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Frankreich
Kommunalwahl in Frankreich: eine Schlappe für Macrons La République en Marche

Emanuel Macron bei den Kommunalwahlen
Emanuel Macron bei den Kommunalwahlen am Sonntag in einem Wahlbüro. © picture alliance/dpa/MAXPPP | Johan Ben Azzouz

Deutschland und Frankreich rücken demonstrativ zusammen: Präsident Macron und Kanzlerin Merkel haben gemeinsam ein Paket für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas aus dem Corona-Tief vorgestellt. Nun treffen sich die beiden zwei Tage vor der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Regierungsgästehaus Meseberg unweit Berlin. Für Emanuel Macron ist die Visite auch eine Chance seiner schwierigen innenpolitischen Situation andere Bilder und Töne entgegen zu setzen. Denn in Frankreich ist seine politische Bewegung La République En Marche (LREM) mit einer krachenden Niederlage bei den Kommunalwahlen gerade stark aus dem Tritt gekommen.

Als er vor einigen Tagen zu seinen Erwartungen für die Kommunalwahlen in Frankreich befragt wurde, antwortete Emmanuel Macron: „Ich trete nicht als Kandidat an.“ Damit wollte sich der französische Staatspräsident wohl von den Kommunalwahlen distanzieren – denn in der Tat schnitten die Kandidaten von LREM am 28. Juni dramatisch schlecht ab.

Doch diese Ergebnisse stellen für den Präsidenten insofern keine Enttäuschung dar, als dass die Kommunalwahl schon seit einigen Monaten keine Hoffnungen mehr für ihn weckte. Die Gründe der angekündigten Niederlage waren schon lange bekannt. Laut des Wahlexperten Baptiste Larseneur fehle der erst 2016 gegründeten Bewegung LREM die Verankerung in den Gebietskörperschaften, während „die dort amtierenden Bürgermeister für Stabilität stehen, was es der Partei des Präsidenten ungleich schwerer machte. Diese Situation wurde durch die Corona-Krise weiter verstärkt.“

Zudem erwies sich LREM in den Großstädten als unfähig, ernstzunehmende Kandidaten aufzustellen. Die Tatsache, dass sich die Gesundheitskrise in Frankreich in eine Vertrauenskrise verwandelte, verschärfte diese negative Tendenz zusätzlich. Ziel von Emmanuel Macron ist es nun, dieses Wahldebakel einfach zu übergehen. Die Strategie des französischen Präsidenten besteht darin, die Corona-Krise dafür zu nutzen, die Ergebnisse der verlorenen Kommunalwahlen auszublenden.

Die Bedeutung der Stimmenthaltung

In vielerlei Hinsicht mag diese Strategie gerechtfertigt sein. Die Stimmenthaltung erreichte bei dieser Wahl ihr höchstes Niveau seit der Gründung der V. Republik, und die niedrige Wahlbeteiligung (40%), die u.a. auf die Corona-Pandemie zurückzuführen ist, mildert die Bedeutung dieses Debakels ab. Im kollektiven Unterbewusstsein steht die Kommunalwahl in Frankreich für die Verbreitung des Virus. Der erste Wahlgang fand in Frankreich am 15. März statt: einen Tag danach trat die Ausgangsperre in Kraft und die Regierung, die damals eine Verschiebung der Wahl verweigerte, wurde dafür heftig kritisiert. Drei Monate nach dem ersten Wahlgang hielt die Angst vor dem Virus die Wähler eindeutig von den Wahllokalen fern.

Zugleich spiegelt die Stimmenthaltung aber auch das wachsende Misstrauen der Bevölkerung gegenüber den Institutionen und der repräsentativen Demokratie wider. Bemerkenswert ist, dass die zwei Hauptgegner Macrons ebenso auf die höhere Stimmenthaltung verweisen, um ihre enttäuschenden Wahlergebnisse auf lokaler Ebene zu erklären: Die linksradikale Partei von Jean-Luc Mélenchon konnte trotz ihrer Minderheitsbeteiligung an wichtigen Koalitionen mit den Sozialisten und den Grünen in Toulouse, Bordeaux und Marseille keine Erfolge verbuchen. Und Marine Le Pen, Präsidentin des rechtsradikalen Rassemblement National, darf sich lediglich über den symbolischen Erfolg ihres ehemaligen Lebensgefährtes Louis Alliot in der Stadt Perpignan freuen, auch wenn sie laut jüngster Umfragen Zweitplatzierte bei den nächsten Präsidentschaftswahlen wäre. Daher könnte man meinen, dass die Bedeutung der Kommunalwahlen für den weiteren politischen Prozess in Frankreich nicht überzubewerten sei.

