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Welthandelsorganisation
Zwischen Jubiläum und Existenzkrise – die WTO als Schauplatz der Geopolitik

Das Logo der Welthandelsorganisation (WTO) ist am Eingang des WTO-Sitzes in Genf, Schweiz, zu sehen,

Das Logo der Welthandelsorganisation (WTO) ist am Eingang des WTO-Sitzes in Genf, Schweiz, zu sehen.

© picture alliance / Photoshot | -

Das Marrakesch-Abkommen („Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation“) wird am 15. April 30 Jahre alt und damit auch die Welthandelsorganisation (WTO). Mit dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen und seinen flankierenden Verträgen wurde die WTO im Streben nach einer Welt ohne Grenzen für Waren und Dienstleistungen gegründet. Doch sind die Festlichkeiten anlässlich des anstehenden Jahrestages am 15. April gerechtfertigt oder wird die Organisation im globalen Systemwettbewerb zerrieben?

Die WTO ist für den globalen Handel unverzichtbar. Heute finden rund 75% des weltweiten Warenhandels unter WTO-Zöllen statt. Trotz Stilllegung der Berufungsinstanz aufgrund politischer Konflikte werden viele Handelskonflikte auf diplomatischer Ebene gelöst. Der jüngste Beitritt der Komoren und Timor-Leste bringt die Organisation nun auf 166 Mitglieder, trotz dessen liegt das Vertrauen in die WTO auf einem historischen Tiefstand.

Der WTO fällt es schwer auf neue Herausforderungen zu reagieren. Bis auf kleinere sektorale Erfolge, wie dem ersten Übereinkommen zur Bekämpfung von Fischereisubventionen, gab es seit den Neunzigern kaum eine Weiterentwicklung des WTO-Regelwerks. Selbst die Möglichkeit, Abkommen auch ohne die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten zu verhandeln, wird kaum genutzt. Immer mehr Staaten, darunter Indien und Südafrika, stellen sich zudem gegen den Vorstoß ohne Einstimmigkeit Beschlüsse in der WTO zu fassen. Der globale Süden tritt nun nicht mehr als eine Stimme auf, sondern einzelne Staaten drücken ihre Agenda in die Organisation. Damit gefährden sie die Relevanz der WTO in einer multipolaren Welt und ihre Fähigkeit, auf die wachsenden Herausforderungen zu reagieren.

WTO als wichtigste Anlaufstelle für Wissenschaft, Forschung und Politik

Wie der gestern veröffentlichte Global Economic Outlook symbolisiert, spielt die Organisation jedoch weiterhin zentrale Rolle bei der Aufbereitung von wirtschaftlichen Daten und ist damit eine der wichtigsten Anlaufstellen für Wissenschaft, Forschung und Politik. Der Bericht zeigt eine weitestgehende Erholung der Weltwirtschaft auf. Dabei scheint Europa mit einem prognostizierten Exportwachstum von bloß 1,7 Prozent in 2024 Schlusslicht aller Regionen zu sein, während der afrikanische Kontinent mit 5,3% die Liste anführt. Die zunehmenden Schwierigkeiten entlang Lieferketten und Logistik, wie die Houthi-Blockade im Roten Meer, sind weiterhin große Belastungen der globalen Handelslage. Ein Hoffnungsschimmer bleiben die digitalen Dienstleistungen, welche in den vergangenen Jahren ein Wachstum von durchwegs rund 9 Prozent aufweisen können und machen mit 4,25 Trillionen Dollar nun knapp 14 Prozent der weltweiten Exporte stehen.

Gerade in diesem Bereich, der die Hälfte der globalen Dienstleistungen ausmacht, hat die WTO den Anschluss verloren. So kann die Organisation nur eine Handvoll Erfolge verzeichnen. Das Abkommen über Informationstechnologie (ITA) beispielsweise ermöglicht seit 1996 den zollfreien Verkehr für viele technologische Güter, von Medizintechnik bis zu Mikrochips. Doch seitdem herrscht nicht nur Stillstand. Zwischen den USA und China kommt es immer weiter zu wirtschaftlichen Grabenkämpfen. Gerade in Bezug auf Mikrochips, E-Autos oder Subventionen werden die globalen Regeln gebrochen, anstatt sie auszubauen. Wo Kooperation gewünscht ist, wird aber auf Möglichkeiten außerhalb der WTO zurückgegriffen. So verhandelt die EU bereits separate digitale Handelsabkommen mit Südkorea und Singapur. Ein Abkommen mit Japan zu grenzüberschreitendem Datenflüssen trägt zur weiteren Harmonisierung der Digitalpolitik beitragen.

Die transatlantische Zusammenarbeit und der EU-US Trade and Technology Council (TTC)

Nachdem ein Freihandelsabkommen mit den USA in weite Ferne gedriftete ist, tagte letzte Woche der EU-US Trade and Technology Council (TTC) fast unbemerkt in der belgischen Stadt Leuven zum sechsten Mal. Der TTC konnte in der Vergangenheit bereits einige Erfolge verzeichnen und bleibt ein letztes hoffnungsvolles Zeichen transatlantischer Wirtschaftskooperation. Er wurde für die Koordination der Sanktionen gegen Russland genutzt und diente auch der Abstimmung von Kandidaten für Spitzenpositionen in internationalen Organisationen, wie der Internationale Fernmeldeunion ITU. Auch als Forum für eine bessere Zusammenarbeit in Standardisierungsfragen, unter anderem im Bereich der Künstlichen Intelligenz, wurde der TTC zuletzt ins Spiel gebracht.

Da der Ausschuss nicht durch ein Handelsabkommen institutionalisiert ist, hängt seine Existenz jedoch vom politischen Willen der transatlantischen Regierungen ab. Er könnte damit, insbesondere in diesem Jahr, populistischen Bewegungen und einem möglichen Wahlsieg des ausgesprochen transatlantik-skeptischen Ex-Präsidenten Donald Trump zum Opfer fallen. Verdeutlicht wurde diese Fragilität bei einem anschließenden Rundtisch mit Mitgliedern der EU-Kommission und der US-Regierung, bei dem beide Seiten an die Zivilgesellschaft und den Privatsektor appellierten, das Forum trotz potentiell widriger Umstände aufrechtzuerhalten.

Die Zukunft der WTO

Auch 30 Jahre nach ihrer Gründung bleibt die WTO das Fundament und eine Stütze des globalen Handels. Mit einheitlichen Regelungen und als Forum für Streitbeilegung fördert sie den grenzüberschreitenden Verkehr von Waren und Dienstleistungen. Gleichzeitig schafft sie es nicht eine Brücke über die großen globalen Spaltungen zu bauen und die Themen der Zukunft anzusprechen. Einen Festakt gibt es deshalb wohl nur unter einem mahnenden Stern.