Zeitenwende in Malaysia
Nach dem sensationellen Wahlsieg der Opposition in Malaysia sind Freude und Erwartungen hoch: „Unsere Nation ist wiedergeboren“ oder „Eine malaysische Renaissance“ titeln Kommentatoren.
Malaysia, früher britische Kolonie, war 1957 mit einer demokratischen Verfassung unabhängig geworden. Doch seitdem regierte ununterbrochen eine Koalition, die Demokratie und Bürgerrechte immer mehr einschränkte. Sie hielt sich durch ein unfaires Wahlsystem an der Macht. Bis zu dieser Woche. Unfaires Wahlsystem hin oder her: Am Mittwoch wählten so unfassbar viele Wähler die Opposition, dass alle Tricks nicht mehr zogen und die Regierung fiel. Die Koalition des abgewählten Premiers Najib Razak verlor 40% ihrer Parlamentssitze. Das Oppositionsbündnis steigerte die Anzahl ihrer Mandate um 80% und hat nun eine Mehrheit von 10 Sitzen im nationalen Parlament. 12 gleichzeitige Landtagswahlen brachten ähnliche Erdrutsche: die Regierung gewann nur in drei von 13 Bundesländern.
Am Donnerstagabend wurde der Spitzenkandidat der Oppositions-Koalition, Dr. Mahathir Mohamad, von Malaysias König als neuer Premierminister vereidigt. Wahlverlierer Najib hatte noch am Donnerstagmorgen, nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses durch die Wahlkommission, an einer Regierungsmehrheit der Opposition gezweifelt. Seine Pressekonferenz erinnerte an den legendären Auftritt von Bundeskanzler Gerhard Schröder in der Elefantenrunde nach der Bundestagswahl von 2005. Erst nachdem Malaysias König am Abend Dr. Mahathir als neuen Premier vereidigt hatte, gratulierte Najib seinem Nachfolger und sagte eine reibungslose Übergabe zu. Unklar ist, ob Najib, gegen den es massive Korruptionsvorwürfe gibt, mit einer Strafverfolgung zu rechnen hat.
Dr. Mahathir hatte Malaysia bereits von 1981 bis 2003 regiert. Einerseits war er Vater eines beachtlichen, wirtschaftlichen Aufstiegs - andererseits war Mahathir verantwortlich für den Verfall der Demokratie. Viele sprechen nun von einer zweiten Chance: für Mahathir und für Malaysia.
Die Erwartungen an die neue Regierungskoalition „Pakatan Harapan“ sind hoch: „Wir erwarten, dass Harapan die Versprechen des Wahlprogramms erfüllt“, schreibt ein Kommentator, “wir wollen ein Ende der Korruption. Wir wollen eine freie Presse. Wir wollen Meinungsfreiheit ohne repressive Gesetze, die uns verstummen lassen.” Versprochen ist unter anderem, dass Dr. Mahathir nur zwei Jahre lang im Amt bleibt und es dann an den langjährigen Oppositionsführer Anwar Ibrahim abgibt.
Anwar Ibrahim - Chef der PKR-Partei, einem engen Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit – ist derzeit noch als politischer Häftling im Gefängnis. Er soll spätestens Anfang Juni entlassen werden, hat dann aber eigentlich noch eine fünfjährige Politiksperre abzuwarten. Die Sperre könnte mit einer Begnadigung durch den König aufgehoben werden. „Wir werden an der Begnadigung arbeiten. Danach kann Anwar sich frei politisch betätigen“, sagte Mahathir nach dem Wahlsieg. Laut Mahathir hat der König bereits Bereitschaft signalisiert. Um als Premier in Frage zu kommen, muss Anwar allerdings noch ein Mandat als Senator oder als Parlamentarier gewinnen. Denkbar ist ein Rücktritt eines Parteikollegen als Parlamentarier. Das würde eine Nachwahl in seinem Wahlkreis nach sich ziehen, zu der Anwar antreten könnte. Die neue Regierungskoalition „Pakatan Harapan“ will am Wochenende zunächst die zehn wichtigsten Kabinettsposten besetzen und am Montag die Arbeit aufnehmen.
Moritz Kleine-Brockhoff ist Projektleiter Malaysia der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.