Präsidentschaftswahl
Bolivien vor der Wahl
Am 18.10 finden in Bolivien endlich Präsidentschaftswahlen statt. Endlich, weil die Wahlen nach dem Wahlbetrug im Oktober letzten Jahres, als sich Evo Morales zum Sieger erklären ließ, anschließend nach schweren und langen Protesten jedoch das Land verlassen musste und sich nach einer Zwischenstation in Mexiko nun in Argentinien aufhält, von wo aus er hinter den Kulissen politisch sehr aktiv weiter agiert.
Endlich, weil mit den Wahlen eine von vielen Seiten kritisierte Interimsregierung ein Ende hat und letztendlich auch, weil die Wahlen zweimal verschoben werden mussten. Der ursprüngliche Termin 22. Januar, so wie in der Verfassung mit der 90-Tage Regelung vorgeschrieben und von Übergangspräsidentin Jeanine Anez angekündigt, wurde zunächst auf den 03. Mai verschoben. Der Ausbruch des Corona-Virus musste dann für eine nochmalige Verschiebung und wohl endgültige Festsetzung des Wahltermins für den 18. Oktober herhalten.
Seit der Flucht des Ex-Präsidenten Evo Morales befindet sich das Land im Dauerkrisenzustand. Dominierten bis Februar die politischen und damit verbundenen gesellschaftlichen Unruhen der Oktober Wahlen (Straßenblockaden, Boykotte vielerlei Art), so kamen seit März die katastrophalen Auswirkungen der Corona-Krise und die daraus resultierenden Probleme im Gesundheitsbereich und einer großen Wirtschaftskrise hinzu. Alles zusammen führte dazu, die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen -wie schon erwähnt- zweimal zu verschieben.
Am 18. Oktober werden Parlament und Präsident in Bolivien neu gewählt. Nach bolivianischem Wahlrecht ist derjenige Präsident, auf den im 1. Wahlgang entweder über 50% der Stimmen entfallen oder ein Kandidat über 40 % der Stimmen erhält und ein Abstand von 10% zum nächsten Kandidaten hat. Sollte beides nicht der Fall sein, kommt es zwischen den beiden Kandidaten mit der höchsten Prozentzahl zu einer Stichwahl.
Für die Wahlen am 18. Oktober treten insgesamt sechs Kandidaten an. Die Übergangspräsidentin Jeanine Anez, die zunächst nach einigem Zögern ihre eigene Kandidatur verkündete, machte aber dann im September 2020 einen Rückzieher. Am 11.10. erklärte dann auch überraschend Ex-Präsident Jorge Quiroga seinen Rücktritt von der Kandidatur, offiziell mit der Begründung, er wolle durch seine Kandidatur nicht indirekt die Sozialisten unter Morales stärken. Ausschlaggebend dürften aber auch sein sehr schlechten Umfragewerte von 1,2% gewesen sein.
Alle Kandidaten müssen Mitglied einer Partei sein. Die Parteienlandschaft in Bolivien ist sehr fragmentiert bzw. zersplittert. Außer der sozialistischen Partei des Ex-Präsidenten Morales, dem Moviento al Socialismo (MAS), es gibt es kaum ernstzunehmende Parteien mit einer landesweiten Ausstrahlung und Struktur, dagegen aber sehr viele regionale Parteien mit diffusen politischen Ausrichtungen. Um gegen die Partei von Morales überhaupt bestehen zu können, schliessen sich viele Parteien zu Allianzen zusammen.
Im Vorfeld der Wahlen gab es auch drei Fernsehdebatten, bei denen allerdings nach der ersten Debatte nicht mehr alle Kandidaten teilnahmen, u.a. auch der hochgehandelte Luz Arce der sozialistischen Partei.
Nach derzeitigen Meinungsumfragen überschreiten nur drei Kandidaten den zweistelligen Prozentbereich. In Führung liegt demnach mit 30,6% Luz Arce, der Kandidat der Morales Partei MAS, gefolgt vom ehemaligen Präsidenten Carlos Mesa, der mit 24,7% für sein Mitte LinksBündnis rechnen darf. Mesa war schon Hauptkonkurrent von Evo Morales in den letzten Wahlen und bei einer Stichwahl der gemeinsame Kandidat der Opposition. Mit 12,7% liegt Luis Fernando Camacho, der Kandidat des recht-konservativen Parteienbündnis schon etwas abgeschlagen an 3. Position. Die übrigen vier Kandidaten spielen mit jeweils weniger als 3% in den Umfragen keine Rolle.
Diesen jüngsten Umfrageergebnissen zufolge wird keiner der Kandidaten im 1. Wahlgang erfolgreich sein, sondern vielmehr eine Stichwahl zwischen Luz Arce und Carlos Mesa sehr wahrscheinlich. In diesem Fall bleibt es abzuwarten, ob analog zu den Wahlen im letzten Jahr, sich die anderen Kandidaten, insbesondere Camacho für die Unterstützung von Carlos Mesa im entscheidenden Wahlgang aussprechen wird und damit die Chance besteht, der seit Jahrzehnten regierenden sozialistischen Partei eine Niederlage bereiten zu können.
Die Rahmenbedingungen für die Wahl am 18. Oktober könnten nicht schwieriger sein. Trotz sinkender Zahlen hat die COVID-Pandemie das Land noch voll im Griff. Durch die Angst vor dem Virus könnten viele Bolivianer am 18. Oktober trotz Wahlpflicht zu Hause bleiben. Fraglich ist auch, ob alles Wahllokale besetzt werden können, ob die Wahlleiter und Wahlhelfer unter den gegebenen Umständen ihrem Dienst nachkommen und damit eine ordnungsgemäße Wahl garantiert werden kann. Die COVID-Pandemie dürfte auch internationale Wahlbeobachter abschrecken, deren Präsenz mit Blick auf die Wahlfälschungen des letzten Jahres noch wichtiger ist als vorher.
Doch auch ohne COVID finden die Wahlen unter schwierigen Bedingungen statt. Seit Oktober 2019 hat die ohnehin schon existierende Polarisierung der Bevölkerung zugenommen, nicht zuletzt auch geschürt durch Morales und seine radikalen Anhänger, aber auch durch die Übergangspräsidentin und ihre Unterstützer. Etikettiert das Morales Lager die Übergangsregierung und die Oppositionsparteien als „Putschisten“ oder als „Faschisten“, revanchieren sich die konservativen Kräfte, in dem sie die Anhänger von Morales Bewegung MAS als „Terroristen“ bezeichnen.
Parallel zu den Präsidentschaftswahlen finden auch Parlamentswahlen statt, 36 Senatoren und 130 Abgeordnete werden neu gewählt. Bisher verfügt die MAS mit 25 Senatoren und 86 Abgeordneten in beiden Kammern über eine absolute Mehrheit. Die entscheidende politische Frage wird demnach sein, wieviel von der bisherigen Machtstellung der Sozialisten erhalten bleibt und damit verbunden, wie viel Macht bzw. Einfluss der aus dem argentinischen Exil tatkräftig „mitmischende“ Ex-Präsident Evo Morales zukünftig haben.
Doch egal, wie das Ergebnis ausfällt: angesichts der starken Polarisierung kann nicht ausgeschlossen werden, dass der unterlegene Kandidat bzw. unterlegene Partei den Wahlausgang nicht akzeptiert, zumindest aber anfechten wird und damit die politische und gesellschaftliche Krise auch durch die Wahlen nicht beendet werden. Die politische Lage in Bolivien bleibt somit spannend.
Jörg Dehnert ist Projektleiter der Andenländer mit Sitz in Lima.