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Volksaufstand am 17. Juni 1953
„Wir wollen freie Menschen sein!“

Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953. Demonstration in Magdeburg

Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953: Demonstration in Magdeburg.

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Grußwort von Karl-Heinz Paqué, Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit zur Veranstaltung „70 Jahre Volksaufstand vom 17. Juni 1953. Vergangenheit verstehen, Zukunft gestalten“.

„Wir wollen freie Menschen sein!“ – Dieser Ruf klingt nach der friedlichen und erfolgreichen Revolution von 1989. Zu vernehmen war er aber schon im Jahr 1953, keine vier Jahre nach der Staatsgründung der DDR.

Was sich in den Junitagen jenes Jahres ereignete, war eine breite, vom Freiheitswillen der Menschen getragene Volksbewegung gegen das SED-Regime. Ausgelöst vom Streikzug der Berliner Bauarbeiter des Renommierprojektes der „Stalinallee“ entluden sich Wut und Unzufriedenheit der Menschen explosionsartig in Massenprotesten. „Das war eine ganz elementare Empörung – die Leute wollten keinen Sozialismus, sondern ein normales Leben“, so erinnern sich Zeitzeugen.

Hunderttausende gingen am 16. und 17. Juni spontan auf die Straße, Demonstrationen gab es in über 700 Städten und Gemeinden, in Leipzig, Dresden, Görlitz und sehr stark auch in Magdeburg, worüber wir heute noch genauer hören werden. Ich bin dankbar, dass Heinz-Josef Sprengkamp uns in einer Lesung – mit Schülerinnen und Schülern sowie Zeitzeugen zusammengestellt – die Dramatik und zugleich Tragik der damaligen Tage zu Gehör bringen wird.

Am Ende dieser Junitage war wohl rund eine Million Menschen auf der Straße gewesen, aus allen Schichten der Bevölkerung. Die Menschenmassen forderten die Ablösung der SED-Herrschaft, freie Wahlen, das Ende von Willkür und sozialistischer Planwirtschaft. Der Aufstand war keineswegs auf die Städte beschränkt; er fand im ganzen Land statt, in kleinen Gemeinden ebenso wie in Dörfern.

Anlass war der von der SED im Sommer 1952 beschlossene und verschärfte „planmäßige Aufbau des Sozialismus“. Der Druck auf fast alle Gruppen der Gesellschaft war allgegenwärtig. Handwerker und Selbständige verloren ihre Existenz, flüchteten oder wurden vertrieben, Betriebe wurden verstaatlicht und Bauern in die Kollektivierung gezwungen.

Die Folgen blieben nicht aus: Der Produktionsrückgang verschlechterte die Lebensbedingungen dramatisch; an Wohlstand, der in Westdeutschland schon Einzug gehalten hatte, war nicht zu denken. Die dramatische Lage war auch ein Ergebnis des fehlgeleiteten Wirtschaftssystems: Alle „Reformen“ der ostdeutschen Wirtschaft – erzwungen durch das DDR-Regime unter Walter Ulbricht – liefen darauf hinaus, die staatliche Kontrolle der Wirtschaft zu sichern und die Verstaatlichung voranzutreiben. Die DDR befand sich mit rasanter Geschwindigkeit auf dem Weg in die zentralisierte Planwirtschaft. Während in Westdeutschland das „Wirtschaftswunder“ Ludwig Erhards Aufschwung verhieß, herrschte im Osten Knappheit, Mangel und zum Teil Elend.

Hinzu kamen die drastische Verschärfung des Strafrechts und dessen willkürliche Praxis, die Verfolgung von Menschen aus politischen Gründen. Vielen, gerade auch jungen Leuten, blieb nur die Flucht in den Westen. Bis die DDR-Machthaber diesen Weg mit dem Mauerbau 1961 versperrten, sollten knapp drei Millionen das Land verlassen haben. Es half da auch nicht, dass Walter Ulbricht im Juni 1953 auf Geheiß Moskaus Fehler eingestehen musste und im „Neuen Kurs“ halbherzige Erleichterungen verkündete. Es war zu spät; die Kursänderung wirkte nun wie ein Signal der Schwäche, das Regime schien zu wanken. Neue Hoffnung keimte bei den Menschen und stärkte den aktiven Protest.

