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Neue Regierung, Reformen, internationale Hilfen – wie geht es weiter im Libanon?

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Die Explosion von Beirut ist knapp eine Woche her. Die Stadt und ihre Bewohner stehen nach den schrecklichen Ereignissen, die mehr als 170 Todesopfer und über 7000 Verletzte forderten, immer noch unter Schock. Doch der Libanon kommt nicht zur Ruhe. Die Menschen schwanken zwischen Verzweiflung und Wut. Seit dem vergangenen Samstag kam es wieder zu Massenprotesten und teils gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten, mehrere Abgeordnete des Parlaments haben ihr Mandat zurückgegeben, am Montag trat dann die Regierung unter Premierminister Diab geschlossen zurück.

Unterstützung aus Europa

Vor diesem Hintergrund reiste nun auch Außenminister Heiko Maas nach Beirut. Nach Präsident Macron und Ratspräsident Michel war das der dritte Besuch eines europäischen Regierungsvertreters. Der Besuch war vor allem eine Geste an das libanesische Volk: Man wollte zeigen, dass Deutschland ihnen in dieser schwierigen Lage zur Seite steht. Insgesamt hat Deutschland bei der von Frankreich und den Vereinten Nationen initiierten Geberkonferenz 20 Millionen Euro Nothilfen zugesagt, eine Million davon hatte die Bundesregierung bereits im Gepäck und überreichte dem Libanesischen Roten Kreuz einen Check, um die medizinische Versorgung im Land zu verbessern. Die Hilfen sind dringend notwendig, doch stabilisiert ist der Libanon damit noch lange nicht. Schließlich befand sich das Land schon vor der Katastrophe in der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seiner Geschichte, dazu kam die Corona Pandemie. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 40 Prozent, die Währung hat seit Jahresbeginn 80 Prozent ihres Wertes eingebüßt und immer mehr Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Reformen sind dringend nötig, doch die libanesische Politik schafft es selbst in einer der dunkelsten Kapitel der jüngeren Geschichte nicht, diese umzusetzen. Die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) stecken seit April in der Sackgasse, weil die Regierung nicht in der Lage war, gemeinsame Zahlen zu den Verlusten bei der Zentralbank vorzulegen.

Protestbewegung fehlt Identifikationsfigur

Doch kann es einen Ausweg für das krisengebeutelte Land geben? Nach dem Rücktritt der Regierung – die immer noch geschäftsführend im Amt ist – wird bereits wild spekuliert. Viele Demonstranten fordern ein Ende des anhand der Konfessionen fein austarierten Systems und baldige Neuwahlen. Im Zedernstaat gibt es 18 unterschiedliche Religionsgruppen, bislang wurden Positionen in öffentlicher Verwaltung, in der Politik aber auch in der Privatwirtschaft nach Religionszugehörigkeit verteilt. Parlamentswahlen sind erst für 2022 vorgesehen, viele Demonstranten fordern seit den Protesten im Herbst 2019 vorgezogene Neuwahlen. Beides erscheint angesichts der festgefahrenen Situation derzeit aber wenig realistisch. Das hat auch mit der Protestbewegung selbst zu tun. Bei der sogenannten Zedernrevolution von 2005 wurden die Proteste von Intellektuellen, wie Samir Kassir oder Gebran Tueni angeführt. Solche Identifikationspersonen sucht man bei den derzeitigen Protesten vergeblich. Die Bewegung ist wenig organisiert und es fehlt an intellektuellem Unterbau. Fragen, wie ein neues politisches System organisiert werden kann oder wie eine Wahl ohne neues Wahlrecht Veränderung herbeiführen soll, bleiben unbeantwortet. Zudem birgt ein abrupter Systemwechsel auch erhebliche Gefahren. Gerade der multi-konfessionelle Libanon könnte schnell ins Chaos versinken wenn sich eine der Gruppen nicht mehr repräsentiert fühlt.

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Rückkehr des ehemaligen Premierministers Hariri?

