Finanzpolitik
Die Dosis macht das Gift: Zur Staatsverschuldung
Deutschland steht vor einer gewaltigen Aufholjagd. Vor allem in den letzten zehn wirtschaftlich goldenen Jahren wurde zu wenig in Infrastruktur und Zukunft investiert. Der Zustand von Straßen, Brücken, Gehwegen und Schulgebäuden lässt mehr als zu wünschen übrig. Von der Schieneninfrastruktur ganz zu schweigen. Auch der Glasfaserausbau, 5G-Netze, die Ausstattung der Bundeswehr, die digitale Verwaltung und viele weitere Zukunftsaufgaben wurden nicht entschieden angegangen. Dies muss nun dringend nachgeholt werden.
Wie dramatisch die Lage zum Beispiel allein im Bereich der kommunalen Verkehrsinfrastruktur ist, zeigt eine Ende August 2023 veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik. Alleine der Bedarf für den Erhalt und die Erweiterung der kommunalen Verkehrsinfrastruktur bis 2030 wird auf 372 Mrd. Euro geschätzt.
Optionen zur Finanzierung zusätzlicher öffentlicher Investitionen
Dass der Investitionsbedarf in Deutschland hoch ist, dürfte unbestrittenen sein. In den nächsten Jahren sind enorme Summen nötig, um die bestehende öffentliche Infrastruktur zu erhalten und auszubauen. Über die Frage der Finanzierung herrscht jedoch bei weitem keine Einigkeit, ganz im Gegenteil. Neben einer Gegenfinanzierung durch Einsparungen bei anderen Ausgaben stehen als weitere direkte Optionen Steuererhöhungen sowie die Ausweitung der Schuldenaufnahme zur Verfügung. Eine weitere Möglichkeit, die Staatseinnahmen zu erhöhen würde darin bestehen, nicht die Steuersätze zu erhöhen, sondern die Wirtschaft anzukurbeln. Die öffentliche Hand würde dann im Erfolgsfall immer noch gut die Hälfte des Kuchens bekommen – dieses Stück wäre dann jedoch deutlich größer, da auch der Kuchen selbst größer ausfällt.
Von allen vier Optionen ist die Schuldenaufnahme kurzfristig betrachtet der Weg des geringsten Wiederstandes: Debatten über Einsparungen und Kürzungen, bzw. Steuererhöhungen können so genauso vermieden werden wie das mühsame Ringen um die Verbesserung der Standortbedingungen, beispielsweise mittels Abbau bürokratischer Auflagen und Hürden. Dass die Ausweitung der Staatsverschuldung jedoch auch enorme mittel- und langfristige Risiken birgt, wird von ihren Befürwortern ausgeklammert. Dabei gilt auch hier: Die Dosis macht das Gift.
Logik und Probleme schuldenfinanzierter öffentlicher Investitionen
Zunächst einmal gibt es durchaus gute Argumente für eine schuldenfinanzierte Ausweitung der öffentlichen Investitionen: Schulden verschaffen die Möglichkeit, höhere Ausgaben zu stemmen, die sonst (noch) nicht finanziert werden könnten. Dafür müssen sie jedoch mit laufenden Zinszahlungen finanziert und am Ende auch zurückgezahlt werden. Mit anderen Worten: Die kurzfristig möglich gewordenen Ausgaben verursachen langfristige Kosten. Schuldenfinanzierte Ausgaben sind deshalb immer dann sinnvoll, wenn ihr Ertrag höher ist als die Kosten von Zinsen und Rückzahlung. Genau hier liegt jedoch ein Kernproblem der Möglichkeit öffentlicher Haushalte, Ausgaben mit Schulden zu finanzieren.
