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Regionalisierung und Digitalisierung als Chance für neue Formen der Bürgerbeteiligung

Diskussion über ein Europa der Regionen

In Kooperation mit dem European Liberal Forum ging es in dieser Woche bei einer Podiumsdiskussion in Ulm um die Idee eines Europas der Regionen. Gerade in der aktuellen Situation mit Kataloniens Streben nach Unabhängigkeit und entsprechenden Referenden in Norditalien ist das Thema aktueller denn je.

Für viele Bürgerinnen und Bürger ist die europäische Ebene weit entfernt und sie identifizieren sich emotional wie politisch viel stärker mit ihrer Kommune oder ihrer Region. Kann eine überregionale Zusammenarbeit die Interessen des Volkes stärker in den Mittelpunkt stellen und so manche Probleme unterhalb des Nationalstaats effizienter lösen? Welche Rolle sollen Europas Regionen in der weiteren Entwicklung der EU spielen und wie kann Europa seinen Bürgerinnen und Bürgern am besten dienen?

Die europäische Idee

Der Oberbürgermeister der Stadt Ulm, Gunter Czisch betonte, dass Europa vor allem die Idee von Frieden und Freiheit sei. Die heutige junge Generation kenne nichts anderes, sei vor diesem Hintergrund aufgewachsen –es gelte als selbstverständlich. Wir profitieren von freiem Handel und freien Grenzen, andererseits tue man sich auch schwer mit der Komplexität des Konstrukts Europas. Die europäische Idee müsse sich daher viel stärker wiederfinden in der Lebenswirklichkeit der Menschen und die Bürger müssen zu den wichtigsten Verbündeten gemacht werden.

Ein Europa der Regionen

Nadja Hirsch, ab November wieder Europaabgeordnete, stellte die Frage ins Zentrum, wie eine Bürgerrepublik über Grenzen und Verträge hinweg aussehen könne. Eine globalisierte Arbeitswelt ist heute an der Tagesordnung – der Austausch über Ländergrenzen hinweg wird durch den technischen Fortschritt ermöglicht und ist inzwischen normal geworden. Dabei verliert der Nationalstaat zunehmend an Wichtigkeit. Die Region bietet dem Bürger die Möglichkeit, sich mehr zu beteiligen, da viele Bedürfnisse eher regional geprägt sind. Auch ist hier eine schnellere Beteiligung möglich. Nadja Hirsch hielt fest: „Regionalisierung und Digitalisierung eröffnen neue Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung“. Wenn Bürger sich einbringen und am Diskurs teilnehmen können, erhöhe das die Glaubwürdigkeit und die Akzeptanz.

Regionalisierung und Digitalisierung eröffnen neue Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung.

Nadja Hirsch
Nadja Hirsch

Deutlich werde dies beispielsweise an der Diskussion um die Ehe für alle: in Irland habe es Bürgerversammlungen und Diskussionen zu dem Thema gegeben, die Bürger wurden über einen langen Zeitraum eingebunden und entwickelten so eine überwiegende Zustimmung; in Frankreich hingegen wurde die Entscheidung vom Parlament quasi durchgepeitscht, was zu Protesten geführt habe, so Hirsch. Dies zeige, wie die Bürgerbeteiligung einen Unterschied machen und was sie bewirken könne. In der aktuellen Zeit müsse die EU weiterentwickelt werden. Um die bestehenden Probleme zu lösen, müsse weiter gedacht werden und neue Wege beschritten werden.

Wie dies aussehen könnte, stand im Zentrum der Diskussion, an der neben Nadja Hirsch auch der Leiter der Regionalvertretung München der Europäischen Kommission, Joachim Menze sowie Jan Bergmann, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, teilnahmen. Erasmus sei eines der erfolgreichsten Programme der Europäischen Union. Es sei eine Überlegung wert, dies auch bereits auf Schüleraustauschprogramme auszuweiten und mit europäischem Geld zu fördern. Die dort schon früh gemachten Erfahrungen würden die Jugendlichen ihr ganzes Leben lang begleiten und prägen, was von unschätzbarem Wert sei.

Zum Umgang mit der Migrationsthematik

Die Flüchtlingsproblematik, die ungleiche Aufteilung sowie Unklarheiten über Zuständigkeiten dabei sind aktuell immer noch ein großes Thema. Bergmann schlug hier eine Art Europäischen Flüchtlingsfonds vor, bei dem sich Regionen um Flüchtlinge bewerben können und dann für aufgenommene Personen eine bestimmte Summe als finanziellen Ausgleich bekämen. Es wäre dadurch sichergestellt, dass die Flüchtlinge so vor Ort leichter integriert werden und ihnen ein Programm und eine Infrastruktur geboten werde, in der sie sich wohlfühlen. Bisher stehe man immer vor dem Problem, dass bei mangelnder Integration oder wenn die Familien der Geflüchteten an anderer Stelle untergebracht sind, die Betroffenen dies über den leichten Zugang zu Fernbussen selbst aufzuheben versuchten, wie Bergmann aus seiner Tätigkeit als Richter berichtete. Joachim Menze sprach zudem das Problem an, dass es keine gemeinsamen Sozialstandards in Europa gebe und in anderen europäischen Ländern teils deutlich geringere Summen als angemessener Lebensstandard gelten wie in Deutschland. Dies werde sich jedoch nicht so leicht ändern lassen.

Gerade bei solchen Themen werde vieles als Versagen der EU gewertet, was jedoch eher durch interessensgeleitete Nationalstaaten bedingt sei. Nur aus nationaler Perspektive auf Europa zu schauen, sei schädlich für den europäischen Gedanken und mache Europa kaputt. Man war sich einig: wichtig ist es vor allem, Gemeinsames zu stärken und nicht Trennendes zu betonen. Vor diesem Hintergrund kann auch das Zusammenspiel der Regionen eine wichtige Rolle bei der weiteren Entwicklung der EU spielen.