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Hongkong
Hongkongs neuer Regierungschef: Warum John Lee Hongkong in eine noch düsterere Zukunft führen wird

John Lee Ka-chiu

John Lee Ka-chiu

© picture alliance / newscom | Dickson Lee

Für mich als Hongkong-Aktivist im Exil war die Meldung, dass die umstrittene Regierungschefin Carrie Lam ihr Amt aufgibt, zunächst eine Erleichterung. Lams pekingfreundliche Politik hatte die folgenschweren Pro-Demokratie-Proteste im Jahr 2019 ausgelöst. Ein neuer Regierungschef bedeutet jedoch weder, dass Hongkong wieder zu der Stadt wird, die sie mal war, noch wird die neue Regierung die Unterdrückung der Zivilgesellschaft beenden. Ganz im Gegenteil. Die Ernennung von John Lee Ka-chui als Lam-Nachfolger lässt darauf schließen, dass Peking die Unterdrückung in Hongkong in den nächsten fünf Jahren fortsetzen wird.

Carrie Lams Vermächtnis

Für jeden, der die Entwicklungen in Hongkong in den letzten Jahren verfolgt hat, ist es keine Überraschung, dass Carrie Lam von Peking kein grünes Licht für ihre zweite Amtszeit bekommen hat. Sie hat viele, wenn nicht sogar alle Erwartungen Pekings enttäuscht: Sie hat es nicht geschafft, die Änderung des Auslieferungsgesetzes mit China voranzutreiben. Ihr kompromissloser Umgang mit den regierungsfeindlichen Protesten im Jahr 2019 hat dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen in Hongkong auf die Seite der pro-demokratischen Bewegung geschlagen haben. Bis Anfang Mai hat ihr schlechter Umgang mit der COVID-19-Pandemie innerhalb von nur fünf Monaten zu mehr als 9.000 Todesfällen geführt und den Ruf Hongkongs als internationales Finanzzentrum ernsthaft in Gefahr gebracht. Einem im März 2022 von der Europäischen Handelskammer in Hongkong veröffentlichten Bericht zufolge erwägt fast die Hälfte der europäischen Unternehmen, ihren Standort in den nächsten Jahren zu verlagern. 

Unter Lams Regierung hat Peking - unter Verletzung des Grundsatzes "Ein Land, zwei Systeme" - die Autonomie Hongkongs eklatant untergraben. Im Juni 2020 hat der Nationale Volkskongress das berüchtigte sogenannte „Nationale Sicherheitsgesetz“ für Hongkong direkt eingeführt. Im darauffolgenden Jahr hat Peking eine "patriotische" Wahlreform in Hongkong durchgesetzt, nach der nur noch die von Peking genehmigten Kandidaten für Ämter kandidieren dürfen. Infolge der neuen Regeln werden alle Wahlen - ob für die Bezirksräte, den Legislativrat oder den Chef der Exekutive - zu einer reinen Farce.

John Lee: Pekings Vollstrecker

Am 8. Mai 2022 wählte ein von der Regierung eingesetzter Wahlausschuss den ehemaligen Sicherheitschef John Lee Ka-chiu zum nächsten Oberhaupt Hongkongs. Lee hat sich einen Ruf als Hardliner erworben: Er beaufsichtigte die gewaltsame Niederschlagung der Anti-Regierungsproteste im Jahr 2019 und ließ das drakonische „Nationale Sicherheitsgesetz“, das Peking im Jahr 2020 zur Verfolgung demokratischer Dissidenten eingeführt hatte, ausgiebig anwenden. Ausgestattet mit der Fähigkeit, einen härteren Kurs in der Stadt durchzusetzen, ist Lee in den Augen Pekings ideal, um das zu erreichen, was aus dem pro-Peking-Lager oft als "politische und soziale Stabilität nach einer Zeit der Turbulenzen" bezeichnet wird. Dies ist besonders wichtig, da Ende dieses Jahres der 20. Nationale Kongress der Kommunistischen Partei Chinas stattfinden wird.

Die Tatsache, dass Lee im Gegensatz zu allen vorangegangenen Wahlen zum Regierungschef keine Gegenkandidaten hatte, deutet darauf hin, dass sich Peking nicht einmal die Mühe machen muss, den demokratischen Anschein von Hongkong aufrechtzuerhalten.

