Energie
Klimaneutrale Zukunft: Ganzheitliche Energiekooperation
Auch in Zukunft wird Deutschland von Energieimporten abhängig sein. Ein alleiniger Fokus auf heimische Produktion birgt wirtschaftliche, ökologische und politische Risiken. Um eine tatsächlich nachhaltige Energiepolitik zu erreichen, werden wir daher weiterhin von Energieimporten aus Drittländern abhängig sein müssen. Andernfalls werden die Klimaziele kaum zu erreichen sein.
Die Klimaziele der Europäischen Union sind ambitioniert, und von den deutschen Plänen werden sie sogar übertroffen. Hierzulande streben wir an, ab 2045 vollständig klimaneutral zu wirtschaften. Das bedeutet, dass wir Treibhausgasemissionen vermeiden, wo immer möglich, und wo das nicht möglich ist, durch verschiedene Kompensationsmaßnahmen ausgleichen. Unsere europäischen Partner wollen sich für dasselbe Ziel fünf Jahre länger Zeit nehmen. In beiden Fällen ist die Richtung zweifellos die richtige: Die Verringerung der Klimabelastung verhindert nicht nur langfristige Kosten durch den Klimawandel, sondern kann auch Gesundheits- und Umweltrisiken reduzieren, beispielsweise durch Maßnahmen wie den Kohleausstieg.
Fakt: Die Kohleverbrennung setzt im Vergleich zur Atomkraft die zehn- bis hundertfache Menge an radioaktivem Material frei.
Freiheitsenergien
Der Ausbau erneuerbarer Energien ermöglicht eine signifikante Verringerung der Abhängigkeit von Primärenergielieferanten in Drittländern. Die europäische Sanktionspolitik gegen Russland hat gezeigt, wie wichtig dies sein kann. Deutschland ist aufgrund des hohen Anteils russischer Importe in einer solchen einseitigen Energiepolitik zum Opfer geworden. Angesichts dieser Situation ist eine Steigerung des Potenzials erneuerbarer Energien ein wichtiger Schritt zur Stärkung der politischen und wirtschaftlichen Souveränität. Daher ist der Begriff "Freiheitsenergien", der im liberalen Umfeld geprägt wurde, passend. Natürlich setzt dieser neue Ansatz eine zuverlässige Versorgung mit Photovoltaik- und Windkraftanlagen voraus - eine Bedingung, die angesichts der Marktmacht Chinas nicht zwangsläufig als gegeben angesehen werden sollte. Allein schon zur Diversifizierung dieser geopolitischen Risiken wird auch zukünftig eine vielfältige Energiepolitik sinnvoll sein. Das bedeutet, dass wir auch in Zukunft Energieimporte in Deutschland benötigen werden, allerdings in klimaneutraler Form.
Fakt: Rund 97 Prozent der weltweit hergestellten Wafer - einer essenziellen Komponente in Photovoltaikanlagen - stammen aus China. Ähnlich stark ist Chinas Marktmacht bei der Produktion von Spezialmagneten, die für Windkraftanlagen benötigt werden.
Europäische Partnerschaft
Neben den geopolitischen Aspekten sprechen auch wirtschaftliche und netzstrategische Argumente dafür, zukünftig nicht nur auf lokal erzeugten, klimaneutralen Strom zu setzen. Denn die Risiken einer Dunkelflaute, also einer Zeit, in der weder die Sonne scheint noch der Wind weht, steigen, je kleiner die betrachtete Region ist. Daher ist auch hier eine Risikostreuung sinnvoll. Unsere europäischen Partner berücksichtigen bereits solche Situationen und planen gewisse Puffer in ihre eigenen Kraftwerkskapazitäten ein. Insbesondere Frankreich begleitet die deutsche Herangehensweise an die Energiewende durch den Ausbau der eigenen nuklearen Energieerzeugung. Doch auch diese Abhängigkeit kann ihre Tücken haben. Im vergangenen Jahr mussten beispielsweise aufgrund eines trockenen und heißen Sommers in Frankreich die Atomkraftwerke zeitweise abgeschaltet werden, da die niedrigen Wasserstände von Flüssen und Seen eine ausreichende Kühlung verhinderten. Dieses Beispiel zeigt: Besonders in Zeiten steigender Temperaturen und häufigerer und stärkerer Extremwetterereignisse muss eine zuverlässige Energieversorgung auch die Streuung geografischer Wetterrisiken berücksichtigen.
