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Zwangsdemo für den Rechtstaat

Über 150.000 Anhänger der Sozialdemokraten demonstrierten in Bukarest gegen den „Parallelstaat“
Demonstration

Eine Demonstration - der Macht: Die Großversammlung auf dem Siegesplatz

© Eli Driu/Vice Rumänien

Liviu Dragnea macht Ernst. Seit Monaten droht der Parteichef der regierenden Sozialdemokraten (PSD) mit einer Gegendemonstration zur auch in Westeuropa bekannt gewordenen #rezist-Bewegung, die sich seit über einem Jahr für eine unabhängige Justiz einsetzt. Am vergangenen Samstag konnten Dragnea und sein Koalitionspartner Calin Popescu Tariceanu nun über 150.000 Menschen mobilisieren, die sich augenscheinlich gegen Präsident Klaus Johannis, die angebliche Willkür der Staatsanwälte der Antikorruptionsbehörde DNA und deren Chefin Laura Codruta Kövesi richteten. Die Genannten seien einem Parallelstaat verpflichtet, der vom Geheimdienst regiert wird – so der Tenor der Veranstaltung. Tatsächlich diente der Protest aber wohl dem Zweck, Unterstützung für Dragnea selbst zu generieren, dem am 21. Juni in einem Fall wegen Amtsmissbrauch in letzter Gerichtsinstanz bis zu sieben Jahre Haft drohen. Ein Fall, der von der DNA initialisiert wurde.

Eine Demo choreografiert wie eine Theateraufführung

Die Veranstaltung sollte eine Demonstration der Macht der Partei und ihres Führers „Daddy Dragnea“ sein – das ist auch gelungen. Tausende von Reisebussen, Mikrobussen und Pkws strömten tagsüber geordnet nach Bukarest, in Richtung Siegesplatz vor dem Regierungsgebäude. Alle Teilnehmer trugen weiße T-Shirts oder Hemden, kleine Fähnchen und große Nationalflaggen. Sogar manche EU-Flagge war zu sehen. Dragnea hatte zum Tragen von Weiß als Farbe der Reinheit aufgerufen, um den Staat von der angeblichen Willkür der dunklen Kräfte zu reinigen. Parteisymbole waren vorab untersagt worden.

Die Organisationsregie war streng: Jeder Landkreis wusste, wie viele Leute er in welchen Sektor zu stellen hatte, um die Bilder der Proteste gegen die Regierung 2017, die um die Welt gingen, optisch zu spiegeln. Damals waren allein in Bukarest 250.000 Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die neuen Gesetzesentwürfe der Regierungskoalition zu protestieren, die auch dazu beigetragen hätten, die weitverbreitete Korruption zu entkriminalisiert. Im ganzen Land waren es damals etwa 600.000 Demonstranten. In den Ohren der bürgerlichen Protestler klang es daher sicherlich wie Hohn, als die PSD-Anhänger auf dem Platz „Wir wollen Justiz und nicht Korruption“ skandierten.

Eine geplante Gegendemonstration wurde von der #rezist-Bewegung abgesagt, um unnötige Spannungen zu vermeiden. Am Sonntag eroberten bis zu 3.000 #rezist-Anhänger den Siegesplatz vor dem Regierungssitz wieder zurück.

Alle gegen den Schattenstaat

Die Bürgermeisterin von Bukarest, Gabriela Firea, eröffnete die Liste der Redner und betonte, dass die Menschen für diese Kundgebung freiwillig nach Bukarest gekommen und von niemandem gezwungen worden seien. Im Gegensatz zu den Protesten gegen die Regierungspartei sei dieses Treffen auch legal und autorisiert, so Firea weiter: „Der Siegesplatz gehört allen Rumänen. Er sollte nicht von Menschen besetzt werden, die von `Mächten` dafür bezahlt werden, den Interessen unseres Landes zuwiderzulaufen", sagte Firea.

Auch Premierministerin Viorica Dăncilă ergriff vor ihrem eigenen Amtssitz das Wort: „Die Wahl der Rumänen muss respektiert werden. Der Missbrauch muss gestoppt werden“, sagte sie. Indes witzelte man in den Sozialen Medien, ob sie damit gegen sich selbst – also die amtierende Regierung – protestiert hätte. Der Senatsvorsitzende und Koalitionspartner Călin Popescu Tăriceanu betonte vor der Menge, dass der Schattenstaat in der Tat die neue „Securitate“ sei, die vom ehemaligen Präsidenten Traian Băsescu geschaffen wurde und jetzt von Präsident Klaus Johannis benutzt wird, um seine politischen Gegner auszuschalten.

