Die Zypernfrage
Heute wie vor zehn Jahren bildet die Zukunft Zyperns, der zweigeteilten Insel im östlichen Mittelmeer, eine der vielen anscheinend unlösbaren Fragen der Weltpolitik. 2008, wenige Jahre nach dem Scheitern des Annan-Planes durch das ablehnende Votum der großen Mehrheit der griechischen Inselbewohner und kurz vor Präsidentschaftswahlen im griechischen Inselteil wurde auf türkischer Seite der Eindruck erweckt, man sei auf dem Wege zu international anerkannter Zweistaatlichkeit der Insel. Dies schien der Ausweg aus der Unfähigkeit beider Seiten, sich über die konstitutive Verfasstheit eines zyprischen Gesamtstaates (mit seinen ca. 80 Prozent griechisch-sprachigen und 20 Prozent türkisch-sprachigen Bewohnern) zu einigen. Weder der Goodwill der damaligen Teilstaat-Präsidenten noch die ernsten Verhandlungsbemühungen ihrer jeweiligen Nachfolger haben die Zypernfrage seither einer einer Lösung nahegebracht.
Aufgrund der Gasfunde in den Inselgewässern und der günstigen strategischen Lage (nicht zuletzt für die potentiellen Gasexporteure Israel und Ägypten) wächst der äußere Druck, endlich die längst überfällige Einigung zu finden. Weiterhin stehen kontroverse Fragen wie die Restituierung von Eigentum, die Rückkehr von Bewohnern in ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete, die Zukunft der türkischen Militärpräsenz und die Rolle der bisherigen Garantiemächte trotz intensiver UN-Bemühungen einer friedlichen Regelung im Wege. Die Kompromisswilligkeit beider Seiten ist erschöpft, wobei sich offenkundig die griechische Seite am „längeren Hebel“ wähnt. Sie profitiert – wie gerade die Bankenkrise 2010 unter Beweis gestellt hat – von den Rettungsankern, die ihr der europäische Integrationsprozess großzügig zur Verfügung stellt, und sie scheut sich nicht, eigene Interessen – „wenn es denn sein muss“ – über das politische und strategische Gesamtinteresse Europas zu stellen. So war es vor zehn Jahren – so ist es heute. Das jüngste türkische Vorgehen gegen Gasexplorationsfirmen zeigt allerdings: Nicht der längere Hebel, sondern Kompromisse bleiben das Gebot der Stunde.