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Jubiläum
Vorkämpferin für Gleichberechtigung und Bildungschancen

Zum 150. Geburtstag von Gertrud Bäumer
Gertrud Bäumer

Gruppenfoto der DDP-Frauen 1919/20, v.l.n.r. Gertrud Bäumer, Elisabeth Brönner-Höpfner, Marie Baum, Katharina Kloß, Elise Ekke

© ADL, Audiovisuelles Sammlungsgut, FN1-14

1932 warnte Gertrud Bäumer in der von Friedrich Naumann gegründeten Zeitschrift Die Hilfe vor der Stimmungsmache der Nationalsozialisten: Deren „politischer Sieg“ wäre „der deutsche Zusammenbruch“. Weitsichtig erkannte sie: „Gefährlicher als diese Stimmungen selbst ist die Tatsache, dass auch von denen, die sie nicht teilen, ihre ganze Gefährlichkeit nicht gesehen wird.“ Die Warnungen blieben vergebens, wie wir wissen. Nach der Machtübertragung an Hitler wurde Bäumer wenige Monate später, im April 1933, wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ aus dem Staatsdienst entlassen. Auch ihre journalistische Tätigkeit wurde eingeschränkt. Damit war eine der bedeutendsten Vertreterinnen der deutschen Frauenbewegung und des Liberalismus politisch kaltgestellt.

Aufstieg durch Bildung

Die vor 150 Jahren, am 12. September 1873, geborene Gertrud Bäumer prägte nicht nur viele Jahrzehnte die Frauenbewegung, sondern gehörte auch über die gesamte Weimarer Demokratie zur Führungsspitze der Linksliberalen. Als sie in den ersten Jahrzehnten des Kaiserreichs in Hohenlimburg aufwuchs, deutete dabei wenig auf eine solche politische Karriere. Die Pfarrerstochter musste sich überhaupt erst mühsam höhere Schulbildung und eine berufliche Perspektive als Lehrerin erkämpfen. Hartnäckig erwarb sie – noch vor der offiziellen Zulassung von Frauen an den preußischen Universitäten – die Voraussetzungen für ein Universitätsstudium, das sie breit anlegte und 1904 als eine der ersten mit einem Doktor in Germanistik abschloss.

Aufstieg durch Bildung – das galt für sie selbst, bestimmte aber auch wesentlich ihr lebenslanges politisches und pädagogisches Engagement. 1896 hatte sie über den Allgemeinen deutschen Lehrerinnenverein die 25 Jahre ältere Pionierin der bürgerlichen Frauenbewegung Helene Lange kennengelernt – der Beginn einer mehr als drei Jahrzehnte währenden Arbeits- und Lebensgemeinschaft. Mochte Lange anfangs als Mentorin für Bäumers politische Sensibilisierung und ihren Aufstieg in der Frauenbewegung gewirkt haben, kehrte sich dies allmählich um: Nach dem krankheitsbedingten Rückzug Langes aus ihren Ämtern übernahm Bäumer gleichsam deren Führungsrolle in der Frauenbewegung, leitete von 1910 bis 1919 den Dachverband Bund Deutscher Frauenvereine und blieb anschließend bis 1933 dessen zweite Vorsitzende.

Einsatz für die Frauenrechte

Dabei blieb es jedoch nicht; vielmehr bewältigte Bäumer eine Vielzahl von Aufgaben, wurde geradezu zur „Multitaskerin“. Sie wurde zur Mitherausgeberin der Zeitschrift der Frauenbewegung („Die Frau“) sowie der „Hilfe“, gestaltete mit Helene Lange das zentrale Kompendium „Handbuch der Frauenbewegung“, trat in die Führungsgremien der neuen Frauenverbände und nach 1908 auch in den Vorstand der Freisinnigen Vereinigung, also in die unmittelbare Politik ein. Während des Ersten Weltkriegs schließlich leitete sie in Hamburg die Soziale Frauenschule und das Sozialpädagogische Institut. Vor allem aber machte sie sich einen Namen mit der Organisation des Nationalen Frauendienstes, eines Meilensteins auf dem Weg zur beruflichen Gleichberechtigung der Frauen.