In einer vierzigminütigen Rede unterstrich PSD-Führer Liviu Dragnea die Worte seines Koalitionspartners und führte aus, dass der Geheimdienst, der während des kommunistischen Regimes in Rumänien operierte, immer noch an der Macht sei. Er erklärte, dass der Schattenstaat aus korrupten Staatsanwälten, dem DNA-Chef und verdeckten Offizieren bestehe, die als Richter arbeiten. Auch Präsident Johannis sei nur ein Handlanger dieses Staates. Jeder könne ein Opfer des Schattenstaates werden, indem z.B. seine Telefonate von der neuen „Securitate“ abgefangen werden. Es sei nicht einmal wichtig, ob man schuldig ist oder nicht. Es sei nur wichtig, dass der Schattenstaat weiß, wovon jeder redet, was man denkt und was man will. Je mehr sie wissen, desto mächtiger und repressiver werden die Kräfte und jeder könne ein unschuldiges Opfer werden – nicht nur die Würdenträger.

Am nächsten Tag legte er als Gast beim Fernsehsender Antenne 3 nach und beschuldigte sogar die NATO und die Europäische Union, diesen Schattenstaat gefördert und finanziert zu haben, anstatt die Demokratie zu stärken. Wenn nötig, drohte er, würde er nochmals doppelt so viele Leute nach Bukarest bringen – jedoch an einen anderen Ort. Damit meinte er wohl den Präsidentenpalast.

Unter Zwang zur Demo

Die Betonung von Bürgermeisterin Firea, dass alle Teilnehmer der Demonstration aus freien Stücken dort waren, müsste auch bei dem letzten Beobachter Zweifel hervorrufen. Neben den durch die Parteidisziplin verpflichteten Teilnehmern der Großdemonstration lief die Akquise durch die Organisatoren wohl wenig demokratisch ab.

Im Vorfeld der Demonstration berichteten Medien, dass Menschen aus der Verwaltung und von lokalen Transportfirmen gezwungen wurden, sich für die Demo bereitzuhalten. Die NGO „Geeks for Democracy“ hat daraufhin eine Homepage freigeschaltet, auf der die Leute sich beschweren, über Missstände berichten und auch rechtliche Hilfe suchen konnten. Auch eine so genannte „Landkarte der Missbräuche“ wurde eingerichtet. Laut Geeks-Gründer Cătălin Teniță wurden über 600 Meldungen eingereicht. Davon haben über 200 Personen ihre Kontaktdaten angegeben und sind bereit, mit Journalisten und mit Rechtsanwälten zu sprechen. Wie von den Medien berichtet, seien es oft Angestellte staatlicher Kommunalbetriebe (z.B. Müllabfuhr, Abwasserunternehmen), denen man angeordnet hatte, sich zur Demo zu melden.

Infolge dieser 200 Meldungen haben Cătălin Teniță und Mihai Polițeanu vom Stiftungspartner Initiative Rumänien mittlerweile eine Sammelklage bei der Staatsanwaltschaft eingereicht. Obwohl die eigentlich vertraulich sind, wurde die Klagemail schon drei Stunden später im regierungstreuen Nachrichtensender Antenne 3 öffentlich debattiert. Teniță schlussfolgerte in einem Post am Montag: „Das Ausmaß von Missbrauch und politischem Klientelismus ist enorm. Missbräuche richten sich vor allem gegen diejenigen, die sehr schutzbedürftig sind (Menschen, die Hilfe erhalten, Menschen mit weniger Bildung, Menschen aus Kleinstädten, die von Bürgermeistern oder ihren Verwandten abhängig sind). Ich denke, der Angriff auf diese schutzbedürftigen Bürger ist auch in den Aufnahmen von der Demo zu sehen.“

Die zwei Rumänien spalten sich weiter

Es war wohl das „andere Rumänien“, das am Wochenende auf die Straße ging. Die PSD versucht gezielt, die Menschen gegeneinander aufzuwiegeln – auf dem Rücken der schwächer Gebildeten, der sozial Schwachen und derjenigen, die vom „Job beim Staat“ abhängig sind. Dem Aufruf zum Protest folgten auch diejenigen, für die die Sozialgelder das einzige Einkommen darstellen und für die das Wohlstandsversprechen der Sozialdemokraten die einzige Alternative ist.

Es gibt kaum ein Land in der EU, wo das soziale Gefälle zwischen Land und Stadt bzw. zwischen den einzelnen Regionen so groß ist. Dazu muss man sagen: Die Hälfte der Bevölkerung lebt auf dem Land. Den “Weißhemden“ vom Wochenende steht die bürgerliche Mitte aus den Städten gegenüber. Beide Seiten sind davon überzeugt, zu wissen, wer derzeit das Land in den Ruin treibt. Beide Seiten werden sich auch weiterhin bekämpfen, denn jeder sieht sich in seiner Meinung bestätigt.

Sinnbildlich dafür steht folgende Anekdote: Die Mitglieder der Initiative Rumänien halfen den Straßenfegern nach der Demonstration bei der Beseitigung der Müllberge: „Wir räumen den Müll hinter der PSD auf“, hieß es. Beim spontanen Protest im vergangenen Jahr mit über 250.000 Menschen hatte jeder seinen Müll selbst aufgeräumt.

Raimar Wagner ist Projektkoordinator der Stiftung für Rumänien und Moldau

Daniel Kaddik ist Projektleiter der Stiftung für Südosteuropa