Marokko und die Sehnsucht der Gründer nach Dynamik
Das Bildungswesen im Westen der arabischen Welt war und ist großenteils immer noch auf ein Angestellten- und Beamtenleben ausgerichtet. Doch mehr und mehr junge Marokkaner setzen mittlerweile auf Selbständigkeit und Start-ups. Auch die Politik hat das Feld entdeckt: 2011 entwickelte das Ministerium für Industrie, Handel und neue Technologien eine Strategie, um mehrere Tausend Studenten zu sensibilisieren und Projekte zu unterstützen. Damit ist es spät dran, und vieles existiert bereits: Seit 2001 gibt es den Technopark in Casablanca, jetzt auch mit Niederlassungen in Rabat und Tanger. Damit ist dieser Inkubator ein Pionier, dem weitere folgten und Accelerators, Co-Working Spaces und Venture Capital nach sich zog.
Viele Programme, keine Lösungen
Auch wenn die Zahl der Start-ups nicht exakt darstellbar ist, so geht der Global Startup Ecosystem Report 2017 von 2.000 bis 2.600 Gründungen im marokkanischen Technologie-Bereich aus (zum Vergleich Berlin: 1.800–2.400 Gründungen). Doch die Entwicklung im Maghreb beschleunigt sich: Das Jahr 2015 sah fünf Mal mehr neue Existenzen als noch 2012. Naoufal Chama, Mitgründer von Start-up Maroc, reicht das nicht: „Ich wünschte mir, dass das Ökosystem der Start-ups noch dynamischer wird“. Vor allem beobachtet er, dass viele Akteure in diesem Bereich Programme auflegen, die bereits in der einen oder anderen Form existierten, anstatt sich auf die Probleme zu konzentrieren, die bislang noch keiner gelöst hat.
Eine der Herausforderungen für Start-ups ist die bürokratische Trägheit. Zuletzt hatte der König selbst Kritik am System geübt, nachdem über Monate die Proteste der Rif-Region nicht aufhörten. Der Doing Business Report 2018 der Weltbank platziert Marokko auf Platz 69 von 190 Ländern. Marokko hat sich also insgesamt verbessert, wenn auch gegenüber dem Vorjahr um einen Platz verschlechtert: Neun Tage dauert es, um ein Unternehmen zu gründen. Gründungskapital braucht der Unternehmer nicht. Er muss nur minimale Gebühren zahlen. Mit zur Verbesserung beigetragen hat unter anderem ein Gesetz, das der Stiftungspartner Centre des Jeunes Dirigeants d'Entreprises (CJD) initiiert hat: das Gesetz der Alleinunternehmer (2015).
Räumlichkeiten als Mangelware
Die Hauptherausforderungen für Start-ups seien „Finanzierung und Platz“, analysiert Rachida Bouzit El Mernissi, Präsidentin von Sala Moubadara. Mit ihrer NGO in Rabat-Salé hilft sie gründungswilligen Marokkanern. Sie fordert, dass der Staat sich mehr dem Privatsektor öffnet. Denn Co-Working Spaces wie New Work Lab in Casablanca und Khourigba, gegründet 2013, sind selten. Sie sind Privatinitiativen, dienen aber gleichzeitig als Accelerator. Auch Espace Bidaya in Casablanca bietet Raum und Beratung. Seit 2014 begleitet der Inkubator zwölf Monate lang jedes Semester sechs bis sieben ausgesuchte Entrepreneurs. Kommerzielle Co-Working Spaces treffen demnach auf einen Bedarf, den sie sich vergüten lassen: Bei Casanostra in Casablanca kostet beispielsweise der halbe Tag im Co-Working Space sechs Euro, der Monat 180 Euro – mit Zugang zu allen Möglichkeiten wie Foto- und Filmstudio, 3D-Drucker und CNC-Maschine.
Internationale Expertise als Unterstützung
Finanzielle Unterstützung können Gründer von Innov Invest, einem Start-up-Fonds, bekommen. Basierend auf 50 Millionen USD der Weltbank hilft dabei die Casse Centrale de Garantie auf Antrag mit vier verschiedenen Finanzierungsmodellen. Bereits etablierte Unternehmen können auf den Maroc Numeric Fund zugreifen. Das Experten- und Unternehmer-Netzwerk Réseau Entreprendre Maroc (REM), gegründet 2011, gibt Projektmanagern und Unternehmern in zwei Tranchen zwischen 50.000 und 100.000 Dirhams (4.400 bis 8.800 Euro), wenn sie mindestens 18 Monate in ihrer Funktion sind. Zudem steht REM mit Rat und Tat in den ersten drei Jahren beiseite – inzwischen in bereits acht marokkanischen Städten. Mit einem Fonds von 100 Millionen Euro ging 2014 die französische Initiative Inco auf den marokkanischen Gründermarkt. Und auch die amerikanische NGO Center for Entrepreneurship and Executive Development (CEED) unterstützt Gründungswillige mit drei verschiedenen Programmen (Go to Market, Grow, Network). Dabei stehen vor allem Mentoring, Networking und Peer to Peer Learning im Vordergrund.
Bankwesen und Zahlungsmoral als Risiko für Start-up-Projekte
Neben einem nicht angepassten Bildungswesen treffen gründungswillige Jungunternehmer auf ein sehr konservatives Bankenwesen. Dabei brauchen gerade innovative Projekte angepasste Finanzierungsmöglichkeiten. CJD-Präsident Hatim Rih beklagt, dass bisherige Finanzierungshilfen auf bestimmte Sektoren begrenzt seien. Hinzu komme die schlechte Zahlungsmoral, sowohl in der Privatwirtschaft als auch seitens staatlicher Hilfen. „Wir haben derzeit eine durchschnittliche Zahlungsverzögerung von mehr als sechs Monaten, weswegen mehrere Start-ups ihre Projekte aufgeben müssen“, so der Jungunternehmer. Rih weiter: „Die Banken zeigen keinerlei Interesse daran, Start-ups zu finanzieren.“ Auch die eingeforderten Sicherheiten (Immobilien, Land etc.) für eine Kreditaufnahme seien unrealistisch: „Dies Optionen sind leider auf eine bestimmte soziale Klasse der Gesellschaft begrenzt.“
Crowdfunding ist beispielsweise bislang nicht möglich, weshalb der CJD eine solche Gesetzesinitiative im kommenden Jahr in Angriff nehmen und damit einen Stein mehr für gründungswillige Start-ups aus dem Weg geräumt haben will.
Olaf Kellerhoff ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Marokko.