RE:START21
Südkorea: Wo Digitalisierung an erster Stelle steht
Es gab Zeiten während der Coronakrise, in denen man als Auslandsdeutscher in Südkorea fast verrückt wurde, wenn man deutsche Radionachrichten hörte: Viele Gesundheitsämter übermitteln die neuesten Fallzahlen noch per Faxgerät – und am Wochenende nicht einmal das. Der Geruch von Thermopapier fiel einem wieder ein, auf dem die Schrift verbleichte, wenn es zu lang in der Sonne lag. Die Coronakrise ist für die Deutschen auch eine technologische Rückreise in die Tiefen des 20. Jahrhunderts.
Im Zweifel kann diese Entdeckung der Langsamkeit Leben kosten, denn das thermopapiergestützte Update bei Zahlen und Verbreitungswegen verschwendet wertvolle Zeit, die in der Krise ein ohnehin knappes Gut ist. Das Faxgerät im Gesundheitsamt zeigt, wie weit der Weg noch ist, um wenigstens die heutigen digitalen Möglichleiten auszuschöpfen.
Durchstarten mitten in der Krise: Der Digitale New Deal in Südkorea
In einem Hochtechnologieland wie Südkorea gab es nie einen Zweifel daran, dass nur allerbeste Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) zum Einsatz kommen kann. Das Land hat als erstes die 5G-Technologie eingeführt und Abwägungen, ob das flächendeckend nötig sei oder die eine oder andere Milchkanne auch unerreicht bleiben könne, gibt es hier nicht. In der Coronakrise wurde offenbar, wie wichtig verzögerungslose Informationsübermittlung ist. Die Grundlage für ein Leben nach Corona wird jetzt gelegt.
Bereits im Juli 2020, als ein Ende der Pandemie noch in weiter Ferne zu liegen schien, verkündete die südkoreanische Regierung den „Korean New Deal – Nationale Strategie für die große Transformation“. Der Deal ist mit einem Fünfjahresbudget in Höhe von ca. 52 Milliarden Euro ausgestattet. Er ruht auf zwei Hauptpfeilern, die grün und digital sind. Das Land lege damit, so Präsident Moon Jae-in bei der Vorstellung der neuen Strategie, „das Fundament für Koreas nächste 100 Jahre“. Ein Fundament für eine digitalbasierte Ökonomie, die Wachstum und Innovation in einer neuen Qualität vorantreibt und dabei sogar noch eine knappe Million Arbeitsplätze schaffen soll – in einem Land mit ca. 51 Millionen Einwohnern.
Inklusion des ganzen Landes
Schon jetzt zahlt es sich für Südkorea aus, dass das Land die 5G-Technologie so schnell eingeführt hat, wird sie doch als Schlüssel für die Verarbeitung von Big Data, für den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) und für den gesamten Zugang zur globalen Wertschöpfungskette betrachtet. Auch wenn die Privatwirtschaft bei der Umsetzung der neuen digitalen Entwicklungsstrategie die wichtigste Rolle spielen soll, sieht sich der Staat in der Bereitstellung von Mitteln zur Schaffung der notwendigen Infrastruktur in der Pflicht. Allein für die Unterstützung der industriellen Konvergenz zwischen 5G und KI sind umgerechnet über 440 Millionen Euro vorgesehen. Damit hebt die Regierung die bereits 2019 verabschiedete Strategie zu Entwicklung und Einsatz Künstlicher Intelligenz auf eine neue Stufe.
Das ganze Land soll bis in den letzten Winkel mit schnellem Internet versorgt sein, um das ehrgeizige Ziel ohne infrastrukturelle Hindernisse verfolgen zu können: Bis 2030 will Südkorea weltweit über die drittstärkste digitale Wirtschaft verfügen und die Wettbewerbslücke zu den USA weitestgehend geschlossen haben. Dabei hat die Regierung in Seoul nicht nur Schlüsselindustrien wie die Halbleiterindustrie im Blick. Gleichzeitig sollen auch wissenschaftlich fundierte Grundlagen geschaffen werden, weshalb erhebliche Mittel in die Forschung fließen.
Corona überwinden, Zukunft schaffen
Während fast auf der ganzen Welt hauptsächlich über Stimulanzien nachgedacht und über die Höhe von Hilfspaketen in der Krise gestritten wird, geht Südkorea einen Schritt weiter. Nicht die aktuell notleidenden Firmen und deren Überleben in der Covid-19-Rezession stehen im Zentrum, sondern vielmehr die langfristige Perspektive. Die Vision ist der Umbau der bestehenden „Fast Follower“ zu einer „First Mover“-Wirtschaft. Die DNA des Landes wird dabei neu gelesen und konfiguriert. „DNA“ soll fortan für „Data, Network und Artificial Intelligence“ stehen. Diese DNA definiert die Wirtschaft der Zukunft.
Natürlich hat die Pandemie auch in Südkorea der Wirtschaft fundamentalen Schaden zugefügt. Ebenso hat sich das Verhalten der Menschen grundlegend verändert, in ihrer Arbeit, ihrer Freizeit, ihren Konsumgewohnheiten und ihren sozialen Beziehungen. Viele Jobs sind unwiderruflich verloren gegangen, was viele Menschen in Not treibt. Der New Deal versucht, den wirtschaftlichen Schock möglichst klein zu halten. So hart es ist, bestimmte unumkehrbare Tatsachen anzuerkennen, so wichtig ist es, neue Perspektiven zu schaffen. Damit sollten trügerische Hoffnungen auf eine Rückkehr zu früheren Umständen nicht weiter angefüttert werden und der Blick hoffnungsvoll in die Zukunft gelenkt werden.
Wichtig ist es, beim Ziel der Schaffung neuer Jobs nicht nur auf die Qualifikationsanforderungen der Zukunft zu blicken, sondern auch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Zahl niedrigqualifizierter Stellen weiter sinken wird. Die Herausforderungen bestehen also in besonderem Maße auch bei der Aus- und Weiterbildung. Daher soll das südkoreanische Programm nicht nur grün und digital sein, sondern auch ein Gefühl der Sicherheit schaffen. So ist es auch Teil des Programms, das Sozialsystem an die zukünftigen Gegebenheiten anzupassen. Es wird weit weniger erfolgreich sein, wenn größere Teile der Gesellschaft es in einem Grundgefühl der Verunsicherung oder gar der Existenzangst leben.
Chancen und Kooperationen weltweit
Dieser New Deal des 21. Jahrhunderts kann angesichts seiner Inhalte und Ziele nur das Gegenteil von selbstbezogen sein. Die Zusammenarbeit mit anderen Ländern, wie beispielsweise Deutschland, wird ein wichtiger Erfolgsfaktor sein. Beide Länder stehen vor ähnlichen Herausforderungen, haben aber teilweise unterschiedliche Stärken, die sie zum gegenseitigen Nutzen kombinieren können. Der Re:Start21 könnte kann hier ganz konkret Kraft und Wirkung entfalten und auch der Globalisierung verlorengegangenen Schwung zurückgeben.
Dr. Christian Taaks ist Projektleiter Korea der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Er lebt in Seoul