ab, damit wenigstens Grundnahrungsmittel wie Mehl oder Öl zur Verfügung stehen. Das Land hat fruchtbare Böden und genügend Wasser, um die Bevölkerung zu ernähren. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg führt immer wieder dazu, dass Familien ihre Dörfer aus Furcht vor Angriffen verlassen, Felder nicht bewirtschaftet werden und das Vieh von marodierenden Milizen getötet wird.
Im Norden Äthiopiens spüren die Nomaden und Viehhirten in der Afar-Region jeden Tag am eigenen Leib, was der Klimawandel bedeutet. Ihre Ziegen und Kamelherden werden immer kleiner, denn die Wasserstellen sind oft monatelang ausgetrocknet. Sie erzählen, dass die Abstände zwischen den Dürren immer kürzer werden und es keine Verschnaufpausen mehr gibt. Sie haben keine Ressourcen mehr, um solche Notlagen auszugleichen. Statistiken zeigen, dass die Zahl der Naturkatastrophen in den letzten hundert Jahren dramatisch zugenommen hat.
Im Kongo hat sich die Bevölkerung längst daran gewöhnt, für alle Dienstleistungen, die eigentlich staatliche Aufgaben sind, zu bezahlen. Eine Gegenleistung für die Geldscheine gibt es dabei nicht. Wer die Bundesstraße 4 von Beni nach Kisangani benutzt, zahlt für 400 km etwa 500 Euro an Instandsetzungsgebühren. Wer die riesigen und tiefen Schlaglöcher durchfährt ahnt, dass dieses Geld niemals bei der Straßenbehörde ankommt. Bei Inlandsflügen reicht oft das gültige Ticket nicht aus, um auch wirklich an Bord steigen zu können. Auch hier müssen zusätzliche Zahlungen geleistet werden.
Gründe für den Hunger: Kriege, Klima, Korruption
Kriege, Klima, Korruption: die „drei K’s“ unserer Arbeit werfen uns immer wieder zurück. Ist es vor diesem Hintergrund nicht naiv, trotzdem an eine Welt ohne Hunger zu glauben? Ich bin gelernter Historiker, und als Historiker betrachtet man lange Zeiträume. Und hier merken wir: die Welt wird besser. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist die Abschaffung des Hungers zum Greifen nahe.
Die Zahlen der letzten Jahrzehnte zeigen das in beeindruckender Klarheit: Die Kindersterblichkeit ist rapide zurückgegangen; während 1960 noch 22 Prozent der Kinder unter fünf Jahren starben, sind es 2013 nur noch knapp fünf Prozent weltweit. Die Rate der Hungernden auf der Welt hat sich in den letzten 30 Jahren halbiert, von 20% in 1990 auf jetzt unter 11%. Und wenn vor 200 Jahren noch 9 von 10 Menschen auf der Welt in absoluter Armut lebte, ist es jetzt nur noch einer von 10. Auch bei anderen wichtigen Faktoren wie Gesundheit oder Alphabetisierung sind die Erfolgsraten beeindruckend. Überall hat sich die Situation um bis zu 70 Prozent verbessert. Bei einem Besuch in der Dominikanischen Republik habe ich gelernt, was diese Erfolgsraten für den Alltag bedeuten können. Ein altes Ehepaar erinnerte sich daran, wie sie vor 40 Jahren nicht ausreichend zu essen hatten, keinen Strom oder fließendes Wasser kannten. Für ihre Enkelkinder sind dies bereits Selbstverständlichkeiten.
Und so glaube ich in der Tat, dass wir die Generation sein werden, die den Hunger abschafft. Vor einiger Zeit habe ich eine interessante Definition von Optimismus gelesen: ein Optimist ist nicht der, der hofft, dass alles gut wird. Sondern der, der dafür arbeitet, dass alles gut wird. Wer schon einmal einen Marathon gelaufen ist, weiß, dass die letzten Kilometer die härtesten sind. Und so müssen wir unsere Anstrengungen enorm verstärken, wenn wir den Hunger bis 2030 besiegen wollen. Dabei spielt Fairness eine entscheidende Rolle.
Freihandel ja, aber nicht um jeden Preis
Die internationale Handelspolitik ist bislang geprägt von der Dominanz der Industrieländer, die ihre Interessen durchsetzen wollen. Freihandel um jeden Preis schafft keine fairen Bedingungen und manchmal braucht Entwicklung auch einen vorübergehenden Schutz, damit Betriebe wachsen können. Fairness ist auch im Verhältnis zwischen Stadt und Land wichtig. In vielen Ländern des Südens werden die ländlichen Räume massiv vernachlässigt, die Staaten investieren vor allem in die städtische Entwicklung und Infrastruktur. Dabei leben noch immer drei von vier Hungernden auf dem Land. Und die junge Generation braucht zukünftig ebenfalls eine faire Chance, um Jobs und eine Perspektive für die Zukunft zu bekommen. Allein in Afrika drängen jedes Jahr 10-12 Millionen junge Menschen auf den Arbeitsmarkt.
Es ist eine gute Nachricht, dass die Überwindung von Hunger und Armut als Priorität für die Entwicklungspolitik benannt wird. Wenn Deutschland zukünftig seine Rolle wahrnimmt und wir gemeinsam die Welt fairer machen, dann können wir es schaffen: Null Hunger bis 2030.