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30 Jahre europäischer Binnenmarkt

Historische Errungenschaft, breite Unterstützung und die Herausforderung der Polykrise
30 Jahre europäischer Binnenmarkt
© FNF

Die geopolitischen Spannungen in der Weltwirtschaft nehmen zu. Protektionistische Tendenzen und Populismus verstärken die schwierige Lage. Doch gerade in diesen stürmischen Zei­ten bewährt sich der europäische Binnenmarkt und erweist sich als wertvolle historische Errungenschaft. Mit einem Brut­toinlandsprodukt von aktuell über 12 Billionen Euro ist der ge­meinsame Binnenmarkt der zweitgrößte Wirtschaftsraum der Welt. Im Hinblick auf die Wirtschaftsleistung ist die EU sogar größer als die der Volksrepublik China und liegt direkt hinter den Vereinigten Staaten. Für die Europäische Union und ihre Bürgerinnen und Bürger bedeutet dieses wirtschaftliche Gewicht mehr ökonomische Stabilität und größeren Einfluss auf das Weltgeschehen. Gerade in Krisenzeiten ist Europa we­niger den Schwankungen der Weltkonjunktur unterworfen als einzelne kleine Länder.

Seit dem 1. Januar 1993 ist die Europäische Union (damals noch Europäische Gemeinschaft) ein gemeinsamer Markt ohne Binnengrenzen. Nachdem 1968 bereits die Zölle inner­halb der Gemeinschaft abgeschafft worden waren, gelten seit 1993 im europäischen Binnenmarkt die sogenannten vier Freiheiten: freier Personenverkehr, freier Warenverkehr, freier Kapital- und Zahlungsverkehr, freier Dienstleistungsverkehr. Ein stabiler, länderübergreifender Binnenmarkt mit Institu­tionen jenseits des Nationalstaats schafft Verlässlichkeit und schützt Konsumentinnen und Konsumenten sowie Unterneh­men dabei vor von kurzfristigen Stimmungen getriebenem Protektionismus. Darüber hinaus ist dieser Binnenmarkt in der Lage, globale Standards zu setzen und sorgt dafür, dass Europäerinnen und Europäer auch im 21. Jahrhundert die Re­geln ihres Zusammenlebens selbst bestimmen können.

In den vergangenen 30 Jahren haben sich Europa und die Welt verändert. Die EU ist von zwölf auf zwischenzeitlich 28, und mittlerweile 27 Mitgliedsstaaten gewachsen. Heute umfasst die EU 450 Millionen Bürger und Bürgerinnen sowie rund 22 Millionen Unternehmen. Während Anfang der 1990er Jahre noch der Optimismus nach dem Ende des Kalten Krie­ges herrschte, bestimmen heute Krisen die Entwicklungen in Europa. Wie blicken die Menschen in Deutschland 30 Jahre nach Inkrafttreten des Binnenmarktes auf den gemeinsamen Markt? Wie wichtig sind ihnen die vier Freiheiten? Und wovor kann dieser gemeinsame Markt Schutz bieten? Was sind die heutigen Herausforderungen für den Binnenmarkt und wel­che Weichenstellungen braucht es in stürmischen Zeiten?

Um diese Fragen zu beantworten, wird in dieser Studie unter anderem auf Umfragedaten des Meinungsforschungsins­tituts Civey zurückgegriffen. Das Institut hat zwischen dem 24.11.2022 und dem 28.11.2022 5001 Menschen online zu ihrer Position zum Binnenmarkt befragt. In dieser Studie wird bei den Ergebnissen jeweils nach Alter, Bildung, beruflicher Stellung und Beschäftigungsstatus sowie bei einzelnen Fra­gen nach regionalen Kriterien (z.B. regionaler Kaufkraft, Ost/ West) differenziert.

Die Ergebnisse zeigen, dass der europäische Binnenmarkt hohe Bedeutung für die Menschen in Deutschland hat. Nahe­zu eine Dreiviertel-Mehrheit aller Befragten bewertet den Bin­nenmarkt als „sehr wichtig“ für ihr tägliches Leben. Ebenso werden die sogenannten vier Freiheiten des Binnenmarktes von einer Mehrheit der Befragten allesamt als wichtig einge­schätzt. Betrachtet man die Zustimmung zu den einzelnen Freiheiten, liegt die Zustimmung im Schnitt bei über 70 Pro­zent und selbst bei der zunächst etwas abstrakten Kapitalver­kehrsfreiheit bei fast 60 Prozent. Bei den Einschätzungen zur Fähigkeit der EU, mit den aktuellen Krisen umzugehen, ergibt die Umfrage ein gemischtes Bild. Einerseits wünschen sich die Befragten eine engere EU-Zusammenarbeit etwa in den Bereichen Energie und Verteidigung, um weniger auf andere Staaten angewiesen zu sein. Anderseits glaubt eine Mehrheit nicht, dass sich die Mitgliedsstaaten bei Fragen wie der Ver­teilung von Geldern, dem Umgang mit Geflüchteten oder dem Klimaschutz auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können. Fast Zweidrittel der Befragten stimmen allerdings der Aussa­ge zu, dass Europa unsere einzige mögliche Zukunft ist.

Für die weitere Entwicklung des Binnenmarktes sind diese Umfragewerte Bestärkung und Auftrag zugleich. Die Men­schen in Deutschland stehen hinter dem Binnenmarktprojekt, aber erwarten mehr Zusammenarbeit bei den drängenden Herausforderungen unserer Zeit: Klimawandel, Migration, Si­cherheit und Energie. Bei allem Schutz vor externen Schocks und der großen Unabhängigkeit, die mit einem großen Markt einhergehen, hat der Binnenmarkt aber auch immer vom Aus­tausch mit anderen Teilen der Welt profitiert. Um den gemein­samen Markt auch in Zukunft zu einem prosperierenden Ort zu machen, braucht die EU auch weiterhin eine starke Durch­setzung der Wettbewerbsordnung, die weitere Integration des Binnenmarktes etwa im Bereich der Kapitalmarktunion oder bei Rüstungsgütern sowie eine ambitionierte Freihandels­agenda, vor allem für die Intensivierung des Austauschs mit liberalen Demokratien.