Hongkong
Jimmy Lais Prozess macht „Nationale Sicherheit“ allumfassend
Der Verleger Jimmy Lai ist unter dem Nationalen Sicherheitsgesetz angeklagt. Hong Kongs Gerichte erlaubten ihm, sich von seinem britischen Anwalt vertreten zu lassen. Aber eine Direktive aus Peking überstimmte Hong Kongs Justiz und legte fest: keine ausländischen Anwälte bei Verfahren zum Nationalen Sicherheitsgesetz. Dennis Kwok analysiert für das FNF China Bulletin die Konsequenzen.
Das neue Jahr des Hasen sieht für die Menschen in Hongkong, denen Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte am Herzen liegen, alles andere als rosig aus. Ich selbst habe Hongkong Ende 2020 verlassen. Eines meiner letzten Abendessen war mit Jimmy Lai und anderen guten Freunden: mit Anson Chan, ehemalige Regierungschefin von Hongkong, und mit dem Vater der Demokratie in Hongkong, Martin Lee. Wir haben uns wie jedes Jahr getroffen, um chinesische Wollhandkrabben zu essen, die gerade Saison hatten. Während des Essens rechnete Jimmy fest damit, dass jederzeit die Polizei kommen könne, um ihn zu verhaften und unter dem drakonischen Nationalen Sicherheitsgesetz ins Gefängnis zu stecken. Jimmy, ein milliardenschwerer Medienmogul, der Apple Daily gegründet hat, hätte überall auf der Welt leben könnte. Aber er entschied sich dazu, bis zur letzten Minute in Hongkong zu bleiben. Jimmy ist gläubiger Katholik, und er glaubt fest daran, dass Gott ihn in diese Position gebracht hat, um, wie in der Bergpredigt, 'Salz und Licht' zu sein.
Jimmy Lai wurde kurz darauf wie befürchtet verhaftet. Er wurde der Kollaboration mit dem Ausland angeklagt, dafür kann er zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt werden. Eine Freilassung auf Kaution wurde ihm verweigert. Das ging nicht nur Jimmy so, sondern auch vielen anderen politischen Mitgefangenen: Die Kautionsbedingungen des Nationalen Sicherheitsgesetzes wurden vom letztinstanzlichen Berufungsgericht in Hongkong bestätigt, und sie sind sehr, sehr streng.
Nationale Sicherheit steht jetzt über allem – auch über der Justiz
Der Prozess gegen Jimmy Lai sollte eigentlich Anfang Januar 2023 beginnen. Doch die Wahl seines Anwalts veranlasste Peking und alle Politikerinnen und Politiker in Hongkong zu einer Überreaktion. Jimmy wollte sich vom britischen Spitzen-Strafverteidiger Tim Owen KC vertreten lassen. Das Hongkonger Justizministerium und die Hongkonger Anwaltskammer lehnten dies ab – die Sache ging vor Gericht. Das erstinstanzliche Gericht stimmte Jimmy Lai zu. Owens Vertretung sei notwendig und entspreche den offiziellen Regelungen. Das Justizministerium weigerte sich, diese Entscheidung zu akzeptieren und legte Berufung ein – allerdings ohne Erfolg: Die Berufung wurde vom Berufungsgericht und später vom Obersten Berufungsgericht zurückgewiesen.
Die Anwälte des Justizministeriums hatten argumentiert, dass es die nationale Sicherheit gefährde, wenn ein ausländischer Anwalt Jimmy Lai in einem Prozess vertrete, in dem es um den Vorwurf der Kollaboration mit dem Ausland geht. Das Ministerium argumentierte, man könne nicht sicherstellen, dass dieser ausländische Anwalt von den nationalen Sicherheitsbehörden in Hongkong bestraft werden könnte, sollte er die Vertraulichkeit von Staatsgeheimnissen verletzen. Das Berufungsgericht ließ diese Argumente jedoch nicht gelten und wies zu Recht darauf hin, dass es gar nicht um 'Staatsgeheimnisse' gehe und dass diese Argumente vom Justizministerium zu keinem früheren Zeitpunkt des Verfahrens vorgebracht worden waren.