Sektorkopplung
Darüber hinaus steigt der Bedarf an elektrischer Energie kontinuierlich. Während heute noch Benzin und Diesel in Fahrzeugflotten verwendet werden, soll die Mobilität zukünftig ausschließlich durch batterieelektrische, wasserstoffbetriebene oder mit E-Fuels betriebene Fahrzeuge erfolgen. Gleiches gilt für den Wärmebedarf, industrielle Anwendungen und vieles mehr. All diese Prozesse haben vor allem eines gemeinsam: Während in der Vergangenheit verschiedene Formen fossiler Energien eingesetzt wurden, soll die Energie zukünftig aus nachhaltigem Strom oder Stromderivaten stammen. In Fachkreisen spricht man hier von Sektorkopplung. Sie ermöglicht die Umstellung auf klimafreundliche Wirtschaftsprozesse, erhöht aber gleichzeitig den Bedarf an elektrischer Energie erheblich. Obwohl davon ausgegangen wird, dass technische Effizienzsteigerungen und die Rationalisierung von weniger wesentlichen Energieanwendungen diesen Trend etwas dämpfen werden, ist bereits jetzt klar: Der Strombedarf wird deutlich steigen. Es wäre technisch schwer möglich und ökonomisch und ökologisch ineffizient, diese Nachfrage allein aus Deutschland und den angrenzenden Ländern zu decken. Daher werden auch zukünftig nachhaltige Energieimporte aus Drittländern eine wichtige Rolle spielen.
Fakt: Derzeit importiert Deutschland über 70 Prozent seiner Primärenergie. Im Zuge der Energiewende wird die heimische Produktion steigen, aber wir werden auch in Zukunft nicht ohne Energieimporte auskommen.
Energiekooperation
Vor diesem Hintergrund müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass trotz der Energiewende und des damit einhergehenden Anstiegs des Anteils erneuerbarer Energieträger auch in Zukunft Energieträger aus Drittländern importiert werden müssen. Dies ist nicht nur notwendig, sondern auch ökonomisch und ökologisch sinnvoll. Die Gewinnung erneuerbarer Energien hängt stark von regionalen und geografischen Gegebenheiten ab. Während Deutschland, insbesondere im Norden, relativ hohe Windausbeuten ermöglicht, könnten Photovoltaikanlagen in anderen Regionen deutlich höhere Erträge erzielen als in Deutschland. Angesichts dieser Tatsache lohnt es sich, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und global zu denken - nicht zuletzt, weil der Klimawandel ein globales Problem ist.
Globale Nachhaltigkeit
Dies wird besonders interessant, wenn man international Bilanz zieht. Nehmen wir zum Beispiel Marokko: Mit durchschnittlich über 3000 Sonnenstunden pro Jahr könnte eine Erweiterung der installierten Solarkapazität dort deutlich sinnvoller sein als in Deutschland, wo es im vergangenen Jahr durchschnittlich etwas über 2000 Sonnenstunden gab. Eine Solaranlage in Marokko könnte daher etwa ein Drittel mehr Leistung liefern als in Deutschland. Dies würde zunächst dem globalen Klima zugutekommen, da der Energiemix in Marokko ähnlich wie in Deutschland von Kohle, Öl und Gas dominiert wird. Daher ist der lokale Ausbau aus der Perspektive des globalen Klimaschutzes sehr zu begrüßen, selbst wenn zunächst nur der heimische Bedarf bedient werden würde. Das volle Potenzial kann jedoch nur ausgeschöpft werden, wenn auch der europäische Markt mit erschwinglicher und nachhaltiger Energie aus der MENA-Region versorgt wird. Daher ist der Ausbau erneuerbarer Energien in Nordafrika im Interesse Deutschlands und der Europäischen Union. Es könnte sogar argumentiert werden, dass der Ausbau in dieser Region Vorrang vor dem in Europa haben sollte, da die Effizienz dort wesentlich höher ist. Zur Wahrheit gehört aber auch dazu, dass die Umsetzung von geplanten Solar- und Windfarmen in der Region oft verzögert, verteuert oder durch staatliche Eingriffe behindert wird. Daher ist es bei neuen nachhaltigen Energiepartnerschaften unbedingt erforderlich, Klumpenrisiken durch eine einseitige Fokussierung auf einzelne Partner zu vermeiden, um ein neues Energie-Fiasko wie im Zusammenhang mit Russland zu verhindern.
Fakt: Der MERCOSUR ist der gemeinsame Binnenmarkt zwischen Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay, der Handelshemmnisse abbaut und die regionale wirtschaftliche Integration fördert.
Internationaler Handel
Die Bedingungen für erneuerbare Energien sind auch anderswo äußerst vorteilhaft. Zum Beispiel rechnet Namibia mit einem starken Ausbau erneuerbarer Kapazitäten und plant den Handel mit grünem Wasserstoff oder wasserstoffbasierten Produkten auf dem Weltmarkt. Auch die Länder in Südamerika bieten sich für Energiekooperationen an. Uruguay erzeugt zum Beispiel bereits rechnerisch fast 100 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Quellen. Mit seiner langen Küste, geringen Bevölkerungszahl und gut ausgebauten Hafeninfrastruktur eignet sich Uruguay sehr gut als Handelspartner, ebenso wie Argentinien. In diesem Zusammenhang könnte das Freihandelsabkommen zwischen dem MERCOSUR und der EU eine besondere Bedeutung erlangen. Es schafft Investitionsanreize und mildert wirtschaftliche Risiken. Angesichts der zunehmenden Systemkonflikte ist die Verringerung von Handelshemmnissen nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sondern auch geopolitisch notwendig. Somit wird Energie- und Handelspolitik schnell zu einem Instrument zur Bewältigung geopolitischer Risiken - denn hier ist Vorsicht besser als Nachsicht.