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Zeitfenster für bürgerliche Kräfte in der Slowakei

Der Ministerpräsident geht, aber es gibt keine Neuwahlen
Robert Fico
Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico räumt seinen Posten © CC BY-SA 3.0 commons.wikimedia.org/ MGlen

Das Bauernopfer war nicht genug. Nach dem Mord an dem Journalisten Jan Kuciak, der dabei war, Korruption in höchsten Regierungskreisen aufzudecken, und seiner Freundin hatte der slowakische Ministerpräsident Robert Fico geglaubt, mit der Entlassung von Innenminister Kaliňák die Wogen glätten zu können. Heftige Demonstrationen und ein Koalitionspartner machten ihm einen Strich durch die Rechnung. Nun ist Fico zurückgetreten. Wie geht es nun weiter mit der Slowakei?

Präsident Andrej Kiska, der schon seit einiger Zeit eine moralische Erneuerung der Politik und personelle Konsequenzen aus der Mordaffäre Kuciak gefordert hatte, nahm gestern Robert Ficos Rücktrittsgesuch umgehend an. Zu schwerwiegend waren die Verfehlungen der Regierung, zu sehr das Vertrauen der Bürger in die politische Klasse erschüttert.

Die Entlassung des Innenministers, die Fico zunächst als „Bauernopfer“ der Öffentlichkeit offeriert hatte, zog nicht mehr. Die heftigen Demonstrationen gegen die Regierung in allen Städten des Landes gingen weiter. Einer der Koalitionspartner von Ficos regierenden Sozialdemokraten, die gemäßigte ungarische Minderheitenpartei Most-Hid hatte Neuwahlen gefordert und ihren Austritt aus der Regierung angekündigt, sollte dieser Forderung nicht Rechnung getragen werden. Ficos Regierung drohte der Mehrheitsverlust im Parlament. Sein Rücktritt war deshalb konsequent und unausweichlich.

Nachfolger, nicht Neuwahlen

Ein Nachfolger steht schon bereit. Der bisherige Minister für Investitionen, Peter Pellegrini, wird als Ficos Nachfolger im Ministerpräsidentenamt vereidigt werden. Das könnte ein geschickter Schachzug Ficos sein: Denn erstens ist Pelegrini (obwohl Teil der Fico Regierung) vergleichsweise unbescholten und populär. Der dynamisch wirkende Minister hat sich vor allem für Fragen der digitalen Zukunft des Landes eingesetzt und sich dabei den Beinamen „Digital Champion of Slovakia“ erworben. Zweitens hat Pelegrini kaum so etwas wie eine Machtbasis in der Partei und ist daher immer noch in hohem Maße von Fico als Strippenzieher abhängig. Boshafte Kommentatoren sprechen gar von einer „Marionette“ Ficos. Drittens sind mit Pelegrini als neue Spitze Neuwahlen vorerst abgewendet, die für die Regierungspartei verhängnisvoll gewesen wären.

Tatsächlich hätte ein Sturz der Regierung mit anschließenden Neuwahlen viele Fragen aufgeworfen – auch für regierungskritische Bürger. In der polarisierten politischen Szene der Slowakei, deren Diskurs von populistischen Kräften dominiert ist, war Fico und seine Smer-Partei fast so etwas wie eine Kraft des Ausgleichs. Er hielt zum Beispiel (trotz mancher verbaler Ausfälle) das Land fest in der EU und stand für eine Westbindung. Liberale und zentristische Kräfte mit nennenswerten politischem Gewicht gibt es seit der krachenden Wahlniederlage der bürgerlichen Koalitionsregierung unter Ministerpräsidentin Iveta Radičová im Jahre 2012 nicht mehr. Die damaligen Regierungsparteien sind von der politischen Szenerie verschwunden. Fico hinterlässt nun eine große Lücke in der politischen Landschaft, die bis zu allfälligen vorgezogenen Neuwahlen nicht hätte gefüllt werden können. Das Land wäre destabilisiert oder am Ende gar von nationalpopulistischen Kräften regiert worden.

Proteste
Zuletzt hatten heftige Proteste das Land erschüttert © CC BY-SA 4.0 commons.wikimedia.org/ Bubamara

Wenn die Wahlen nunmehr an ihrem regulären Termin im Jahr 2020 stattfinden werden, besteht eine Chance, dass sich liberale und bürgerliche Kräfte wirksam organisieren können, denn Smer kann diese Position kaum mehr besetzen. Eine hohe Nachfrage unter den Wahlbürgern besteht jedenfalls.

Neue Parteien

Inzwischen gibt es auch Anzeichen dafür, dass sich pro-europäische bürgerliche und liberale Kräfte zu formieren beginnen. So haben sich zwei durchaus erfolgversprechende Parteien gebildet, die mit einem professionellen Personal aufwarten können. Da ist zunächst einmal die Partei Spolu (Zusammen). Die gerade in Gründung befindliche Partei hat bereits sieben Parlamentsmitglieder, die sich ihr aus anderen Parteien kommend angeschlossen haben. Sie ist gemäßigt marktwirtschaftlich, legt aber auch auf den Ausbau der staatlichen Sozialsysteme Wert. Vereinzelt versucht sie auch mit sozialen „Geschenken“ – etwa an Staatsbedienstete – zu punkten. Vor Kurzem haben sie beschlossen, sich auf europäischer Ebene der christdemokratischen EVP anzuschließen.

Und dann ist da noch Progresivne Slovensko (PS; Fortschrittliche Slowakei): Die Partei entstand aus einem Think Tank und gilt als bürgerrechtsliberal. Versuche, sie in eine wirtschaftspolitisch „linke“ Ecke zu stellen, kontert sie mit dem Argument, dass gerade bei ihr die modernen, digital orientierten Unternehmer engagiert sind, die für Dynamik und Wettbewerb stehen. Die Partei ist gut in der Zivilgesellschaft eingebettet und erste Umfragen geben ihr Chancen auf politischen Erfolg. Sie verfügt über ein Parlamentsmitglied – ebenfalls aus einer anderen Partei übergelaufen. Ansonsten sind aber viele Führungskräfte – etwa der Vorsitzende Ivan Štefunko - der Partei Neueinsteiger, weshalb die PS als „unverbraucht“ und nicht korrumpiert wahrgenommen wird. Die Partei hat angekündigt, dass sie sich auf europäischer Ebene der liberalen ALDE anschließen möchte.

Positiv ist, dass sich die beiden bürgerlichen Kräfte – bis jetzt zumindest – nicht in Grabenkämpfen untereinander aufreiben. Für die anstehende Bürgermeisterwahl in Bratislava haben sie sich zum Beispiel auf einen gemeinsamen Kandidaten geeinigt. Trotzdem bleibt noch viel zu tun. Ob der Aufbau tragfähiger Partei- und Wahlkampfstrukturen gelingt, bleibt abzuwarten. Zumindest sieht es so aus, als ob der Wegfall von Neuwahlen hier Zeitfenster eröffnet. Dieses Zeitfenster sollte genutzt werden, um den verhängnisvollen Trend der Länder Mitteleuropas zum Populismus auszubremsen. Die Slowakei, die lange ein Musterbeispiel für moderne Reformpolitik war, hat die Chance, hier ein gutes Beispiel zu setzen.

Dr. Detmar Doering ist Projektleiter für Mitteleuropa und die Baltischen Staaten der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.