Schwierig, aber nötig
Vor einem halben Jahr sind die Sondierungen von CDU, FDP und Bündnis90/Die Grünen für eine „Jamaika-Koalition“ gescheitert, seit gut zwei Monaten regiert in Deutschland eine missmutige Neuauflage der „Großen Koalition“ aus CDU und SPD. Gleichzeitig beginnt das Nachdenken über die langfristige politische Zukunft in Deutschland. So jüngst durch Markus Schubert, Moderator beim Hörfunksender NDR Info, auf der Website des Zentrums Liberale Moderne. Seine These zu FDP und Grünen: „Gemeinsam können die Kleinen Berge versetzen.“ Er hat Recht, aber bis dahin ist noch viel Arbeit zu leisten – auf beiden Seiten. Unser stellv. Vorstandsvorsitzender Professor Paqué erklärt, warum.
Versöhnung von Ökonomie und Ökologie! Freiheit mit ökologischen Leitplanken! So oder ähnlich hätte die Überschrift für eine Jamaika-Koalition auf Bundesebene lauten können, wäre sie denn zustande gekommen. Es sollte nicht sein. Es scheiterte wohl an einer Kombination unzureichender Bedingungen: mangelnde Führungsbereitschaft bei der Kanzlerin, ängstliche Vorsicht bei der FDP, moralisierende Arroganz bei den Grünen. Es ist müßig, sich im Nachhinein die Schuld zuzuschieben, wenn es am Grundvertrauen der Beteiligten fehlt – und dies war der Fall.
Die Welt geht weiter, mit FDP und Grünen in der parlamentarischen Opposition. Beide Parteien sind in Umfragen stabil, keine Seite sollte mehr davon ausgehen, dass die jeweils andere irgendwann wieder von der politischen Bildfläche verschwindet. Zusammen bringen sie gut 20 Prozent der Wählerstimmen auf die Waage, derzeit mehr als die SPD. Zeit also, an die Zukunft zu denken, zumal am linken und rechten Rand des politischen Spektrums Linke und AfD anti-westlichen, autoritären Regimen zuneigen, allen voran Putins Russland, was sie wohl auf absehbare Zeit von der Koalitionsfähigkeit ausschließt. Denn Außenpolitik muss staatstragend sein, und da liegen die politischen Familien von FDP und Grünen durchaus nah beieinander, wie auch die Auslandsaktivitäten der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und der Heinrich-Böll-Stiftung belegen.
Außenpolitik muss staatstragend sein, da liegen die politischen Familien von FDP und Grünen durchaus nah beieinander.
Schwieriger sind allerdings die Fragen und Themen der Gestaltung unserer Gesellschaft. Da sind die Frontlinien durchaus hart: Die FDP steht für Freihandel mit umfassenden bilateralen Abkommen zu Standards und Investitionsschutz, die Grünen waren die Vorreiter beim Widerstand gegen TTIP und CETA – noch lange bevor Donald Trump als populistischer Protektionist von amerikanischer Seite auf den Zug aufsprang. Die FDP steht für strikt differenzierte qualitätsorientierte Bildung mit Chancengerechtigkeit, die Grünen setzen den Akzent viel stärker auf Ergebnisgleichheit und Inklusion. Die FDP steht in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik für das Prinzip „Fördern & Fordern“, die Grünen eher für die breite Unterstützung ohne Bedarfs- und Motivationsprüfung. Die FDP steht für eine kompromisslose Durchsetzung des Rechtsstaats, auch an den Außengrenzen Europas und in links-alternativen Subkulturen und konservativ-religiösen Gemeinden. Die Grünen sind eher geneigt, zumindest ihr traditionelles Multi-Kulti-Milieu zu schützen.
Die Liste ließe sich mühelos verlängern. Man beachte: Sie beschränkt sich keineswegs auf den alten Konflikt von Ökonomie und Ökologie, bei der die FDP eher marktwirtschaftliche Instrumente, die Grünen eher zu schärferen Lenkungswaffen greifen wollen. Hinter der Liste steht eine viel breitere Grundfrage: Wie wird die Globalisierung gestaltet, und zwar weltweit und national, d. h. in ihrer Rückwirkung auf das Schicksal der Menschen in unserem Land? Da haben FDP und Grüne sehr unterschiedliche Antworten. Diese in einem Spielraum des Kompromisses einzuhegen, das bedarf langwieriger Vorbereitungen und einer Atmosphäre des Vertrauens. Genau hier liegt der Engpass, jedenfalls bisher.
Immerhin: Beide Seiten haben wenigstens „Modelle des Fortschritts“, und die sind klug aufgebaut, konsistent und durchdacht, was man für die diffusen Vorstellungen der CDU und die rückwärtsgewandte Industrienostalgie der SPD nicht unbedingt sagen kann. FDP und Grüne sind eben ihrem Wesen nach Programmparteien, die sehr ernsthaft über die Zukunft nachdenken: die FDP in Richtung einer Gesellschaft der Offenheit und Innovationskraft, die Grünen eher in Richtung von Ökologie und Sozialem.
Genau das macht die Annäherung praktisch schwierig, aber potenziell fruchtbar. Man muss eben die Legitimität und Moral der anderen Seite voll anerkennen, nur so entsteht Vertrauen. Und das muss sich natürlich auch in der Rhetorik niederschlagen: Wenn Grüne vom „Nudging“ durch staatliche Lenkungsinstrumente und -steuern schwärmen, sollten Liberale sie nicht gleich als totalitäre Gouvernanten brandmarken. Und wenn, wie jüngst beim Bundesparteitag geschehen, der FDP-Vorsitzende Christian Lindner in seiner „Bäckerei-Anekdote“ darauf hinweist, dass legale Einwanderer in Generalverdacht geraten können, wenn unsere Flüchtlingsregeln missachtet werden, dann sollte das nicht zu einem Aufschrei der moralisierenden Empörung „gegen Rechts“ bei den Grünen führen. Beides gilt umso mehr, als die meisten Menschen diese Art von polemischer Zuspitzung nicht verstehen, wie im Fall der Lindner-Aussage eine Civey-Umfrage zeigte. Ähnliches ließe sich wahrscheinlich - mit umgekehrten Vorzeichen - bei Diskussionen zum „Nudging“ feststellen.
Fazit: Es ist höchste Zeit zur Abrüstung zwischen FDP und Grünen. Abrüstung heißt dabei nicht leidenschaftslose Langweile und einschläfernder Streitverzicht. Aber es heißt: mehr Sachlichkeit. Dies gilt umso mehr, als die Populisten von Links und vor allem von Rechts stabilen Zulauf haben – als Reaktion auf Veränderungen, die nicht mehr verstanden werden. Es gilt deshalb, die Globalisierung den Menschen zu erklären: als eine riesige Chance, der wir uns nicht verweigern sollten, aber die wir so gestalten müssen, dass sie möglichst vielen Menschen auch hierzulande nutzt. Das ist vor allem Aufgabe der Programmparteien FDP und Bündnis90/Die Grünen. Und der politischen Stiftungen, die ihnen nahestehen.