Während seiner gesamten Karriere bei den Sicherheitsdiensten stand Lee der Zivilgesellschaft und allen, die die pro-demokratische Bewegung in Hongkong unterstützten, stets feindlich gegenüber. Als ich 2019 die Genehmigung meines Asylantrags in Deutschland bekannt gab, beschuldigte Lee die deutsche Entscheidung als unbegründet und unüberlegt. Er versicherte, dass die Hongkonger Polizei "mit allen Mitteln" gegen mich vorgehen werde.

Mit dem „Nationalen Sicherheitsgesetz“ hat die amtierende Regierung fast alle pro-demokratischen Politiker und Aktivisten verhaftet. Die meisten meiner Mitstreiter und Mitstreiterinnen in Hongkong sind entweder im Gefängnis oder warten auf ihren Prozess. Neben politischen Persönlichkeiten verfolgt die nationale Sicherheitspolizei auch regierungskritische Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen. Apple Daily und Stand News, beliebte pro-demokratische Medien, mussten im vergangenen Jahr ihre Tätigkeit einstellen. Der Raum für die Opposition, wenn es überhaupt welche gibt, wird zunehmend eingeschränkt.

Neue Instrumente zur Unterdrückung

Trotz dieses mächtigen Gesetzes scheint Peking nicht zufrieden zu sein mit der Anzahl der Instrumente, die es zur Unterdrückung der Freiheiten und Rechte der Hongkonger Bevölkerung hat. Während seiner Scheinwahlkampagne im April dieses Jahres bekräftigte Lee, dass er der Gesetzgebung zur nationalen Sicherheit durch Artikel 23 des Grundgesetzes der Stadt Vorrang einräumen werde. In diesem Artikel heißt es, dass die Regierung Hongkongs "eigenständig Gesetze zum Verbot von Verrat, Abspaltung, Aufruhr und Umsturz gegen die zentrale Volksregierung" erlässt.

In einem Interview mit dem chinesischen Fernsehsender "Phoenix TV" im Sommer letzten Jahres sagte Lee, der damalige Chefsekretär für Verwaltung, dass das bestehende Gesetz zur nationalen Sicherheit bei Weitem nicht ausreiche, um diese zu gewährleisten. Daher bereitet er derzeit ein Gesetz zur inneren Sicherheit vor, das auf Artikel 23 basiert und es der Regierung ermöglicht, auch die schwierigsten und extremsten Situationen zu dominieren. "Die Stadt", so Lee, "muss wachsam gegenüber terroristischen Aktivitäten im Untergrund bleiben". Er fügte hinzu, dass es immer noch Unterstützung für die Unabhängigkeit Hongkongs und Gewalt gebe. Daher sei es dringend erforderlich, die Verbreitung dieser Ideen zu unterbinden.

Im Gegensatz zu Carrie Lam, die aus der Beamtenklasse stammt, hat John Lee als Berufspolizist außer den Sicherheitsdiensten keine weitere Machtbasis. Er ist weder mit der Exekutive und der Beamtenklasse noch mit den lokalen Tycoons verbündet. Das macht ihn abhängig von Pekings Macht.

Es wird sogar spekuliert, dass Lees stetiger Aufstieg von einem Polizisten der mittleren Laufbahn zu einem politischen Beamten, der für das Sicherheitsressort der Stadt zuständig ist und dann zu Lams Stellvertreter als Chefsekretär auf seine geheime Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei Chinas und die aktive Unterstützung Pekings im Laufe der Jahre zurückzuführen ist. 

Normalerweise würde der Mangel an lokaler Unterstützung einer Regierung die Entwicklung und Umsetzung politischer Maßnahmen nur behindern. Hongkong ist jedoch nicht mehr wie vorher. Peking erwartet vom Regierungschef Hongkongs absolute Loyalität gegenüber der Kommunistischen Partei Chinas. Die Rolle des Chefs der Exekutive hat sich von der Führung eines der globalen Finanzzentren der Welt zum obersten Loyalisten Pekings gewandelt, wodurch die Zentralregierung nun ihren Einfluss in Hongkong maximieren kann.

Ray Wong ist ein Hongkonger Aktivist im Exil, dem 2018 von Deutschland Asyl gewährt wurde. Zurzeit studiert er in Göttingen.

 

Dieser Artikel erschien erstmals auf FOCUS online am 3.Juni 2022. Hier können Sie den Artikel lesen.