Überraschend war vielleicht die gewaltige Dimension des Aufstandes im ganzen Land, nicht jedoch, dass Unmut und Wut die Menschen umtrieb: Viele hatten sich seit langem gegen die Einschränkungen der Meinungsfreiheit und Selbstbestimmung gewehrt, individuell oder in Gruppen Widerspruch gewagt, es gab Flugblätter und Losungen an den Wänden; erste Streiks in den Betrieben bereits im Herbst 1952, und auch in den Tagen nach Niederschlagung des Aufstandes endete der Protest auf dem Land nicht sogleich.

Unter den Bedingungen des Kalten Krieges konnte der Volksaufstand nicht erfolgreich sein – anders als bei der Friedlichen Revolution 1989: Zwar waren 1953 in manchen Orten die SED-Spitzen bereits aus den Rathäusern vertrieben worden, ganze Betriebsbelegschaften hatten sich den Protesten angeschlossen. Doch die Sowjetunion fürchtete um ihren Einflussbereich. So rollten gerade einmal acht Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wieder Panzer durch die Straßen, viele Menschen bezahlten ihr Eintreten für Freiheit und Selbstbestimmung mit Haft oder gar mit ihrem Leben.

Überrascht war man vom Ausmaß der Unruhen auch im Westen. Wenige Tage danach fand der damalige Bundespräsident Theodor Heuss aber eindrucksvolle Worte. Er sprach von einem „unübersehbaren Plebiszit“ der Menschen gegen den Anspruch der DDR als „Arbeiter- und Bauernstaat“ und forderte: „Gebt dem Menschen das Recht zu seiner Freiheit.“ Zugleich regte er ein nationales Gedenken an.

Fortan begleitete das SED-Regime die Angst vor einem neuerlichen „Tag X“. Die Loyalität der Bürgerinnen und Bürger ließ sich auch mit der – von Erich Honecker nach 1971 verfolgten – Politik der zum Teil auf Pump finanzierten sozialen Wohltaten nicht erkaufen. Die für die Menschen fortdauernde Unfreiheit endete 1989 schließlich im Protest derer, die sich um ihre Lebenschancen und Optionen gebracht sahen.

Dabei ist der „17. Juni“ nicht nur ein deutscher Erinnerungsort, er steht in einer osteuropäischen Dimension des Ringens um Selbstbestimmung: 1953 strahlte der Aufstand bis in die sowjetischen Straflager nach Workuta aus, 1956 folgte Ungarn, 1968 der „Prager Frühling“, 1980 die polnische Gewerkschaftsopposition Solidarność. Alle Bewegungen wurden gewaltsam niedergeschlagen, doch zeigen sie uns eindringlich die Freiheitssehnsucht der Menschen und die Hoffnungen auf Demokratie, Recht und Selbstbestimmung, die sich endlich 1989 erfüllten.

Die Erinnerung an diesen Tag, den 17. Juni 1953, und die Aufklärung über die SED-Diktatur sind heute wichtiger denn je. Erinnern wir uns an den Mut vieler Menschen, ihr Leben für den freiheitlichen Verfassungsstaat einzusetzen, gegen Unmenschlichkeit und Zwangsherrschaft.

In diesem Jahr begehen wir auch den 175. Jahrestag der Revolution von 1848, die eine breite Protestbewegung in zahlreichen europäischen Ländern gewesen war mit vielfach ähnlichen Forderungen. Die Diskussionen in der Paulskirche um eine Verfassung und den bis heute gültigen Katalog von Grundrechten erlauben zu Recht, von einer „Erfolgsgeschichte“ einer eigentlich „gescheiterten Revolution“ zu sprechen (Alexandra Bleyer). Gehört auch der Volksaufstand des 17. Juni, an den wir heute hier gemeinsam erinnern, zu einer europäischen Tradition des Ringens um Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung? Ich meine ja. Sicher wird dies ein Thema des nachfolgenden Podiumsgesprächs sein, welchen Ort in der Demokratiegeschichte dieses Beispiel von Zivilcourage und Mut bis hin zum Widerstand gegen Unrecht hat.

Zunächst aber wollen wir uns ein Bild dieser Junitage machen, eintauchen in das Jahr 1953 in Magdeburg. Heinz-Josef Sprengkamp, der Landesschülersprecher Moritz Eichelmann und Werner Heller, der damals als eben 18-Jähriger Schüler selbst am Aufstand teilnahm, werden die dramatischen Geschehnisse lebendig werden lassen.