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Ermächtigungsgesetz
Kein Halten auf dem Weg in die Diktatur

Die „Ermächtigung“ Hitlers vor 90 Jahren
Einmarsch von SA- und SS-Männern in den Reichstag (Kroll-Oper)

Einmarsch von SA- und SS-Männern in den Reichstag (Kroll-Oper)

© picture alliance / akg-images | akg-images

Es wirkt wie eine entscheidende Zäsur für die Durchsetzung des NS-Regimes: das vor 90 Jahren, am 24. März, wirksam gewordene „Ermächtigungsgesetz“. Tatsächlich aber bedurfte es dieser Ermächtigung für Hitler nicht mehr: Nachdem Reichspräsident Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler ernannt hatte, sicherte dieser seine Herrschaft systematisch: Der Reichstag wurde aufgelöst und Neuwahlen für den 5. März ausgeschrieben, die Gleichschaltung von Staat und Gesellschaft vorangetrieben, Gegner und Oppositionelle verfolgt. Und die gewaltbereiten, omnipräsenten Hilfstruppen der SA verstärkten die Bedrohung noch.

Dies galt insbesondere für den Wahlkampf, der spätestens nach der Reichstagsbrandstiftung am 27. Februar von Angst und Gewalt geprägt war. Die gegnerischen Parteien wurden behindert, Kandidaten bedroht und verfolgt. So war die Wahl längst nicht mehr frei und gleichberechtigt. Die NSDAP verfehlte zwar die absolute Mehrheit, aber die demokratischen Parteien wurden deutlich geschwächt; die Liberalen der Deutschen Staatspartei konnten gar nur aufgrund der Listenverbindung mit der SPD noch mit fünf Abgeordneten in den Reichstag einziehen – unter ihnen Theodor Heuss und Reinhold Maier.

Das nun zur Abstimmung stehende „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ ermächtigte Hitler zwar formal für vier Jahre, Gesetze – auch unabhängig von Parlament und Reichspräsident – zu erlassen, bestätigte faktisch aber lediglich die tatsächliche Machtlage. Die Weimarer Demokratie war bereits vor dem 24. März mit der Machtübertragung an Hitler zerstört worden.

Keine Zweifel über reale Machtverhältnisse

Schon die konkrete Situation am Tag der Reichstagssitzung ließ keinen Zweifel über die realen Machtverhältnisse aufkommen: Auf dem Weg zur Kroll-Oper, die als Ersatz für den ausgebrannten Reichstag diente, mussten die Abgeordneten durch ein Spalier von SA-Männern; die Stimmung war aufgeheizt, Sprechchöre und Sieg-Heil-Gebrüll begleiteten die Parlamentarier auch innerhalb des Gebäudes. Schon zuvor waren zahlreiche Gegner, Abgeordnete insbesondere der KPD verhaftet, andere nur zur Abstimmung wieder freigelassen worden. Reinhold Maier notierte später, auf jeden oppositionellen Abgeordneten seien „je zehn bis an die Zähne bewaffnete SA- und SS-Männer“ gekommen.

Auch die Sitzung selbst stand im Zeichen der neuen Machthaber: An der Stirnwand das Hakenkreuz und Hermann Göring als Präsident – kein Zweifel, dass die Republik schon vor der Abstimmung am Boden lag und es einer scheinlegalen Gesetzesvorlage kaum mehr bedurfte. Drinnen Hitlers Rede, gespickt mit Versprechungen, Lockungen und Drohungen, draußen die Sprechchöre der SA: „Wir wollen unbeschränkte Vollmacht, sonst gibt’s Scherben!“ Drei Stunden war den gegnerischen Fraktionen noch gegeben, um sich zu beraten: Sollte man – wie es Otto Wels später für die SPD tat – mit einer beispielhaft couragierten Rede den unbedingten Widerstand erklären und die Vorlage ablehnen oder auf eine Entschärfung der Lage und ein Ende der Gewalt hoffen, um noch ein Minimum an Einfluss nehmen zu können?

Für die notwendige Zweidrittel-Mehrheit benötigte Hitler die Stimmen des Zentrums. Bei der Entscheidung spielte in den Diskussionen der Abgeordneten das in Aussicht gestellte Konkordat mit dem Heiligen Stuhl nur eine geringe Rolle. Viel wichtiger war den Zentrums-Abgeordneten die Gefährdung ihrer Anhänger und der Fortbestand der Partei sowie die Hoffnung auf Kompromisse in Fragen der religiösen Praxis. Die ehemaligen Reichskanzler Joseph Wirth und Heinrich Brüning plädierten für die Ablehnung des Gesetzes, blieben in der Fraktion aber in der Minderheit. Geholfen hat dem Zentrum die Zustimmung nicht, im Juli 1933 musste sich die Partei auflösen.