Deshalb erscheint die Bildung einer neuen Regierung, die die Verhandlungen mit den internationalen Geldgebern wiederaufnehmen kann und das Land so stabilisiert, als die realistischere Option. Daran sollte auch Deutschland und die EU ein Interesse haben. In den Hinterzimmern laufen die Verhandlungen über eine neue Regierung bereits auf Hochtouren. Zwei Namen fallen bei der Suche nach einem möglichen Regierungschef immer wieder: Saad Hariri und Nawaf Salam. Der ehemalige Premierminister Hariri hat eine Rückkehr nicht ausgeschlossen, diese aber an klare Bedingungen geknüpft. Keine Beteiligung der Hisbollah, ein von Experten geprägtes Kabinett, zusätzliche legislative Befugnisse und keine Rolle für den mächtigen Schwiegersohn des Präsidenten Michel Aoun, Gebran Bassil. Hariri kann sich dabei auf die Unterstützung von Kuwait, Saudi-Arabien und Teilen der amerikanischen Administration verlassen und er repräsentiert die größte sunnitische Partei im Land. Doch er hat ein großes Manko. Schließlich ist Hariri im vergangenen Herbst aufgrund der Proteste zurückgetreten. Mit seiner Rückkehr würde das Land nur schwer zur Ruhe kommen. Der andere Favorit ist Nawaf Salam, ehemaliger UN-Botschafter des Libanons und aktueller Richter am internationalen Strafgerichtshof. Salem hat prominente Unterstützung aus den USA und Frankreich und ist der heimliche Favorit der Straße. Er gilt als unabhängig und integer. Was ihm aber fehlt, ist eine politische Basis, um im Parlament Mehrheiten zu organisieren und so notwendige Reform zu verabschieden. 

Zentrale Rolle der internationalen Gemeinschaft

Unabhängig davon wer am Ende die Übergangsregierung leiten sollte, die EU und Deutschland müssen jetzt engagiert bleiben und den Druck auf den Libanon erhöhen. Denkbar ist eine Libanon-Initiative, die auf drei Säulen beruht: Erstens muss eine neue libanesische Regierung eine unabhängige internationale Untersuchungskommission zu der Explosion zulassen. Die Menschen im Libanon haben kein Vertrauen in die hiesige Politik und deren Interesse an der Wahrheitsfindung. Deshalb sind unabhängige Experten unerlässlich – denn nur so kann herausgefunden werden, warum das Ammoniumnitrat so lange im Hafen gelagert wurde, wer dafür verantwortlich ist und warum trotz wiederholter Warnungen niemand gehandelt hat. Zweitens dürfen langfristige Wiederaufbauhilfen für den Libanon nur bei Gegenleistung von nachhaltigen politischen Reformen fließen. Hier wäre eine Liste von 10 bis 15 Kernforderungen, wie die Restrukturierung des Energiesektors oder die Privatisierung des Hafens, notwendig. Mittel würden erst fließen, wenn die jeweilige Kernforderung erfüllt ist. Und drittens sollte auch darüber nachgedacht werden, direkt in den Privatsektor zu investieren, etwa mithilfe der Europäischen Investitionsbank. Der Libanon ist traditionell stark im Bereich der Fertigung, es gibt eine lebendige Start-Up-Szene und kleinere Technologieunternehmen. Doch aufgrund der Finanzkrise kommen selbst profitable Unternehmen immer schwerer an Kredite.

Mit der Libanon-Initiative kann Deutschland und Europa auf einen vorsichtigen aber druckvollen Wandel setzen. Dabei könnte Deutschland insbesondere im Rahmen der aktuellen EU-Ratspräsidentschaft eine Führungsrolle einnehmen. Die Bundesrepublik genießt im Libanon hohes Ansehen. Es gibt keine Vergangenheit als Kolonialmacht und Berlin werden keine versteckten Interessen unterstellt. Gute Voraussetzungen für eine starke Vermittlerrolle, die Deutschland schon beim Austausch von Gefallenen nach dem Krieg von 2006 ausgeübt hat. Doch um den Erwartungen gerecht zu werden, muss das Engagement der Bundesrepublik über die vorsichtigen Worte des Außenministers während seines Besuchs in Beirut hinausgehen.