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Veranstaltung
Die Zukunft der Ukraine und die Verantwortung Deutschlands

Podiumsdiskussion mit Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Generalkonsul Yuriy Yarmilko in München
Prof. Dr. Stephan Bierling, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Generalkonsul Yuriy Yarmilko

Prof. Dr. Stephan Bierling, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Generalkonsul Yuriy Yarmilko

© Thomas-Dehler-Stiftung

Die Ukrainische Freie Universität, eine der ältesten privaten Universitäten Deutschlands, hat ihren Sitz in München. Sie ist die einzige Universität außerhalb der Ukraine, in der auf Ukrainisch, Deutsch und Englisch gelehrt wird. Am 14. Januar lud die Universität gemeinsam mit der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und der Thomas-Dehler-Stiftung zu einer Podiumsdiskussion mit der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des Bundestags, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, und dem Generalkonsul der Ukraine in München, Yuriy Yarmilko.

Das ist eine Kriegserklärung

Die Gäste diskutierten über die Entwicklungen in der Ukraine, über die deutsche Politik und über deutsche Verantwortung. Prof. Dr. Stephan Bierling, Professor für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg, der als Moderator durch die Veranstaltung führte, richtete zunächst den Blick zurück: Wann konnte man sich sicher sein, dass es zum Krieg kommt? Marie-Agnes Strack-Zimmermann beschrieb eine Entwicklung von Befürchtungen zur Gewissheit, von der letzten Militärübung 2021, zu der kein westlicher Staat mehr eingeladen war, über die Lieferung von Blutkonserven bis zur russischen Anerkennung der selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk in der Ostukraine. Hier sei klar gewesen: „Das ist eine Kriegserklärung“. Yuriy Yarmilko betonte, wie sehr man bis zum letzten Moment gehofft habe, dass es doch nicht zum Krieg komme. Strack-Zimmermann verteidigte in diesem Zusammenhang auch den viel kritisierten Verhandlungsversuch von Olaf Scholz am langen Tisch des Kremls: Man solle, so sei wohl die Absicht gewesen, nicht sagen können, er hätte nicht alles versucht.

Prof. Dr. Stephan Bierling, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Generalkonsul Yuriy Yarmilko

Prof. Dr. Stephan Bierling, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Generalkonsul Yuriy Yarmilko

© Thomas-Dehler-Stiftung

Wir kämpfen nicht nur für uns, sondern für ganz Europa

Am 27. Februar folgte die Regierungserklärung des Kanzlers, in der er von der „Zeitenwende“ sprach. Laut Marie-Agnes Strack-Zimmermann war die SPD „starr vor Schreck.“ Sie ist sich sicher: Olaf Scholz hat damals aus Überzeugung gesprochen. Doch die Vorbehalte in der SPD seien wohl der Grund dafür, dass zunächst überhaupt nichts passiert ist und dass es noch heute immer erst zu langen Diskussionen kommt, bevor Deutschland Waffensysteme liefert. Aktuell würden die Partner auf Deutschland schauen, gerade beim Thema Waffen – „auch das ist Zeitenwende“ – doch Deutschland sei immer „hinter der Welle“. Gerade diese Verzögerung, so ergänzte Stephan Bierling, beeinflusse, wie unsere Partner auf uns schauen. Generalkonsul Yuriy Yarmilko wurde gebeten, die militärische Unterstützung Deutschlands zu bewerten. Yarmilko war zunächst ganz Diplomat und dankte Deutschland für die Unterstützung sowie dem bayerischen Kabinett für die jüngst beschlossene Ukraine-Winterhilfe in Höhe von fünf Millionen Euro. Doch dann wurde er deutlich: Er verwies auf anfängliche Peinlichkeiten wie die Zusage der 5.000 Helme und betonte, dass die monatelangen Diskussionen um die Marderlieferungen Tausende ukrainische Soldatenleben gekostet hätten. Die Ukrainer, so der Generalkonsul, wollen nicht nur, dass Deutschland Waffen liefert, sie wollen auch, dass es die Führungsrolle in Europa übernimmt. Und er ergänzte: „Wir kämpfen nicht nur für uns, sondern für ganz Europa!“

Die Amerikaner sind ein Glücksfall für unsere Freiheit und unseren Kontinent

Ein weiterer Punkt der Debatte drehte sich um die Rolle der USA und speziell von Joe Biden. Laut Stephan Bierling habe dieser nach dem mit Obama in Verbindung gebrachten Grundsatz „Leading from behind“ die Europäer durch amerikanische Vorleistungen immer wieder unter Druck gesetzt und damit eine „Meisterleistung amerikanischer Diplomatie“ vollbracht. Marie-Agnes Strack-Zimmermann stimmte zu und äußerte ihre Begeisterung über den Transatlantiker und geschickten Diplomaten, betonte aber auch, dass das Gros der Republikanischen Partei seine Haltung gegenüber der Ukraine teile. Im Ganzen sei das Engagement der USA unglaublich wichtig, die Amerikaner „ein Glücksfall für unsere Freiheit und unseren Kontinent.“

Putin nutzt unsere Angst

Da es nicht nur Drohungen Putins, Medwedews und anderer, sondern auch gerade in Deutschland immer wieder entsprechende Ängste und Befürchtungen gibt, wurde auch ein möglicher Atomwaffeneinsatz Russlands diskutiert. Yuriy Yarmilko machte hier zunächst auf die bittere Ironie des Ganzen aufmerksam: Schließlich habe die Ukraine 1994 im Budapester Memorandum freiwillig auf Atomwaffen verzichtet und dafür Sicherheitsgarantien, auch Russlands, erhalten, nun werde sie von Russland mit Atomwaffen bedroht. Deren Einsatz halte er aber doch für nicht realistisch. Strack-Zimmermann schränkte zwar ein, dass jemand, der so „entgrenzt“ wie Putin sei, auch in der Lage sei, Atomwaffen einzusetzen, doch gehe es hier um etwas anderes: Der Gedanke an Atomwaffen würde in Deutschland eine Art „Elektroschock“ auslösen, gefolgt von einer diffusen Angst vor dem Dritten Weltkrieg. In unseren Nachbarländern sei diese Angst längst nicht so groß und Putin nutze unsere Angst. Letzten Endes handle es sich hier um ein Narrativ, „das benutzt wird, um uns in Unsicherheit zu versetzen“. Hier gebe es auch weitere Mittel: das Auslösen von Migrationsbewegungen, Cyberangriffe und den Einsatz von Fake News. Die Drohung mit Atomwaffen gehöre ebenfalls in diese Kategorie, so die Parlamentarierin.

Zum Ende der Debatte bat Stephan Bierling den ukrainischen Generalkonsul, seinen Wunsch an die Bundesregierung zu formulieren. An die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses gewandt bat Yarmilko: „Setzen Sie Ihre Bemühungen fort. Sagen Sie Ihren Kollegen, wir kämpfen auch für sie, sagen Sie, dass wir diese Waffen wirklich brauchen. Schicken Sie die Waffen in die Ukraine, wir machen das Weitere!“

Noch während in München die Podiumsdiskussion andauerte, gab es in der Ukraine russische Raketenangriffe, unter anderem auf ein bewohntes Hochhaus in Dnipro. Der terroristische Angriff forderte, Stand jetzt, 45 Todesopfer und zahlreiche Verletzte. Mehr Nachdruck hätten die Worte des Generalkonsuls nicht bekommen können.