Mangelnder Rückhalt für Demokratie und Republik öffnete die Büchse der Pandora

Nicht viel anders erging es den wenigen verbliebenen Liberalen: Obwohl die fünf Stimmen der Deutschen Staatspartei – kleiner Rest der linksliberalen DDP, des einstigen Grundpfeilers der liberalen Demokratie – für das „Ermächtigungsgesetz“ keine Rolle spielten, rang die Gruppe schwer um die Entscheidung. Hermann Dietrich, Reichsfinanzminister im Kabinett von Brüning, und Theodor Heuss lehnten das Gesetz in der Fraktion ab; Heuss hatte einen Redeentwurf zumindest für eine Stimmenthaltung vorbereitet. Letztlich beugten sich beide im Interesse einer einheitlichen Position der Fraktionsmehrheit. Diese vermeinte, mit der Wahrung der Legalität den nationalsozialistischen Terror mäßigen zu können, die eigene Anhängerschaft zu schützen und die Chance auf politische Einflussnahme zu wahren. Umfänglich begründete die Fraktion am 24. März 1933 ihre mit der Zustimmung verbundene Hoffnung: So werde eine „Sprengung der Gesetzlichkeit in der zentralen Stelle der Reichsführung vermieden“, die „revolutionären Kräfte“ im Nationalsozialismus würden eingedämmt. Zugleich verteidigten sie – wie tags zuvor auch Reinhold Maier im Reichstag – die demokratischen Grundrechte: Die „Unabhängigkeit der Gerichte, das Berufsbeamtentum und seine Rechte, das selbstbestimmende Koalitionsrecht der Berufe, die staatsbürgerliche Gleichberechtigung, die Freiheit von Kunst und Wissenschaft wie ihrer Lehre“ müssten unantastbar bleiben. Jedoch erwies sich dies als Illusion: Das Pochen auf die Legalität und Bestandsgarantie für den Reichstag blieb ein vergeblicher Versuch, den totalitären Staat auf enge Bereiche einzugrenzen. Die Liberalen erfuhren dies auch persönlich, noch 1933 verlor Heuss seine Ämter und Mandate, zwei seiner Bücher wurden verbrannt. Letztlich unterschätzten die Liberalen bei aller unmissverständlichen Gegnerschaft die „neuartige Radikalität“ (Ernst Wolfgang Becker) der NS-Bewegung.

Die Interpretation des „Ermächtigungsgesetzes“ als eines legalen Ermächtigungsaktes wurde in der Folge vor allem von Juristen des „Dritten Reiches“ gestützt, zuvorderst vom Kronjuristen Carl Schmitt. Tatsächlich aber handelte es sich nicht um ein ordnungsgemäßes Verfahren: Schon die Gültigkeit der Wahl vom 5. März und damit die Zusammensetzung des Reichstags ist zweifelhaft. Hinzukommt die Verfolgung und Verhaftung von Abgeordneten sowie deren Behinderung bei der Sitzung selbst. Der Druck auf die Parlamentarier im Umfeld der Sitzung, die Verletzung der Immunität und das Wissen um die Gefahren für die Angehörigen schränkten die Freiheit des Mandats ein. Mit guten Gründen lässt sich das Gesetz deshalb – anders als die zahlreichen anderen Notverordnungen in der Weimarer Republik – als verfassungswidrig bestimmen, zumal es tief in das Gefüge des Verfassungssystems eingriff: Mit der Übertragung des Gesetzgebungsrechts auf die Reichsregierung hob es die Gewaltenteilung auf.

Beim Rückblick auf den März 1933 lässt sich der weitere mörderische Lauf des totalitären Staates nicht ausblenden. Die Hoffnungen von Liberalen wie Maier und Heuss, der als einer der ersten vor dem Aufstieg Hitlers gewarnt hatte, erfüllten sich nicht. Doch dürfen deren Motive – das Verzögern gewalttätiger Verfolgung, die Abschwächung der diktatorischen Vollmachten, die Sorge um Anhänger und Angehörige – nicht gering erachtet werden. Die erste deutsche Demokratie hatte schon Wochen vor den Märztagen geendet. Weder die bedenkenreiche Zustimmung des Zentrums und der Staatspartei zum Gesetz noch die tapfere Ablehnung durch die Sozialdemokraten vermochten das Regime zu stoppen. Lange schon hatte mangelnder Rückhalt für Demokratie und Republik die Büchse der Pandora geöffnet und die extremistischen Kräfte genährt. 

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