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Neue liberale Partei mit guten Chancen auf Parlamentseinzug

Wahlen in Lettland
Neue liberale Partei mit guten Chancen auf Parlamentseinzug
Das lettische Parlament, die sogenannte Saeima © Saeima/ CC BY-SA 2.0 commons.wikimedia

Am 6. Oktober finden in Lettland Parlamentswahlen statt. Insgesamt sechzehn Parteien und Parteienbündnisse haben ihre Kandidaturen für die Wahlen zum 100-köpfigen Parlament (Saeima) eingereicht. Ein neu geformtes Bündnis aus drei liberalen Parteien hat gute Chancen auf den Einzug ins Parlament.

Seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1991 stehen dieses Mal so viele Kandidaten wie noch nie zuvor zur Wahl. Insgesamt  1.470 Kandidaten wurden von den verschiedenen politischen Parteien und Wahlbündnissen gemeldet. Außer entlang ethnischer Trennungen, wie im Fall der russischsprachigen Minderheit oder der ethnischen Letten, sind ideologische Unterschiede zwischen den Parteien hingegen nur schwer auszumachen. Statt der Programmatik steht im Wahlkampf vielmehr die Persönlichkeit der Kandidaten im Vordergrund.

Allgemeine politische Stabilität in Lettland

Trotz eines Regierungswechsels im Februar 2016 kann das politische System in Lettland als stabil bezeichnet werden. Die Mitte-Rechts-Partei „Einheit“ (Vienotība), die rechtsradikale „Nationale Allianz“ (NA) und die konservative „Union der Grünen und Bauern“ (ZZS) bilden seit 2014 eine Regierungskoalition. Diese wurde ursprünglich von der ehemaligen Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma (Mitglied der „Einheit“-Partei) angeführt, die gleichzeitig die erste Frau an der Regierungsspitze Lettlands war. Jedoch führten Instabilitäten innerhalb der Partei im Dezember 2015 zu ihrem Rücktritt und Māris Kučinskis von der „Union der Grünen und Bauern“ trat im Februar 2016 ihre Nachfolge an.

Die künftige lettische Regierung wird sich auf die drei großen Herausforderungen konzentrieren müssen, die den lettischen Staat mittel- bis langfristig prägen werden. Darunter fallen die sich abzeichnende demografische Krise, die Beziehungen zu Russland und der leistungsschwache Hochschul- und Forschungssektor. Umfragen zufolge könnten bei den Wahlen Anfang Oktober gleich sechs Parteien Ergebnisse über fünf Prozent erzielen und drei von ihnen sogar erstmals den Sprung ins Parlament schaffen.

Liberaler Polit-Neuling mit Chancen auf Parlamentseinzug

Das erst vor knapp fünf Monaten gegründete liberale Wahlbündnis „Für die Entwicklung / Dafür!“  („Attīstībai / Par!“) hat mit derzeitigen Umfragewerten von 8,3 Prozent gute Chancen auf einen Ersteinzug in die lettische Saeima. Das Bündnis besteht aus den drei politischen Bewegungen „Dafür!“ (Par!), „Wachstum“ („Izaugsme“) und „Für Lettlands Entwicklung“ („Latvijas attīstībai“). Letztere wurde 2013 vom ehemaligen lettischen Ministerpräsidenten und Finanzminister Einars Repše gegründet, blieb im Folgejahr jedoch unter der 5-Prozent-Hürde und ging damit bei den letzten Parlamentswahlen leer aus. Unter dem neuen Vorsitzenden Juris Pūce, ehemaliger Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, wurde ein neues politisches Manifest angenommen.

Neue liberale Partei mit guten Chancen auf Parlamentseinzug
Ehemaliger lettischer Ministerpräsident und Finanzminister Einars Repše © DardedzeEinars RepseCC BY-SA 3.0

Das liberale Parteienbündnis bezeichnet sich als wirtschafts- und sozialliberal, wirbt für eine integrative Gesellschaft und fordert die LGBT-Gleichberechtigung. Die Parteien möchten neue und junge Akteure in die lettische Politik miteinbeziehen und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes vorantreiben. Neben dem Gesundheitswesen konzentrieren sich die lettischen Liberalen vor allem auf Bildungsthemen. In Lettland wurden die Bereiche Hochschulbildung, Innovation und Forschung lange vernachlässigt, sodass diese Sektoren im Zuge des zunehmenden Wettbewerbs durch die EU-Mitgliedschaft kaum international konkurrenzfähig sind. Das Wahlprogramm des Bündnisses enthält unter anderem die Digitalisierung in Schulen, ein klares Bekenntnis zur EU und zur NATO oder die  Mindestlohnerhöhung auf 500 Euro.

