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Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Ein letztes Zucken des NetzDG – nationale Alleingänge bei Plattformregulierung sind unionsrechtswidrig

Netzwerkdurchsetzungsgesetz
© picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres

Der gemeinsame Binnenmarkt ist das A und O der Europäischen Union. Nationale Regelungen einzelner Mitgliedstaaten, die diesem Ziel zuwiderlaufen, sind (abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen) unionsrechtswidrig.

Gut gemeint, schlecht gekonnt

Das bekam jüngst Österreich zu spüren. Unser Nachbarland wollte mit seinem Kommunikationsplattformen-Gesetz Hass, Hetze und Verleumdung im Netz einen Riegel vorschieben. Plattformanbieter wurden durch das Gesetz in Österreich verpflichtet, Melde- und Überprüfungsverfahren für potenziell rechtswidrige Inhalte einzurichten. Auch Bußgelder sollten bei Verstößen fällig werden. Google, Meta und TikTok, einige der Adressaten dieses Gesetzes, setzten sich dagegen zur Wehr. Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens hat ihnen der Europäische Gerichtshof (EuGH) nun Recht gegeben. In seinem Urteil vom 09.11.2023 bekräftigte er den wichtigen Grundsatz, der den europäischen Binnenmarkt schützen soll. Die Nationale Regelung laufe dem freien Dienstleistungsverkehr und damit dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts zuwider.

Das Gesetz war gut gemeint. Unbestreitbar ist Hass im Netz ein wichtiges Thema, dem viel zu wenig beigekommen wird. Auch die EU-Kommission hat das mittlerweile zum Glück erkannt. Europaweit gilt für große Plattformen schon seit vergangenem August, für alle weiteren Plattformen ab Februar 2024 der Digital Services Act (DSA). Er soll effektiv Hass im Netz bekämpfen.

Grundprinzipien der EU im Binnenmarkt

„Europaweit“ ist dabei das ausschlaggebende Stichwort. Die Idee der Europäischen Union fußt auf einheitlichen Regeln, die Voraussetzung  für die Verwirklichung des Binnenmarktes - schon seit 1969 Ziel der Union - sind. Einheitliche Regeln machen es sowohl Verbraucherinnen und Verbrauchern als auch Unternehmen leichter, am Wirtschaftsleben der EU teilzunehmen.

Verbraucherinnen und Verbraucher profitieren beispielsweise durch den Wegfall aller Zölle und damit der Möglichkeit, in allen Mitgliedstaaten Waren erwerben zu können. Oder indem sie sich in jedem EU-Land bei Verspätungen auf die gleichen Fahr- und Fluggastrechte berufen können.

Für Unternehmen ist der einheitliche Binnenmarkt essentiell. Gerade für große, global agierende Konzerne ist es immens wichtig, dass sie sich nur den Regeln eines großen Marktes unterwerfen, sich nicht auf 27 kleine Märkte mit jeweils unterschiedlichen Gesetzen einstellen müssen. Das ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil gegenüber Unternehmen außerhalb der EU. Der Binnenmarkt sorgt außerdem für gleichwertige Angebote. Nicht auszuschließen, dass ansonsten manche Leistungen und Produkte nicht in jedem kleineren europäischen Land verfügbar wären.

Keine einheitlichen Regeln für Plattformregulierung

Vor dem europaweit einheitlichen DSA gab es innerhalb der EU aber keine Regeln zum Zweck der Inhaltsmoderation auf Plattformen. Die stattdessen existierende „Richtlinie über Dienste der Informationsgesellschaft“ und die „E-Commerce-Richtlinie“ sollten den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft (worunter auch die Plattformdienste fallen) zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellen und einen rechtlichen Rahmen schaffen. Wenig überraschend, ist doch die Dienstleistungsfreiheit eine der vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarkts. Die Aufsicht über die entsprechende Plattform sollte das EU-Land führen, in dem der jeweilige Plattformkonzern seinen europäischen Sitz hat.

Aufgrund der dort niedrigen Steuersätze, verlegen viele große Internetkonzerne bevorzugt ihren europäischen Sitz nach Irland. Damit lag die Aufsicht über die Einhaltung der Regelungen im elektronischen Geschäftsverkehr und auf Plattformen in mehreren bekannten Fällen bei irischen Stellen – so auch bei Google, Meta und TikTok. Eine für einen Konzern einheitliche Aufsicht ist aufgrund des angestrebten harmonisierten Binnenmarkts wichtig, damit keine Verantwortungskollision entsteht und die Unternehmen Rechtssicherheit erhalten.

Österreich gingen die Maßnahmen der irischen Behörden nicht weit genug und verpflichtete die Unternehmen deswegen zusätzlich mit den eigenen, strengeren Regeln. Weil ein solches Vorgehen aber dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten zuwiderläuft und gegen den europarechtlichen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung verstößt, hat der EuGH das Gesetz nun kassiert.

Die Rechts- und Wirtschaftsgemeinschaft Europäische Union lebt vom Ringen um gemeinsame Regeln. Manchmal ist das Ergebnis nur schwer zu ertragen – weil zu langsam gehandelt wird, weil nur unbefriedigende Kompromisse herauskommen und weil man keine Möglichkeit hat, zuvor an die EU abgegebene Kompetenzen wieder zurückzuholen. Aber um die Glaubwürdigkeit der EU nicht zu untergraben, ist das Einhalten der Spielregeln wichtig. Nationale Alleingänge hingegen gefährden die Idee und werden – wie im EuGH-Urteil geschehen – abgestraft. 

Auch das deutsche NetzDG ist betroffen

Das gilt auch für Deutschland! Schon wesentlich früher als in Österreich trat 2017 das NetzDG in Kraft. Es diente der Regelung unseres Nachbarlandes als Vorbild. Das Gesetz stieß auf viel Kritik, auch die Unvereinbarkeit mit dem Europarecht wurde schon während des Gesetzgebungsverfahrens angemahnt.

Dies hat der EuGH nun implizit auch bestätigt. Zwar wird das Gesetz sowieso bald Geschichte sein, weil es im Februar vom DSA vollständig abgelöst werden wird. Jedoch gibt es eine Reihe laufender Verfahren, die schon nach dem NetzDG eingeleitet wurden. Es bestehen gute Chancen, dass die Plattformen mit diesem neuen Urteil nun um die verhängten Bußgelder herumkommen.

Für die Umsetzung des DSA mit dem Digitale-Dienste-Gesetz sollte das Urteil ein mahnendes Beispiel sein. Regelverschärfungen im deutschen Recht sind nur bei wirklichen Regelungslücken möglich. Sonst wird die Quittung aus Luxemburg früher oder später kommen.