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Afghanistan
Iran-Afghanistan Beziehungen – die geostrategische Bedeutung Afghanistans

FNF

Die Sicherheitslage in und um Afghanistan ist seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 in eine neue Phase übergegangen. Zwar sind bewaffnete Aktivitäten und Terroranschläge stark zurückgegangen, aber die Lage in Afghanistan ist weiterhin angespannt und sehr volatil. Die Situation in Afghanistan ist nicht nur deshalb so komplex, weil es im Lande selbst unterschiedliche Interessensgruppen gibt, die ihre Konflikte immer wieder neu miteinander austragen, sondern auch, weil sich diese Binnenkonflikte mit den underschiedlichen Interessen regionaler und internationaler Akteure mischen und überlagern.

Der seit Oktober 2023 andauernde Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas trägt zu weiterer Instabilität im Nahen und Mittleren Osten bei. Deutlich wird, dass die Interessen von Iran und anderen Anrainer-Staaten wie Russland, China oder den USA eine große Rolle spielen. Deshalb hat die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit einen Stakeholder-Mapping Prozess begonnen. Experten aus den Nachbarstaaten Afghanistans skizzieren die Interessen und Strategien ihrer Herkunftsländer. Diese Perspektiven sollen ein besseres Verständnis der vielfältigen Interessen in der Region ermöglichen und damit auch eine bessere Positionierung für europäische und deutsche Entscheidungsträger. In der Reihe Neighbourhood Perspectives – Afghanistan analysieren ausgewählte Expertinnen und Experten diese strategischen Interessen. Die hier publizierten Positionen spiegeln deshalb nicht notwendigerweise die Position der Stiftung wider.

Der erste Artikel in dieser Reihe stammt von Dr. Bahram Salavati, der die strategischen Interessen des Iran analysiert und beschreibt.

Irans Außenpolitik gegenüber Afghanistan

Afghanistan ist als wichtiger östlicher Nachbar integraler Bestandteil von Irans strategischer "Blick nach Osten"-Politik. Diese Politik zielt darauf ab, wirtschaftliche und energiebezogene Bindungen mit bedeutenden ostasiatischen Nationen wie Indien und China zu stärken, um die regionale Stabilität in Zentral- und Südasien zu fördern. Die zahlreichen Herausforderungen Afghanistans, gekennzeichnet durch ineffektive Nationenbildung (Englisch „nation building“), eine fehlende inklusive Regierungsführung und anhaltende Instabilität, haben jedoch zu einem Überschwappen von Konflikten und Unsicherheiten geführt, was Iran und die breitere Region erheblich beeinflusst hat.

Irans Außenpolitik gegenüber Afghanistan hat sich in den letzten Jahrzehnten bedeutend verändert, geprägt von wechselnden taktischen und strategischen Zielen. Der Iran hat seine Politik an regionale Akteure wie Pakistan und Saudi-Arabien sowie an außerregionale Einflüsse, wie beispielsweise durch die USA, angepasst. Die Vielzahl von Problemen in Afghanistan, die ethnische und politische Unruhen, Irans Opposition gegen die Anwesenheit ausländischer Streitkräfte, hydropolitische Streitigkeiten, Flüchtlingsströme, illegale Migration, Drogenhandel und Waffenschmuggel umfassen, stellen komplexe Herausforderungen für die nationale Sicherheit des Irans dar.

Irans Hauptziele sind zweigleisig: Zum einen strebt Iran eine inklusive Regierung in Afghanistan an, die die Vielfalt ethnischer und Minderheitsgruppen repräsentiert, insbesondere solche, die mit Iran verbunden sind. Dadurch soll Stabilität sowohl innerhalb Afghanistans als auch entlang seiner Grenzen gewährleistet werden. Zum anderen will Iran seinen strategischen Einfluss in Afghanistan vertiefen, um langfristige regionale Ziele zu erreichen und externe Einflüsse wie die der Vereinigten Staaten sowie ideologische Gegner wie die militant-extremistische Gruppe ISIS (Islamischer Staat im Irak und Syrien) einzudämmen.

Auswirkungen auf Irans geopolitische Ziele

Aus iranischer Sicht sollte Europa diplomatische Verhandlungen mit Iran führen, die sich auf Sicherheit und die Bildung einer starken, inklusiven Regierung in Afghanistan konzentrieren. Darüber hinaus könnten europäische Länder, insbesondere Deutschland, eine entscheidende Rolle bei der Förderung der regionalen Zusammenarbeit spielen, insbesondere im Sicherheits- und Wirtschaftssektor. Solche kooperativen Bemühungen können maßgeblich zur regionalen Sicherheit, zur Entwicklung strategischer Partnerschaften, zu wirtschaftlichem Wohlstand und zur nachhaltigen Entwicklung beitragen. Außerdem könnten sie als wesentliche Abschreckung gegenüber weiteren Flüchtlingsströmen, Drogenhandel und der Ausbreitung des Terrorismus in Richtung Europa dienen.*

Iran strebt aus geopolitischer Sicht an, seine langfristigen, strategischen Beziehungen zu China und Russland zu stärken. Die Unsicherheiten bezüglich der Regierungsführung der Taliban erschweren, dass der Iran seine jüngsten geopolitischen Gewinne in Afghanistan vollständig nutzen kann. Iran steht vor ernsthaften Herausforderungen mit dem zweiten Regime der Taliban, das durch einen ethnisch-zentrierten und ausschließlichen Ansatz zur Macht gekennzeichnet ist.

Iran hat sich für einen pragmatischen Ansatz gegenüber den Taliban entschieden. Er sieht sie als ideologische Bedrohung, erkennt aber die Notwendigkeit des Zusammenlebens an. Deshalb hat der Iran einen taktisch flexiblen Ansatz gewählt und strebt maximale Zugeständnisse in seinen Interaktionen mit den Taliban an. Im Gegenzug nutzen die Taliban Themen wie Grenzspannungen und Wasserpolitik, um Zugeständnisse vom Iran zu erhalten. Diese gegenseitigen Strategien könnten die Instabilität in der Region verschärfen und möglicherweise Auswirkungen auf Europa haben.

Zu Hintergründen, den aktuellen und historisch gewachsenen Herausforderungen und Irans Interessen in Afghanistan und der Region lesen Sie in unserer Analyse.

Weitere Analysen strategischer Interessen in der Region folgen.

 

*Anmerkung: Eine Perspektive, die aus europäischer Sicht aufgrund der schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, Unterstützung von Terrororganisationen und der Rolle Irans in regionalen Konflikten, insbesondere in dem aktuellen Krieg der Hamas gegen Israel, nicht ohne weiteres umsetzbar ist.