Das Bündnis Attīstībai/Par! fordert ein Lettland für alle und positioniert sich dabei klar als Gegenentwurf zu der populistischen Partei „Wem gehört der Staat?“, die in den Umfragen ebenfalls stetig an Stimmen hinzugewinnt. Das liberale Bündnis fordert, dass sämtliche Minderheiten gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft sein sollen. Dabei müsse die Politik sachbezogen und nicht ideologisch gestaltet werden. Um populistischen Entwicklungen im Land entgegenzuwirken, will das Bündnis Nichtregierungsorganisationen stärker unterstützen und miteinbeziehen. Attīstībai/Par! möchte bei der Wählerschaft aber vor allem mit konkreten Problemlösungen punkten, vor allem in den Bereichen Bildungs- und Gesundheitspolitik. 

In Bezug auf die Europäische Union betonen die Liberalen die Notwendigkeit einer tieferen europäsichen Integration und sind davon überzeugt, dass ein stärker föderales Europa eine der Antworten auf den wachsenden Populismus sei. Die Chance, dass dieser Ansatz auch im Falle einer Regierungsbeteiligung zum Tragen komme, heißt es, sei groß.

Als Kandidaten für das Amt des Premierministers haben die lettischen Liberalen Artis Pabriks, einen ehemaligen lettischen Außen- und Verteidigungsminister und Europaabgeordneten der EVP vorgeschlagen, der mit dem gegenwärtigen Kurs der Konservativen nicht mehr einverstanden ist und sich dem Bündnis anschließen möchte. Ein weiterer bekannter Name innerhalb des Bündnisses ist Daniels Pavluts, einer der Gründer von „Par!“ und ehemaliger Wirtschaftsminister unter dem damaligen Premierminister und jetzigem EU-Kommissar Valdis Dombrovskis.

Führende prorussische Partei ohne Regierungschancen

Zu den Neulingen im Parlament könnte auch die Partei “Wem gehört der Staat?“ (KPV LV) zählen, die im Mai 2016 vom ehemaligen Schauspieler und unabhängigen Abgeordneten Artuss Kaimiņš  gegründet wurde und derzeit mit 13,9 Prozent in den Umfragen den dritten Platz belegt. Die Wahlkampagne von KPV LV wird von vielen allerdings sehr kritisch betrachtet, da sie die bestehenden politischen Akteure als bestechlich und ausschließlich an der Machtergreifung interessiert darstellt. Mit dieser Positionierung dominiert die Partei die Medienberichterstattung in Lettland. Dritter Parlamentsneuling wäre die Partei „Neue Konservative Partei (JKP)“, im Mai 2014 als zentristische Partei gegründet, die derzeit in den Umfragen bei 10,7 Prozent liegt und als Antikorruptionspartei gilt.

Die an der jetzigen Regierungskoalition beteiligte „Union der Grünen und Bauern“ liegt trotz eines laufenden Korruptionsskandals in den Umfragewerten bei 15,9 Prozent. Der kleinere Koalitionspartner, die rechtsgerichtete nationalistische “Nationale Allianz“, liegt bei 9,5 Prozent. Die Nationale Allianz lehnt eine EU-Flüchtlingsquote ab und steht Migrationsthemen äußerst skeptisch gegenüber. Die linksgerichtete sozialdemokratische Oppositionspartei „Harmonie“ (SDPS) bildet derzeit zwar die größte politische Kraft im Parlament und führt die Umfragen mit 24,5 Prozent an, wird jedoch wie bereits in der Vergangenheit voraussichtlich nicht an einer künftigen Regierung beteiligt sein. Die Partei ist bei der russischsprachigen Wählerschaft beliebt, wurde jedoch trotz Gewinn der letzten beiden Parlamentswahlen aufgrund ihrer Kreml-Nähe von einer Regierungskoalition ausgeschlossen. In den letzten Jahren versuchte der Parteichef Nils Ušakovs, das Image der Partei zu modernisieren und sie als Teil der europäischen „sozialdemokratischen“ Familie darzustellen.  Kritiker zeigen sich hingegen skeptisch und stellen das Bekenntnis der Partei zu den Grundwerten der Sozialdemokratie infrage.

Wenn gleich die prorussische „Harmonie“ Anfang Oktober wahrscheinlich erneut eine Mehrheit der Abgeordneten im Saeima stellen wird, ist die weitere Sitzverteilung und insbesondere eine Regierungsbeteiligung der verbleibenden Parteien noch völlig offen. Das lettische liberale Dreierbündnis hat derzeit gute Chancen auf den Parlamentseinzug, in einem Land, das beim Thema persönliche Freiheit den Platz 33/159 und bei wirtschaftlicher Freiheit den Platz 17/159 nach Human Freedom Index belegt.

 Toni Skorić ist Projektmanager für Mitteleuropa und die baltischen Länder im Stiftungsbüro in Prag.