Kann LREM die Ergebnisse der Kommunalwahl von der nationalen Politik abkoppeln und die Wahl einfach übergehen? Nicht wirklich. Zum einen, weil die Dezentralisierung ein bedeutendes Element von Macrons Reformpolitik ist, das zur Aufwertung der Rolle des Bürgermeisters führen soll. Zum anderen, weil die Wahl die von LREM gemachten Fehler hervorhebt. 

Die Lehre eines Debakels: politischen Kompass neu ausrichten

Die Partei muss sich zunächst mit ihren eigenen Fehlern auseinandersetzten. Drei Jahre nach dem triumphalen Wahlsieg, der dem Präsidenten eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung bescherte, zeichnet sich die Partei durch einen deutlichen Mangel an Disziplin aus. Zum einen haben in Städten wie Paris und Lyon interne Grabenkämpfe die Chance eines Erfolgs zunichtegemacht. Zum anderen erwiesen sich die offiziellen Kandidaten, die dem Präsidenten nahestehen, als klare Fehlbesetzungen.

In Paris musste der Kandidat Benjamin Griveau aufgrund eines Sexskandals kurz vor dem ersten Wahlgang zurücktreten. Seine Nachfolgerin Agnès Buzyn, die ehemalige Gesundheitsministerin, beschrieb die Wahl als eine Maskerade und erhielt nur 13,7% der Stimmen. Auch die Strategie des ehemaligen Innenministers und amtierenden Bürgermeistes von Lyon Gérard Collomb, eine widersprüchliche Allianz mit dem Konservativen Laurent Wauquiez einzugehen, führte zu einer dramatischen Niederlage.

Die wichtigste Lehre der Kommunalwahl in Frankreich besteht letztlich aus dem Erfolg der Grünen, die zum ersten Mal in der Geschichte die wichtigste Städten Frankreichs erobern. In Lyon, Bordeaux, Strasbourg, Besançon, Nancy und Tours gewannen die von den Grünen angeführten Wahllisten. In Paris gewann die rot-grüne Koalition von Anne Hidalgo, eine Vertreterin der Sozialisten, die einen grünen Wahlkampf führte. Die Grüne Welle stellt ein historisches Ereignis dar, das Macron nicht unterschätzen darf. Nachdem er das Wechselspiel zwischen Links und Recht abgelöst hat, könnte Macron und seine Partei bald zugunsten zweier konkurrierender Lager – Rot-Grün und Rechtsextreme – entscheidend an Stimmen einbüßen. Das Ausblenden dieses Risikos wäre keine gute Strategie.

Problem: Wofür steht LREM?

Wofür LREM steht, ist letztendlich schwer zu sagen. Als Emmanuel Macron 2017 gewählt wurde, vertrat er ein ambitioniertes und für Frankreich originelles Programm, das sowohl sozial als auch liberal ausgerichtet war. Seine Allianz mit dem alten Mitte-Rechts-Bündnis, das von Premierminister Edouard Philippe verkörpert wird, stand im fundamentalen Widerspruch zu seinem Versprechen eines Bruchs mit überkommenen Traditionen. Denn gerade die Vertreter des Mitte-Rechts-Lagers stehen für Kontinuität und politische Tradition, und nicht für „Revolution“, so der Titel seines Buchs von 2016, und seinen programmatischen Anspruch im Präsidentschaftswahlkampf. Auch wenn der Premierminister in Le Havre mit 59% der Stimmen nun wiedergewählt wurde, stellt sich die Frage seiner Rolle in der künftigen Regierung.

Aus der Krise zurück zum Modernisierungskurs

Muss sich Macron weiter als Kandidat von Mitte-Rechts behaupten, oder kehrt er zu seiner ursprünglichen Idee der Modernisierung der Verwaltung und des schwerfälligen französischen Staatsapparates zurück? Vieles spricht nach dem Debakel für eine tiefgreifende „Revolution“ und eine Rückkehr zum „Macronismus“. Dieser sollte sich mindestens auf zwei Säulen stützen, um die richtigen Lehren aus der aktuellen Krise zu ziehen:

Zum einen könnte mit den partizipativen Bürgerforen zur Klimapolitik, deren Vorschläge dem französischen Parlament vorgelegt und in Teilen in Referenden einfließen werden, ein Exempel für neue demokratische Beteiligungsformen statuiert werden. Hierbei wäre in Abgrenzung zu den Grünen gleichzeitig darauf zu achten, Ökologie und Ökonomie zusammen zu denken und klimapolitisches Engagement zu einem Wachstumsmotor für Innovationen werden zu lassen. Zum anderen sollten Macrons ursprüngliche Ideen der Modernisierung des öffentlichen Sektors wiederbelebt werden, um der Politikverdrossenheit der Bevölkerung entgegenzutreten.

 

Alexandre Robinet-Borgomano ist Head of Europe Program beim Institut Montaigne.