Brexit
Diese Frau will Boris Johnson stoppen
Einen Tag vor dem vielbeachteten Wechsel an der Spitze der Tories haben die britischen Liberaldemokraten (LibDems) am Montagabend ebenfalls eine neue Parteispitze bestimmt. Der bisherige Vorsitzende Vince Cable war im März zurückgetreten, neue Amtsinhaberin wird seine Stellvertreterin Joanne Kate „Jo“ Swinson. Die 39-jährige Schottin verfügt über langjährige Partei-, Parlaments- und Ministererfahrung und war als Favoritin in die Urwahl gegangen.
Von Applaus begleitet betrat Jo Swinson als neue Parteichefin der LibDems am Montagabend die Bühne und ließ sich gebührend von den anwesenden Parteimitgliedern feiern. Swinson war die Freude sichtlich anzumerken, mit knapp 20.000 Stimmen Vorsprung (47.997 zu 28.021 Stimmen) hatte sie sich gegen ihren Mitbewerber Ed Davey durchgesetzt. Beide hatten sich im Vorfeld der Abstimmung entschieden gegen den Brexit positioniert. Swinson möchte an die guten Umfrageergebnisse der Partei anknüpfen und den entschiedenen Anti-Brexit-Kurs der Partei fortführen, die unter Vince Cable mit dem von einer Graswurzelbewegung entlehnten Slogan “Bollocks to Brexit“ (auf Deutsch etwa „Brexit ist Blödsinn“) bei den Kommunal- und Europawahlen 2019 ihre bisher besten Ergebnisse erreicht hatte.
„Ich bin geehrt und überglücklich, als neue Vorsitzende der LibDems vor Ihnen und Euch zu stehen“, begann Swinson ihre Dankesrede unmittelbar nach der Ergebnisverkündung. „Angesichts von Nationalismus, Populismus und der Katastrophe des Brexit haben die beiden Hauptparteien versagt. Als Vorsitzende werde ich alles tun, um den Brexit zu stoppen. Das ist meine oberste Priorität.“
Sollte es, wie von den LibDems angestrebt, zu Neuwahlen kommen, werde sie sich daher als Kandidatin für das Amt des Premierministers zur Verfügung stellen. Während Swinson jegliche mögliche Zusammenarbeit mit Labour-Chef Jeremy Corbyn ausschloss, sei die Partei jedoch grundsätzlich weiterhin offen für Abgeordnete anderer Parteien. Bedingung sei, dass diese wie die LibDems auf ein zweites Referendum hinarbeiten, so Swinson weiter. Dies unterscheidet Swinson von ihrem ehemaligen Mitbewerber Ed Davey, der Absprachen mit anderen Parteien weniger offen gegenüberstand.
Mit gerade einmal 39 Jahren hat Jo Swinson eine beachtliche Erfolgsbilanz in der britischen Politik vorzuweisen: LibDem-Parteimitglied seit ihrem 17. Lebensjahr, 2005 Einzug als jüngste Abgeordnete für ihren schottischen Heimatwahlbezirk East Dunbartonshire ins britische Unterhaus, in der Koalitionsregierung von 2010 bis 2015 parlamentarische Privatsekretärin des Wirtschaftsministers Vince Cable und später des stellvertretenden Premierministers Nick Clegg, Junior-Staatssekretärin im Wirtschaftsressort, Staatssekretärin für Frauen und Gleichberechtigung, seit 2017 stellvertretende Parteivorsitzende und nun auch noch erste weibliche Parteivorsitzende einer traditionell eher männerdominierten Partei.
Swinson tritt damit in den Kreis europäischer liberaler weiblicher Parteispitzen ein: Annie Lööf von der schwedischen Centerpartiet (seit 2011), Gwendolyn Rutten (Open VLD, Belgien) und Corinne Cahen (Demokratesch Partei, Luxemburg; beide seit 2012) zählen zu den Dienstältesten der liberalen weiblichen Runde, Tendenz steigend. Die Freude über diesen Triumph bedachte Swinson bei ihrer ersten Rede augenzwinkernd mit einem “My feminist heart sings“.
Allzu lange wird sich die neue Vorsitzende allerdings nicht feiern lassen können. Ein erster Test für Swinson wird die Nachwahl im Wahlkreis „Brecon and Radnorshire“ am 1. August sein, wo die britischen Liberalen ein dreizehntes Parlamentsmandat erringen können. Erzielte dort die Brexit-Party bei den Europawahlen noch die meisten Stimmen, konnte sich mittlerweile eine „Remain Allianz“ zugunsten der LibDems formieren. Die walisische Kandidatin und Vorsitzende der „Welsh Liberal Democrats“, Jane Dodds, liegt derzeit mit Umfragewerten von über 40 Prozent vorne und wird von zahlreichen Oppositions- und Anti-Brexit Parteien unterstützt, darunter die Grünen, Change UK und die Renew Party. Ob sich die LibDems in Zukunft durch solche Pakte und Absprachen gar als Königsmacher entpuppen, wie es manche Experten voraussagen, ist derzeit völlig offen.
Carmen Descamps ist European Affairs Managerin im Brüsseler Regionalbüro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.