Infrastruktur
Neue Perspektiven für den ländlichen Raum?
Stadtentwicklungspolitik kann nicht ohne den ländlichen Raum gedacht werden. Dabei erweckt die mediale Berichterstattung manchmal den Eindruck, als würden alle Menschen in Deutschland unter steigenden Mietpreisen und einem drohenden Verkehrskollaps leiden – eben unter solchen Problemen, die hauptsächlich in den Städten von großer Relevanz sind. Die Wahrheit ist, dass die Lebenswirklichkeit für viele Menschen in Deutschland eine gänzlich andere ist. Viele ländliche Räume kämpfen gegen wachsenden Leerstand – und nicht gegen steigende Mietpreise. Und in vielen ländlichen Räumen stellt man sich die Frage, wann der letzte Bus geht, der einen noch nach Hause bringen kann – und nicht, wie man den nächsten Stau am besten umgeht.
Ländliche Regionen sind für Deutschland von enormer Relevanz. Sie sind der maßgebliche Ort der Lebensmittelproduktion. Sie sind Heimat vieler äußerst erfolgreicher mittelständischer Unternehmen. Sie nehmen eine Schlüsselrolle beim Ausbau erneuerbarer Energien ein. Und mit ihrer Vielfalt prägen sie das Erscheinungsbild der Bundesrepublik.
Städtische und ländliche Regionen sind und waren schon immer unterschiedlich. Zum Glück! Denn auch die Menschen sind verschieden und haben unterschiedliche Vorlieben bei ihrer Wahl des Wohnorts. Einige bevorzugen das städtische Chaos, andere die ländliche Ruhe. Doch es ist sehr wohl ein Problem, wenn die Unterschiede zwischen Stadt und Land zu groß werden und der ländliche Raum aufgrund der schlechten Voraussetzungen nicht mehr als Wohnort in Betracht gezogen wird. Kommt es erst einmal zu einem Abwanderungsprozess, dann lässt sich dieser Teufelskreis aus sinkenden Steuereinnahmen, immer schlechter werdender Infrastruktur und (in der Folge) weiterer Abwanderung nur schwer aufhalten. In diesem Fall droht tatsächlich die Spaltung zwischen Stadt und Land.
Unser neues Policy Paper „Stadt, Land, Spaltung?“ geht der Frage nach, ob tatsächlich eine Spaltung zwischen Stadt und Land bevorsteht und wirft einen Blick darauf, wie man die Perspektiven für den ländlichen Raum verbessern könnte.
Die wichtigsten Erkenntnisse in Kürze:
- Eine exakte Definition des ländlichen Raums existiert nicht – weder weltweit noch in Deutschland. Unterschiedliche Quellen weisen daher auch unterschiedliche Bevölkerungsanteile für den ländlichen Raum in Deutschland aus. Die Schätzungen bewegen sich zwischen 20 und fast 60 Prozent der Bevölkerung, je nachdem welche Kriterien für ländliche Räume angelegt werden.
- Eine Untersuchung von 30 Indikatoren zu unterschiedlichen Themenbereichen zeigt, dass es erhebliche Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Räumen in Deutschland gibt. Städtische Regionen sind wirtschaftlich stärker, beheimaten eine jüngere Bevölkerung und weisen eine deutlich bessere infrastrukturelle und medizinische Versorgung auf. Hierbei ist zu beachten, dass es sich lediglich um Durchschnittswerte handelt. Es gibt einzelne Städte mit enormen Problemen, genauso wie es florierende ländliche Gegenden gibt.
- In Deutschlands ländlichen Räumen sind einige äußerst positive Entwicklungen zu beobachten. Insbesondere die Arbeitslosigkeit ist signifikant gesunken und liegt inzwischen sogar unterhalb des Niveaus in Städten. Auch wenn die existierenden Stadt-Land-Unterschiede nicht von der Hand zu weisen sind, kann von einer generellen Spaltung zwischen Stadt und Land keine Rede sein.
- Die derzeitige Revolution der Arbeitswelt mit einem Aufstieg des mobilen Arbeitens schafft für den ländlichen Raum neue Perspektiven, die vor einigen Jahren noch undenkbar waren. So könnte der ländliche Raum zu einem neuen Gründungs-Hotspot werden, das Arbeiten im Grünen ermöglichen oder den Traum vom Eigenheim für mehr Menschen Realität werden lassen.
- Dies ist jedoch kein Selbstläufer, vielmehr müssen die nötigen Voraussetzungen geschaffen werden. Es braucht eine bestmögliche digitale Infrastruktur auch abseits der Speckgürtel, einen Abbau unnötiger Bürokratie, eine moderne Verkehrsinfrastruktur, um Stadt und Land optimal zu verbinden, eine service-orientierte Verwaltung und eine Politik, die den Erwerb von Wohneigentum unterstützt sowie dem ländlichen Raum notwendige Freiheiten zugesteht.
- Eine Stärkung des ländlichen Raums wäre auch eine große Chance für die überlasteten Städte, die mit wachsendem Verkehrsaufkommen und steigenden Mieten zu kämpfen haben. Ziel muss es sein, dass jede und jeder dort wohnen kann, wo es ihr oder ihm am besten passt.