Gedenken
Pflichtbewusst, bescheiden und ein kantiger Charakter – zum ersten Todestag von Klaus Kinkel
Er bildete den Schlussstein einer großen und erfolgreichen liberalen Tradition in der deutschen Außenpolitik während des 20. Jahrhunderts, die 1922 mit Walter Rathenau begann und mit dem Ausscheiden Klaus Kinkels 1998 endete.
Dabei lief Kinkels Lebensweg lange eher auf eine Karriere in der Verwaltung als in der Politik hinaus. Der promovierte Jurist war 1965 in die Bundesverwaltung eingetreten. Im Innenministerium suchte der neue Minister Hans-Dietrich Genscher nach Amtsantritt 1969 jemanden als persönlichen Referenten und stieß auf den ORR Kinkel. Damit begann eine Verbindung, die bis zu Genschers Tod andauerte. Dieser schätzte an seinem Adlatus die Verlässlichkeit und den Umstand, dass dieser sich nicht alles gefallen ließ, sondern mitunter „zurückschnauzte“. Das Vertrauen war so groß, dass Genscher den außenpolitischen Novizen 1974 mitnahm und zum Leiter des Planungsstabes machte, als er selbst an die Spitze des Auswärtige Amtes wechselte. Und er ließ seine große Stütze wohl nur ungern ziehen, als 1979 die Leitung des Bundesnachrichtendienstes erstmals mit einem Zivilisten zu besetzen war.
Auch dieser schwierigen Funktion bewährte sich der liberale Schwabe, konnte sogar mit einem Überläufer einen großen Erfolg im Kampf der Geheimdienste feiern. Schon nach gut drei Jahren kehrte Kinkel nach Bonn zurück, da der neue Justizminister Hans Engelhardt auf der Suche nach einem versierten Staatssekretär Genschers Empfehlung folgte. Lange bevor er selbst Anfang 1991 zum Minister aufstieg, führte Klaus Kinkel faktisch dieses wichtige Ressort, welchem in den Zeiten der deutschen Einheit große Anforderungen im Hinblick auf die Vereinheitlichung der Rechtssysteme oblagen.
Doch schon nach nicht einmal anderthalb Jahren wurde ihm die Leitung des Auswärtigen Amtes übertragen, die bald auch die Vizekanzlerschaft und dann als Nachfolger von Otto Graf Lambsdorff den FDP-Vorsitz nach sich zog. Um die neue Aufgabe war Klaus Kinkel eigentlich nicht zu beneiden. Denn, wie sein Vorgänger höchstwahrscheinlich vorausgesehen hatte, trugen die Maxime und Konzepte, mit der Deutschland außenpolitisch nach 1945 wieder zu einem ebenbürtigen Partner in der Weltpolitik geworden war, nach Ende des Kalten Krieges nicht mehr so richtig. Infolgedessen suchte Klaus Kinkel einen Kurs zwischen Kontinuität und Aufbruch zu verfolgen: In den Fragen der Menschenrechte und der EU-Erweiterung setzte er die Politik Genschers fort, ebenso in den Bemühungen einer engeren Anbindung Russland an die Nato. Dagegen sah er aber eine größere Verantwortung Deutschlands in sogenannten Out-of-Area-Einsätzen, die mit einem ständigen Sitz Deutschlands im UNO-Sicherheitsrat abgesichert werden sollte. Letzteres gelang jedoch weder ihm noch allen nachfolgenden Außenministern.
Vor allem aus Pflichtgefühl entzog sich Klaus Kinkel nicht, als 1993 auch der FDP-Vorsitz an ihn herangetragen wurde – gewissermaßen eine Parteikarriere von null auf hundert, denn Kinkel war erst seit kurzer Zeit überhaupt Parteimitglied, hatte also nicht den berühmten „Stallgeruch“. Als er den Vorsitz nach zwei Jahren an Wolfgang Gerhardt übergab, schaute er auf eine schwierige Zeit zurück: Die FDP hatte, nach einer Serie schlechter Wahlergebnisse vor allem im Osten des Landes, bei der Bundestagswahl 1994 zwar kein glänzendes, aber ein respektables Wahlergebnis eingefahren, das die Fortführung der Koalition aus CDU, CSU und FDP ermöglichte. Kurz nach der Wahl 1994 hatte er mit der Berufung Guido Westerwelles zum Generalsekretär eine wichtige politische Weichenstellung eingeleitet, mit der sich ein Politikwechsel in der FDP andeutete.
Kinkel widmete sich danach ganz der Außenpolitik. Als bei der Bundestagswahl 1998 die Regierung Kohl-Kinkel ihre Mehrheit verlor, schied auch Klaus Kinkel aus dem Amt. Er blieb noch vier Jahre Bundestagsabgeordneter, übernahm aber auch neue Funktionen als ehrenamtlicher Förderer von Sport und Bildung, u. a. indem er ein Jahrzehnt die Telekom-Stiftung leitete. Seine letzte große Aufgabe war die Regelung des vielbegehrten Nachlasses seines großen Förderers und Freundes Genscher. In Zusammenarbeit mit Frau Genscher traf er – ganz Diplomat – eine allseitig akzeptierte Regelung. Bis zuletzt verstand er es als seine Aufgabe, nicht so sehr für den eigenen Nachruhm, sondern vor allem das Erbe seines großen Vorbildes zu werben, auch bei verschiedenen Veranstaltungen unserer Stiftung.
Pflichtgefühl und Verlässlichkeit waren Klaus Kinkel wichtiger als Glanz. In einem Interview unmittelbar vor der für die Liberalen so bedeutsamen Bundestagswahl von 2017 rief er die FDP dazu auf, auf „Solidität“ zu setzen, denn nur so lasse sich das unabdingbare „Vertrauen“ zurückgewinnen. Solidität auf schwäbisch-liberale Art verkörperte Klaus Kinkel mustergültig, damit hat er für die Sache des Liberalismus in seinen unterschiedlichen Funktionen und unter schwierigen Umständen viel erreicht. Ein derartiges Vorbild ist sicherlich zeitlos, seine besondere Bedeutung bleibt, gerade in der Gegenwart.