Gutachten
Deutschland muss sich aus Chinas Mangel befreien
Vom vermeintlichen Ende der Geschichte sind wir so weit entfernt wie lange nicht mehr. Während nach dem Ende des Kalten Krieges und der anschließenden Phase relativen Friedens viele von einem neuen, stabilen Gleichgewicht in dieser friedlichen Machtkonstellation ausgingen, dürfte dieser Traum spätestens mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ausgeträumt sein. Stattdessen sind Krieg und machtpolitische Manöver wieder an der Tages-Unordnung.
Aus westlicher Sicht gilt das besondere Augenmerk folgenden Akteuren: China, Russland, dem Iran, Nordkorea und dem globalen Extremismus. Sowohl einzeln als auch in ihren teils formellen, teils informellen unheiligen Allianzen bergen sie ein besonderes Gefährdungspotenzial für die regelbasierte Weltordnung. Mit Wirtschaftsbündnissen, gemeinsamen militärischen Übungen, gegenseitiger Stärkung in den Vereinten Nationen und dem Austausch von Technologie, insbesondere von Rüstungsgütern, gibt es eine Vielzahl von Austausch- und Unterstützungsformaten.
Die Lage im Südchinesischen Meer spitzt sich zu
Auch wenn es bislang zu keiner direkten militärischen Konfrontation zwischen den staatlichen Militärorganisationen der genannten geopolitischen Akteure und ihren westlichen Pendants gekommen ist, wird die Stimmung zunehmend angespannt. So waren es zum Teil iranische Waffen, die in den Händen von Hisbollah- und Hamas-Terroristen gegen Israel – einen der wichtigsten Verbündeten des kollektiven Westens – eingesetzt wurden. Gleiches gilt für die Ausrüstung, mit der die radikal-schiitischen Huthi-Rebellen Fracht- und Militärschiffe vor der jemenitischen Küste angreifen und damit den Schiffsverkehr durch den Suezkanal praktisch zum Erliegen gebracht haben.
Auch im Südchinesischen Meer spitzt sich die Lage zu. Dort versucht China als regionaler Hegemon einerseits mit seinen formellen Seestreitkräften, andererseits aber auch mit einer wachsenden Flotte paramilitärischer Fischer, die Anrainerstaaten unter Druck zu setzen und damit seine territorialen Ansprüche auszuweiten. Immer wieder kommt es zu Zwischenfällen mit philippinischen, koreanischen oder anderen zivilen Schiffen in der Region.
Russisches Gas zu ersetzen war dagegen einfach
Wer diese internationalen Tendenzen als hemmungsloses Säbelrasseln abtut, könnte einen eklatanten Fehler begehen. Denn weder Russland noch China machen einen Hehl aus ihren imperialistischen Gebietsansprüchen. Auch die iranische Rhetorik gegenüber Israel und die nordkoreanischen Ambitionen gegenüber Südkorea sollten nicht verharmlost werden. Denn während sich viele westliche Staaten auf ihre Friedensdividende und die Abrüstung nach dem Kalten Krieg konzentrierten, radikalisierten sich die beschriebenen Akteure und füllten ihre Arsenale. Ein Schlagabtausch zwischen dem Iran und Israel, Russland und der Nato, Pjöngjang und Seoul oder in der Taiwanstraße könnte die gesamte Konstellation in Brand setzen. Eine beängstigende Vorstellung.
Doch es muss gar nicht zu einem heißen Konflikt kommen. Die Auswirkungen der Einstellung der Gaslieferungen aus Russland nach Europa im vergangenen Jahr dürften den meisten noch in frischer Erinnerung sein. Dabei war die Substitution dieser Importe noch vergleichsweise einfach zu organisieren. Bei den wirtschaftlichen Verflechtungen mit China wäre eine vergleichbare Zuspitzung ungleich schwieriger, wenn nicht gar unmöglich zu lösen.
Chinas absolute Dominanz wird zum geostrategischen Risiko
Ein neues Gutachten der Friedrich-Naumann-Stiftung zeigt diese Abhängigkeit am Beispiel der Produktion von Photovoltaikanlagen. Die absolute Dominanz chinesischer Unternehmen auf dem Weltmarkt, von denen die meisten zumindest anteilig in Staatsbesitz sind, zeigt hier, wie sensibel die europäischen Klimaschutzziele auch aus geostrategischer Sicht sind. Insbesondere Deutschland setzt bei seiner Energiewende fast ausschließlich auf Photovoltaik und Windenergie – in beiden Fällen hat China zumindest bei einigen der benötigten Komponenten eine markt- und technologiebeherrschende Stellung.
Um diesen Risiken zu begegnen, müssen nach Ansicht der Gutachter umgehend Diversifizierungs- und Risikostreuungsstrategien verfolgt werden – andernfalls könnte eine weitere Verschärfung der geopolitischen Lage auch die Klimaambitionen und die Energieversorgung des Westens gefährden. Es zeigt sich: Ein Ende der Geschichte bleibt auch in naher Zukunft außer Sicht.
Dieser Beitrag erschien erstmalig am 17. Januar 2024 bei t-online