Denn es ist kaum möglich sicherzustellen, dass nur solche Investitionen mit Schulden finanziert werden, deren erwarteter Ertragswert höher ist als die Kosten. Hierfür gibt es unzählige Beispiele, so das Debakel um den Nürburgring mit Kosten für den Steuerzahler in der Höhe mehrere hundert Millionen Euro. Zudem stellt sich ohnehin das Problem, zwischen Investitionen und Konsumausgaben zu trennen. So gab es durchaus auch schon den Versuch, Sozialausgaben als Investition in die Zukunft zu verkaufen. Vielleicht noch schwerwiegender: Die Möglichkeit der Schuldenfinanzierung für Investitionen kann dazu verleiten, die laufenden Einnahmen immer stärker für Konsumausgaben zu nutzen. Gleichzeitig kann die Finanzierung von Investitionen immer stärker über die Nettokreditaufnahme erfolgen. In diesem Szenario würde die Möglichkeit der Schuldenfinanzierung für Investitionen nur zu einem Anstieg der Konsumausgaben führen, obwohl die formalen Bedingungen für die Schuldenaufnahme erfüllt würden.
Büchse der Pandora: Die Gefahr ausufernder Staatsschulden
Neben diesen operativen Fragen gibt es auch ein grundsätzliches Problem von schuldenfinanzierten öffentlichen Ausgaben. Wenn die Schuldenaufnahme der öffentlichen Hand höher ist als das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, dann steigt die Staatsschuldenquote, die das Verhältnis von Staatsschulden zu Wirtschaftskraft beschreibt. Kurzfristig ist dies in vielen Situationen tragbar, gerade wenn diese Entwicklung bei niedrigen Staatsschuldenquoten startet. Zu hohe Staatsschuldenquoten sind jedoch mittel- und langfristig eine ernste Gefahr:
- für die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte,
- für das Wachstum der Wirtschaft,
- für das Vertrauen von Anlegern
- und für den gesellschaftlichen Frieden.
Die Verwerfungen im Zuge der Eurokrise, in deren Zuge sich die Konsequenzen einer zu sorglose und ausufernden Schuldenfinanzierung manifestierten, sollten eigentlich ein mahnendes Beispiel sein. In den letzten Jahren der Niedrigzinsphase ist dies jedoch schnell aus dem Fokus der Debatte gerückt. Selbst in der Wirtschaftswissenschaft wurde von einigen Akteuren darüber spekuliert, dass die Zinsen lange niedrig bleiben und somit Schulden so gut wie kostenlos gemacht werden können. Selbst in den USA, die mit der Leitwährung Dollar eigentlich ein grundsolider Kreditnehmer sind, nähren sich jedoch die Zweifel an dieser Sichtweise, wie in einem aktuellen Artikel der FAZ beschrieben wird:
Die Zensurengeber sind im Moment noch nicht wegen der generellen Schuldentragfähigkeit der USA alarmiert. Sie besorgt vielmehr die Entwicklung. Die Zinszahlungen betrugen im Fiskaljahr 2023 schon fast 700 Milliarden Dollar, doppelt so viel wie vor zwei Jahren. Bald kosten die Zinsen den amerikanischen Staat mehr als das Pentagon.
Fazit: Nachhaltige Haushaltspolitik als Leitbild
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine Schuldenfinanzierung öffentlicher Investitionen unter bestimmten Voraussetzungen eine legitime Handlungsoption ist. Ein Allheilmittel ist die Kreditaufnahme jedoch nicht, auch wenn dies häufig suggeriert wird. Es spricht ganz im Gegenteil sehr viel dafür, die Möglichkeiten der öffentlichen Hand zur Schuldenaufnahme klar zu begrenzen. Fiskalregeln wie die deutsche Schuldenbremse können sicherstellen, dass eine Überschuldung mit all ihren negativen Konsequenzen gar nicht erst eintritt. Studien wie zuletzt eine Veröffentlichung des ifo Instituts zeigen immer wieder die Vorteile einer nachhaltigen regelbasierten Haushaltspolitik. Diese führt nicht nur zu niedrigeren Schuldenständen, sondern auch zu einem höheren Wirtschaftswachstum. Hinweise auf negative Effekte von Fiskalregeln auf die öffentliche Investitionstätigkeit ließen sich laut der ifo-Studie nicht nachweisen.
Wie so oft kommt es also auch bei der Staatsverschuldung auf die richtige Dosierung an: Zu hohe Schuldenquote können ein Land lähmen. Deutschland wäre deshalb schlecht beraten, wenn es einen Pfad der maßlosen Staatsverschuldung einschlagen würde.