Folgerichtig erhielt sie die damals höchste Position einer Frau im Staatsdienst und wurde 1920 Ministerialrätin im Reichsministerium des Innern, zuständig für Schulwesen und Jugendwohlfahrt, was sie bis zu ihrer Entlassung 1933 blieb. Zugleich unterrichtete sie an der von Friedrich Naumann inspirierten Hochschule für Politik. Vom Beginn der Weimarer Republik datiert auch ihr unermüdliches Engagement zugunsten der Demokratie. Gemeinsam mit der fast gleichaltrigen Marie-Elisabeth Lüders bildete sie ein Jahrzehnt lang die weibliche Führungsspitze innerhalb der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), zu deren Mitgründern sie gehörte. Gewählt wurde sie sowohl in die Nationalversammlung 1919 als auch bis 1932 in den Reichstag. Nach dem Beitritt Deutschlands entsandte man sie als Delegierte zum Völkerbund in die Kommission für soziale und humanitäre Fragen. Ihr zentrales Thema in der deutschen Politik war die Ausgestaltung und faktische Umsetzung des Verfassungsgebots der Gleichberechtigung, die sie aus einer differenzfeministischen Position begriff. Ebenso engagierte sie sich – selbst im Vorstand des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus – gegen die Zunahme antisemitischer Hetze.

Widerstand gegen die Nationalsozialisten

Den Niedergang des politischen Liberalismus am Ende der 1920er Jahre konnte sie nicht aufhalten. Anders als Marie-Elisabeth Lüders hatte Bäumer für die Fusion der DDP mit dem Jungdeutschen Orden zur Deutschen Staatspartei plädiert. Sie erhoffte sich wohl eine Verjüngung der Partei und neue Dynamik. Dies war eine gravierende Fehleinschätzung – gerade weil Gertrud Bäumer die Gefahren des antidemokratischen Agierens schon frühzeitig erkannt hatte: Im November des Krisenjahrs 1923 etwa warnte sie in der „Hilfe“ vor dem „skrupellosen Kampf um die Macht von solchen Leuten, denen das Reich nur so weit etwas wert ist, als sie darin herrschen. Und das brave und leichtgläubige Bürgertum läuft ihnen nach und macht mit dem Tribut seiner Leiden, enttäuschten Hoffnungen und guten vaterländischen Gefühlen aus einem Staatsstreich der alten ‚Gesellschaft‘ eine Volksbewegung.“

Nach dem Machtantritt Hitlers und der beginnenden Gleichschaltung waren die letzten Lebensjahre Gertrud Bäumers von Problemen und Schwierigkeiten überschattet. Aus ihren politischen und beruflichen Positionen verdrängt, versuchte sie zunächst in publizistischen Nischen einen Kurs zwischen innenpolitischer Gegnerschaft zu den neuen Machthabern und außenpolitischer Unterstützung für diese zu verfolgen. 1937 wurde sie jedoch aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, in die sie eingetreten war, um weiter schreiben zu können, und erhielt wenige Jahre später auch ein Vortragsverbot. Zugleich konnte sie noch bis 1944 die Zeitschrift „Die Frau“ herausgeben, allerdings mit erheblichen Zugeständnissen in der politischen Ausrichtung – was nach dem Ende der NS-Zeit innerhalb der Frauenbewegung zu Kritik an Bäumer führte.  

Nach 1945 hatte es Gertrud Bäumer nach Bamberg verschlagen, wo sie zwar nun nicht mehr die Liberalen, sondern CSU und CDU unterstützte, sich aber politisch nicht mehr stärker engagierte. Im März 1954 starb die Vorkämpferin der Frauenrechte und eines sozialen Liberalismus in den Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel, einem Ort, an dem bereits ihr Urgroßvater als Pfarrer gewirkt hatte. Bis heute tragen zahlreiche Bildungseinrichtungen ihren Namen – zurecht angesichts ihrer Verdienste um die liberale Demokratie, die Gleichberechtigung und Bildungsförderung.