Warum Fahrverbote für Diesel unverhältnismäßig wären
Ginge es nach den Plänen des Umweltministeriums, dann wären die Innenstädte bald für den größten Teil der in Deutschland zugelassenen Diesel-PKWs gesperrt. Doch ist diese drastische Maßnahme wirklich die angemessene Problemlösung?
Nur noch Fahrzeuge mit einer blauen Plakette hätten dann Zufahrt zur „blauen“ Umweltzone. Zukünftig soll es den Kommunen freistehen, die geplante Plaketten-Verordnung entsprechend der Belastungssituation vor Ort umzusetzen. Das beträfe solche Innenstadtbereiche, in denen die Jahresmittelwerte der Stickstoffdioxid-Konzentration (NO2) den EU-Grenzwert von 40mg/m3 übersteigen. Immerhin war das im vergangenen Jahr an weit mehr als der Hälfte der verkehrsnahen Luftqualitätsmessstationen der Fall. Gerade Dieselfahrzeuge gelten hinsichtlich der NO2-Emissionen als problematisch; selbst neuere Euro4/5-PKWs bilden da keine Ausnahme.
Eine blaue Plakette sollen deshalb nur Dieselfahrzeuge mit der Abgasnorm Euro 6 sowie alle Elektro-Autos und Benzinfahrzeuge mit mindestens Abgasnorm Euro 3 erhalten. Erst mit Fahrzeugen dieser Schadstoffklassen ist eine deutliche Minderung der NO2-Emissionen zu erwarten. Bestehende Umweltzonen, in denen Fahrzeuge mit weniger anspruchsvollen Abgasnormen zugelassen waren, hatten hinsichtlich der Reduzierung der NO2-Konzentrationen eher enttäuscht.
Ist diese drastische Maßnahme wirklich die angemessene Problemlösung?
Immerhin würde ein Fahrverbot derzeit die Mehrheit der 14 Mio. Diesel-PKWs auf deutschen Straßen treffen. Für die Mobilität der betroffenen Fahrzeughalter bedeutet dies eine erhebliche Einschränkung, nicht nur innerhalb der Umweltzone, sondern im gesamten Stadtverkehr. Da eine Nachrüstung mit vertretbarem Aufwand nicht möglich ist, wäre die teure Neuanschaffung eines schadstoffärmeren Fahrzeugs die einzige Option. Die wenigsten Familien oder Gewerbebetriebe können sich so kurzfristig den Erwerb eines Fahrzeugs der aktuellen Schadstoffklasse leisten. Auch aus Sicht des Umwelt- und Ressourcenschutzes erscheint es fraglich, die Nutzungsdauer der Fahrzeugflotte durch Fahrverbote künstlich zu verkürzen. Schon aus diesen Gründen sind starke Zweifel an der Verhältnismäßigkeit eines Diesel-Fahrverbots in „blauen“ Umweltzonen angebracht.
Hinzu kommt, dass der Autoverkehr in unmittelbarer Nähe innerstädtischer Messstellen nicht die einzige Ursache der Konzentrationsüberschreitungen ist. Vielmehr tragen auch der weiträumige städtische Verkehr, Industrieemissionen und die Abgase von Heizungen zur urbanen und großräumigen Hintergrundbelastung bei. Kommt der lokale Straßenverkehr als Emissionsquelle hinzu, kann es zu den Grenzwertüberschreitungen der Luftschadstoffkonzentration kommen. So machen nach Analysen des Umweltbundesamts die Emissionen aus dem großräumigen und urbanen Hintergrund durchschnittlich die Hälfte der gemessenen NO2-Konzentration an Berliner Belastungspunkten aus (Umweltbundesamt, 2014). Allerdings sind die Effekte von Umweltzonen auf die NO2-Belastung der Luft indirekt und komplex. NO2 wird nicht nur direkt von den Fahrzeugen emittiert, sondern entsteht auch durch luftchemische Reaktionen von Stickstoffmonoxid und Ozon, die eine Vielzahl von externen Faktoren beeinflussen. An diesen Hotspots sollte daher die Wirkung eines Diesel-Fahrverbots nicht überschätzt werden.
Sinnvoller wäre es, zunächst die Wirkung weniger kostspieliger und restriktiver Emissionsminderungsoptionen auszuloten, bevor mit Fahrverboten massiv in die Rechte der Bürger eingegriffen wird. So lässt sich beispielsweise mit Hilfe einer umweltorientierten Verkehrssteuerung der Verkehr umweltbelastungsabhängig lenken, umleiten und verflüssigen. Dadurch wären sowohl an den Hotspots als auch stadtweit weniger Verkehr und eine emissionsärmere Fahrweise erreichbar. Zudem könnte eine Förderung des ÖPNV die Nutzung von Bus und Bahn gegenüber dem eigenen PKW attraktiver machen. Auch eine Verlagerung des Schwerlastverkehrs aus der Innenstadt oder die Modernisierung der Busflotte versprechen eine signifikante Emissionsminderung zu geringeren Kosten. Schließlich wäre zu überprüfen, ob sich die Emissionen aus Industrie und Heizungsanlagen mit vertretbarem Aufwand reduzieren ließen.