liberal
Stadt, Land, Flucht!
Viele dörfliche Gemeinden und Kommunen vor allem in Ostdeutschland leiden unter einem Einwohnerschwund. Soll der Teufelskreis aus Abwanderung und Attraktivitätsverlust gestoppt werden, braucht es ein staatliches Konzept.
Auch wenn in der öffentlichen Diskussion mitunter der Eindruck entsteht, unsere Zukunft werde sich ausschließlich in Städten abspielen: Die Bundesrepublik ist noch immer durch ländliche Regionen geprägt. Diese nehmen über 90 Prozent der Fläche Deutschlands ein und bieten trotz anhaltender "Landflucht" Platz für mehr als 50 Prozent der Bevölkerung. Inbesondere im Osten Deutschlandswird die Entwicklung ländlicher Regionen in den nächsten Jahren eine zentrale Bedeutung für den wirtschaftlichen Aufholprozess haben.
Dieser Prozess verläuft keineswegs gleichförmig. Die an Berlin angrenzenden Landkreise in Brandenburg verzeichneten seit 2010 deutlich mehr Zu- als Fortzüge. Die wirtschaftliche Entwicklung der Hauptstadt strahlt also bereits auf die umliegenden Regionen aus.
Für Regionen, die besonders vom Strukturwandel betroffen sind und nicht in Reichweite einer Wirtschaftsmetropole wie Belrin liegen, sieht die Situation komplett anders aus. Insbesondere die Lausitz gilt als Beispiel einer abgehängten ländlichen Region. Aktuelle Bevölkerungsprognosen sagen dem brandenburgischen Landkreis Oberspreewald-Lausitz den Verlust von fast 20.000 Einwohnern bis zum Jahr 2030 voraus.
Abwanderung hat schwerwiegende Folgen
Für Regionen, die besonders stark vom Strukturwandel betroffen sind und nicht in Reichweite einer Wirtschaftsmetropole wie Berlin liegen, sieht die Situation komplett anders aus. Insbesondere die Lausitz gilt als Beispiel einer abgehängten ländlichen Region. Aktuelle Bevölkerungsprognosen sagen dem brandenburgischen Landkreis Oberspreewald-Lausitz den Verlust von fast 20.000 Einwohnern bis zum Jahr 2030 voraus.
Solche Abwanderungsprozesse können regional schwerwiegende Folgen haben. Mit der Bevölkerung gehen nämlich auch Kauf- und Arbeitskraft sowie wichtige Steuereinnahmen verloren. In der Folge müssen Läden und Betriebe schließen und auch grundlegende Leistungen der Daseinsvorsorge sind immer schwieriger aufrechtzuerhalten. Das führt zu einem Attraktivitätsverlust und vertreibt damit noch mehr Menschen aus der Region – ein Teufelskreis wird mit der Abwanderung in Gang gesetzt.
Von einer deutschlandweiten Landflucht kann aber nicht die Rede sein: Eine repräsentative Umfrage aus dem vergangenen Jahr zeigt, dass das Leben in der Großstadt nur für 21 Prozent der Befragten die erste Wahl ist. 78 Prozent ziehen das Leben in Dörfern oder Kleinstädten vor. Potenzial wäre also vorhanden.
Was muss man tun, damit schrumpfende ländliche Regionen in Ostdeutschland an Attraktivität gewinnen und als Wohnort infrage kommen? Zum Beispiel sollten nicht nur die urbanen Zentren von der Digitalisierung profitieren. Gerade in den ländlichen Regionen kann Technologie zu einer Revitalisierung des Dorflebens beitragen. In einigen Dörfern gibt es bereits erste Apps, mit denen die Dorfbewohner untereinander kommunizieren, Kontakt mit der Verwaltung aufnehmen und Einkäufe bei regionalen Erzeugern tätigen können. Auch das Problem des Ärztemangels kann durch die Digitalisierung entschärft werden, wenn Ärzte etwa mithilfe von Telemedizin effizienter arbeiten und mehr Patienten versorgen können.
Bevor jedoch die Vision des „intelligenten“ Dorfs Wirklichkeit werden kann, muss der Staat für die notwendige Voraussetzung sorgen: schnelles Internet. Doch genau diese Voraussetzung ist nur in den wenigsten ländlichen Regionen Ostdeutschlands erfüllt. Dieses Versäumnis gefährdet nicht nur die Idee des Smart Village, sondern den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland. Mit leistungsfähigen Breitbandverbindungen und einem schnellen mobilen Netz werden kreative Köpfe und Unternehmen angelockt, die den überlaufenen und teuren Metropolen entkommen wollen. Flächendeckendes High-Speed-Internet ist also die Voraussetzung dafür, dass ländliche Räume prosperieren können – gern auch an jeder Milchkanne.
Bürokratische Hürden abbauen
Nicht alle Probleme des ländlichen Raums freilich haben mit mangelnder Digitalisierung zu tun. Das Leben auf dem Land ist seit jeher stark von bürgerschaftlichem Engagement geprägt. Die dörfliche Gemeinschaft lebt davon, dass Menschen mit eigenen Ideen zum Allgemeinwohl beitragen. Doch diese Menschen brauchen eines nicht: überbordende Bürokratie. Es kann nicht sein, dass die Organisatoren ehrenamtlich betriebener Bürgerbusse und Dorfläden, die in einigen Dörfern die Mobilitäts- und Nahversorgung ergänzen, sich mit bürokratischen Hürden auseinandersetzen müssen. Zahlreiche Vorhaben und Ideen sind daran bereits gescheitert.
Auch andere Faktoren können sich negativ auf das bürgerschaftliche Engagement auswirken. Insbesondere in Ostdeutschland sind durch großflächige Gemeinde- und Kreisgebietsreformen riesige Verwaltungseinheiten entstanden, mit denen sich die Menschen nicht mehr identifizieren können. Eine Studie des ifo-Instituts Dresden, die von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Auftrag gegeben wurde, zeigt, dass sich solche Gebietszusammenschlüsse äußerst negativ auf die Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement auswirken und populistisches Wahlverhalten begünstigen. Besser wäre es, auf freiwillige punktuelle Kooperationen zwischen Kommunen zu setzen.
Nur die wenigsten ländlichen Regionen in Ostdeutschland haben das Glück, von der positiven wirtschaftlichen Entwicklung der Hauptstadt zu profitieren. Damit die restlichen ländlichen Regionen Ostdeutschlands attraktiv bleiben oder werden, braucht es wichtige Weichenstellungen durch die Politik: schnelles Internet, ein umfassendes Konzept zur Digitalisierung sowie Bürokratieabbau zur Stärkung des ehrenamtlichen Engagements in Kommunen.
Ziel der Politik muss es dabei sein, die Lage nicht nur anhand von objektiven Kriterien zu verbessern, sondern auch Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich die Menschen vor Ort wohlfühlen. Hierzu kann der Abbau unnötiger Regelungen sowie der Verzicht auf weitere Kreisgebietsreformen einen wichtigen Beitrag leisten. Dann wird es auch gelingen, den Teufelskreis aus Abwanderung und Attraktivitätsverlust zu brechen.
Dirk Assmann ist Referent für Innovationsräume und Urbanisierung im Liberalen Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Er hat im Bereich der Regional- und Stadtökonomik promoviert und beschäftigt sich im Rahmen seiner aktuellen Tätigkeit mit der wirtschaftlichen Entwicklung von urbanen und ländlichen Räumen.