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Gesichtserkennung in der Testphase

Auf dem Weg in den Überwachungsstaat

Vor wenigen Tagen hat der Testlauf für die biometrische Gesichtserkennung per Überwachungskamera als Pilotprojekt im Berliner Bahnhof Südkreuz begonnen. Das hoch kontrovers diskutierte Thema erfährt einen neuen Aufschwung. Bereits vor zehn Jahren wurde die Kameratechnik am Mainzer Hauptbahnhof schon einmal getestet – vergeblich. Das Projekt wurde aufgrund mangelnder Genauigkeit bei der Nutzung im öffentlichen Raum eingestampft. Außerdem war das Potential einer Falscherkennung zu groß. Heute testet das Bundesministerium gemeinsam mit der Bundespolizei die Technologie zum Schutz der inneren Sicherheit erneut, trotz bereits fehlgeschlagenem Testlauf und vor allem einer fehlenden rechtlichen Grundlage. Rund 300 freiwillige Probanden geben hierfür nun für sechs Monate ihre Freiheitsrechte ab.

Innere Sicherheit auf Kosten des Datenschutzes

Das Innenministerium und Sicherheitsbehörden hoffen bei der neuen Überwachungsmaßnahme auf ein brauchbares Instrument im Anti-Terror-Kampf. Ausgeblendet wird, dass dessen Einsatz nach geltendem Datenschutzgesetz nicht möglich ist. Immerhin äußert Andrea Voßhoff, Bundesbeauftragte für Datenschutz, grundsätzliche Bedenken gegen die automatische Gesichtserkennung, da sie einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte darstellt. Mithilfe der Technik können Bewegungsmuster von Personen genauestens nachverfolgt werden. Massiv kritisiert der Deutsche Anwaltsverein (DAV) das Pilotprojekt. Ulrich Schellenberg, Präsident des DAV, erklärt auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz, dass das Scannen der Gesichter „zu einem nicht hinnehmbaren Gefühl des Überwachtwerdens und Einschüchterung“ führe. Der Schutz durch die Grundrechte bedeutet genau im Gegenteil, dass jeder Mensch frei von einem Gefühl der Überwachung sein müsse.

Die Koalition aus Union und SPD nimmt für einen vermeintlich leichteren Anti-Terror-Kampf in Kauf, die Bürgerrechte weiter einzuschränken. Die Devise der Union lautet „Opferschutz vor Datenschutz“, wie CDU-Innenexperte Armin Schuster gegenüber dem Handelsblatt proklamierte.

Was steckt hinter den Videokameras mit Gesichtserkennung?

Auch wenn die neuen Video-Kameras auf den ersten Blick herkömmlichen Überwachungskameras gleichen, liegt ihnen eine neue Technologie zu Grunde. Mittels Gesichtserkennung erfasst die Kamera biometrische Daten, die im Anschluss von einem Computer verarbeitet werden. Er misst Merkmale, zum Beispiel die Abstände zwischen Nase und Augen, und wandelt sie in ein individuelles digitales Muster um. Nachdem die Kamera ein Gesicht identifiziert hat, gleicht sie es mit den in einer Datenbank gespeicherten Personen ab. In einem letzten Schritt können im System registrierte Gefährder, potentielle Terroristen oder gesuchte Straftäter aufgespürt werden. In der Theorie schlägt bei positiver Übereinstimmung mit der Datenbank eine Kamera Alarm, damit die Behörden entsprechend reagieren. Genauere Informationen dazu, wie eine Reaktion im Konkreten aussieht, liefert die Bundespolizei jedoch nicht.

Technisch gibt es große Zweifel, ob die Überwachungstechnik überhaupt die gewünschten Ergebnisse liefern kann. Bei Personen, die mit einem Schal oder einer Sonnenbrille gekleidet sind, kann selbst die beste Technologie keine Gesichtszüge erkennen. Die Smartphone-Generation mit ihren gesenkten Blicken auf mobile Endgeräte verstärkt diese Problematik zusätzlich. Die Frage inwieweit die Technologie, selbst wenn sie Gesichter erkennt, effizient sein kann, steht nach wie vor im Raum. Bekanntlich finden Täter Wege, Kameras an öffentlichen Plätzen zu umgehen.

Hinzukommt, dass mit zunehmender Anzahl der in der Datenbank registrierten Personen die Verwechslungsgefahr steigt. Heruntergerechnet auf die täglich knapp drei Millionen Fahrgäste der Berliner Verkehrsbetriebe könnten selbst Abweichungen im Promillebereich Unschuldige in Verdacht bringen.

Behördenversagen durch Überwachung kompensieren

In der Vergangenheit war es nicht mangelnde Überwachung, sondern vielmehr Behördenversagen, das Attentate ermöglichte. Im Fall des Attentäters Anis Amri vom Breitscheidplatz in Berlin lagen den Behörden ausreichend Informationen vor, um eine Verhaftung vorzunehmen. Anstatt den Behördenapparat als Maßnahme für die innere Sicherheit aufzustocken, zu sichern und auszubauen, setzen die Union und SPD einseitig auf Überwachung. Seit der Jahrtausendwende wurden über 16000 Stellen bei der Polizei abgebaut. Ein ähnlicher Mangel zeigt sich auf Seiten der Justiz. Jens Gnisa, der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes kritisiert, dass jedes Jahr 40 bis 45 dringend Tatverdächtige aufgrund von fehlendem Personal aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Die Verfahren ziehen sich schlichtweg zu lange hin. Er fordert mindestens 2000 zusätzliche Richter und Staatsanwälte, vor allem auch um die androhende Pensionierungswelle aufzufangen. Jens Gnisa und Oliver Malchow, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, sind sich sicher: Die innere Sicherheit in Deutschland könnte schon bald unter dem Personenmangel bei Polizei und Justiz leiden. Der Einsatz neuer Überwachungssysteme ist keine Lösung.