Dass Jimmy Lai den Prozess um seinen Anwalt gewann, gefiel dem Justizministerium und dem Chef der Exekutive gar nicht. Und im heutigen Hongkong ist es politisch inakzeptabel, wenn sie ihren Willen nicht durchsetzen können. Also beschlossen sie, den Nationalen Volkskongress in Peking um eine Interpretation der Sachlage zu bitten. Ihr Ziel war es, das letztinstanzliche Urteil des Hongkonger Gerichts zu kippen. Im Dezember vergangenen Jahres traf der Volkskongress in Peking dann eine Entscheidung. Darin heißt es, dass nicht die Gerichte, sondern das Nationale Sicherheitskomitee von Hongkong die Befugnis habe, über alles zu entscheiden, was die nationale Sicherheit betrifft – also auch über die Frage, ob es ausländischen Anwälten erlaubt sein soll, in Hongkong an Fällen im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit mitzuwirken.
Das Komitee war 2020 im Rahmen des Nationalen Sicherheitsgesetzes geschaffen worden. Es besteht aus Hong Kongs Regierungschef, Ministern sowie aus den Führungen von Polizei, Einreisebehörde und Zoll. Laut jüngster Weisung aus Peking müssen die Entscheidungen des Komitees ab sofort von den Gerichten, der Legislative und allen anderen Organisationen in Hongkong befolgt werden. Ob Jimmy Lai seinen Rechtsbeistand frei wählen kann, scheint nun unsicherer denn je. Die Entscheidungen des Nationalen Sicherheitskomitees sind nicht transparent und unterliegen keiner gerichtlichen Kontrolle. Damit wurde ein übergeordnetes, allmächtiges Gremium geschaffen, was alle Angelegenheiten Hongkongs diktieren kann - von Politik und Recht bis hin zu Finanzen und Wirtschaft. Damit ist Nationale Sicherheit heute in Hongkong ein allumfassendes Konzept.
Düstere Aussichten für das Jahr des Hasen
Die wichtigste bevorstehende politische und rechtliche Entwicklung wird die Schaffung weiterer Gesetze zur nationalen Sicherheit sein. John Lee, der Chef der Exekutive von Hongkong, kündigte das kürzlich an. Warum brauchen wir noch mehr Gesetze, wenn wir doch schon das Nationale Sicherheitsgesetz haben? Die Hongkonger Behörden sind der Ansicht, mehr nationale Sicherheitsgesetze seien notwendig, um "Schlupflöcher zu stopfen”. Fake News, die Einmischung ausländischer Organisationen in Hongkonger Angelegenheiten und ausländische Spionageaktivitäten sollen bekämpft werden. Letztere seien an der Oberfläche schwer zu erkennen, würden aber im Verborgenen wuchern, behauptet die Hongkonger Regierung. Die neuen Gesetze sollen noch in diesem Jahr verabschiedet werden. Aus dem Hongkonger Parlament, das inzwischen nur noch aus Peking-freundlichen Abgeordneten besteht, wird es kaum Widerstand geben. Jegliche öffentliche Kritik an den Gesetzen wird zum Schweigen gebracht oder sogar wegen Aufruhrs strafrechtlich verfolgt werden.
In diesem Jahr des Hasen werden immer mehr Hongkongerinnen und Hongkonger die Stadt in Richtung Großbritannien, Kanada, Australien und USA verlassen. Viele Finanzfachleute und Unternehmen sind bereits nach Singapur umgezogen. Heute sind die Vorteile Singapurs gegenüber Hongkong offensichtlich. Singapur ist zwar nur halbdemokratisch, aber die Regierung muss sich nicht einer 5.000 Meilen entfernten Zentralregierung beugen, die von nationaler Sicherheit besessen ist - das Markenzeichen eines ultra-autoritären Staates wie China.
Dennis Kwok ist ehemaliges Mitglied des Legislativrats von Hongkong (2012 bis 2020) und heute Senior Fellow an der Harvard Kennedy School sowie Partner bei Elliott, Kwok, Levine & Jaroslaw LLP in New York.
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