Garant für Eigentumsrechte in Indien?
Die Anhänger feiern die Technologie als den Anfang einer neuen Ära: Blockchain, so sagen sie, werde die Welt verändern wie wenige Erfindungen zuvor. Nur mit Mühe versteht der technische Laie die Euphorie; es ist wie bei den meisten Neuerungen, die erst nach einer Anlaufzeit von den Massen adaptiert werden. Ob die Blockchain-Technologie entrechteten Bauern in Indien helfen kann, diskutierten Experten auf einer internationalen Konferenz in Neu Delhi.
Bei Blockchain handelt es sich um eine Datenbank. Bildlich kann man sie mit dem Protokoll einer Sitzung vergleichen, das in verschlüsselter Form gesichert allen Teilnehmern der Sitzung zur Verfügung steht. Da alle Beteiligten eine Kopie besitzen, ist eine einseitige Verfälschung oder Zerstörung der Daten nicht möglich. Der Begriff „Blockchain“ beschreibt eine „Kette von Blöcken“, in denen Transaktionen zu Blöcken zusammengefasst werden und – wie eine Kette – aneinandergefügt werden. Die Sicherheit vor Manipulation und die Dezentralität gelten als die großen Vorteile der Blockchain-Technologie.
Für erhebliche Unruhe sorgt Blockchain vor allem in der Finanzwirtschaft, wo schnelle und zuverlässige Transaktionen von großen Datenmengen immer wichtiger werden. Im Prinzip eignet sich das Blockchain-Verfahren für sämtliche Arten von Registern, in denen wir Dokumente über Transaktionen aufbewahren. Und das sind viele; man denke nur an die endlosen Vorgänge im Einwohnermeldeamt, bei der Arbeitslosenverwaltung, den Grundbuchämtern, ja eigentlich der gesamten öffentlichen und nicht-öffentlichen Verwaltung.
„Heute hat jedes größere Finanzinstitut eine Abteilung, die sich mit Blockchain-Technologie befasst“, sagt Or Perelman, ein Start-up Unternehmer aus Israel, der die schwedische Regierung bei der Einführung einer Blockchain-gestützten Grundstücksverwaltung berät. Perelman war einer Einladung der Stiftung für die Freiheit nach Neu Delhi gefolgt, um dort an einer internationalen Konferenz zum Thema „Blockchain und Eigentumsverwaltung“ teilzunehmen.
Bauern ohne Rechtssicherheit
In Indien besteht bei der Verwaltung von Grund und Boden großer Handlungsbedarf. Bei rund zwei Drittel der bei den Gerichten anhängigen Verfahren gehe es um Immobilienstreitigkeiten, erfuhren die Konferenzteilnehmer von indischen Experten. Besonders dramatisch ist die Situation auf dem Land, wo viele Bauern keine sicheren Rechtstitel für das Land, das sie beackern, besitzen. Die fehlende Rechtssicherheit ist nicht nur eine Bedrohung für die Eigentumsfreiheit der Betroffenen; sie ist auch eine Entwicklungsbremse, da die Banken die Bauern nicht für kreditwürdig einstufen, folglich keine Investitionen erfolgen und die Menschen kaum eine Chance haben, der Armut zu entrinnen.
Die Sicherung der Eigentumsrechte marginalisierter Bauern ist das Ziel eines Projektes, das die Stiftung mit Sondermitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Bundesstaat Gujarat durchführt. Mit GPS-Technik und Satelliten-Fotos unterstützen unsere Partner die Bauern, ihre Eigentumsrechte bei den Grundbuchämtern durchzusetzen.
Auf der Blockchain-Konferenz von Neu Delhi wollten unsere Partner prüfen, ob diese Technologie geeignet ist, im Kontext Indiens die Eigentumsrechte und Rechtssicherheit der Landbevölkerung zu stärken. Experten präsentierten Fallbeispiele von Blockchain-Anwendungen in öffentlichen Verwaltungen in Schweden, Honduras und Dubai.
Spitzenreiter Dubai
Mit großem Abstand am weitesten in der Anwendung ist das arabische Emirat Dubai. Dessen innovationsfreudige Herrscher haben angeordnet, dass ab 2020 alle öffentlichen Transaktionen ausschließlich auf der Blockchain abzulegen sind. Erfolgreich verläuft, so berichtete der Start-up Unternehmer aus Israel, auch das Projekt zur Reform der Grundstücksverwaltung in Schweden. Entscheidend für das Gelingen des Reformprojektes sei – so Perelman – die Kooperation der staatlichen Stellen. „Wenn man die öffentliche Hand nicht an Bord hat, funktioniert das Ganze nicht“, so der Israeli.
Diese Erfahrung mussten die Blockchain-Protagonisten im mittelamerikanischen Honduras machen. Dort wurde die Reform der Grundstücksadministration maßgeblich von einer liberalen Nichtregierungsorganisation vorangetrieben. Im Lichte nahender Wahlen hat die Regierung das Vorhaben vorläufig auf Eis gelegt, erzählt Guillermo Pena von der Fundacion Eleutera in Neu Delhi.
In Indien hat Ministerpräsident Narendra Modi die digitale Transformation zum Programm gemacht. Mit allerlei Vorhaben will die Regierung, das in weiten Teilen noch wenig entwickelte und verarmte Schwellenland, in die Moderne katapultieren. Doch – so eine zentrale Erkenntnis der Konferenz: Der Wille zur Reform stößt beim Landthema an seine Grenzen.
Damit die Blockchain-Anwendung in der Grundstücksverwaltung in Frage kommt, müssten zunächst die Grundbücher in Ordnung gebracht bzw. aktualisiert werden. Eine derartige Bereinigung würde – so sagen indische Konferenzteilnehmer – eine Lawine von Konflikten und Rechtsstreitigkeiten auslösen, die die bereits überforderten Gerichte nicht bewältigen könnten. „Jedes Projekt zur Reform der Grundstücksverwaltung muss mit einer Einigung über die Grundstücksverträge beginnen“, sagt Sunil Kumar, von der NRO Landesa India, die sich für die Landrechte marginalisierter Bauern stark macht. An dieser Bereinigung oder Klärung der Besitzverhältnisse haben einflussreiche und politisch gut vernetzte Gruppen kein Interesse. Viele könnten in derartigen Verfahren den Grund und Boden verlieren, den sie – so die verbreitete Unterstellung –unrechtmäßig okkupieren.
Am Ende stand die Erkenntnis: Nicht jede neue Technologie ist überall und in jeder Lebenslage anwendbar. Konkret für Indien wurde deutlich, dass zunächst die Voraussetzungen für eine auf rechtsstaatlichen Prinzipien basierende Grundstücksverwaltung geschaffen und umgesetzt werden müssen. Erst dann macht es Sinn, über die Blockchain-Technologie ernsthaft nachzudenken.
Dr. Ronald Meinardus leitet das Regionalbüro Südasien der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Neu Delhi.