Baltische Staaten
„Die Ära der russischen Energiemanipulationen ist vorbei“

Ein Bildschirm in der Nähe des Energiemuseums und der Mindaugas-Brücke weist darauf hin, dass sich die baltischen Staaten am 8. Februar in Vilnius, Litauen, vom russischen Stromnetz abkoppeln werden, um sich mit Kontinentaleuropa zu synchronisieren.
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Mindaugas KulbisAm 8. Februar 2025 werden die baltischen Staaten einen historischen Schritt in Richtung vollständige Energieunabhängigkeit setzen. An diesem Tag werden sie sich vom BRELL- Energie-Ring aus der Sowjet-Ära trennen, der die Energiesysteme von Belarus, Russland, Estland, Lettland und Litauen miteinander verband. Dieses Datum markiert die letzte Phase des Synchronisierungsprozesses mit den kontinentaleuropäischen Netzen (CEN), mit dem die baltischen Stromnetze in das europäische Netzsystem integriert werden.
Der Synchronisierungsprozess mit Europa ist mehr als nur ein technisches Projekt; er ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer umfassenderen europäischen Integration. Die EU hat ihre volle Solidarität deutlich demonstriert, um sicherzustellen, dass die Stromnetze der baltischen Staaten nicht unter dem Einfluss Russlands bleiben, und hat den gesamten Prozess sowohl koordinierend als auch finanziell unterstützt. Dieses Projekt ist ein integraler Bestandteil des EU-Plans für den Verbund der baltischen Energiemärkte (BEMIP). Das Gesamtbudget für das Synchronisierungsprojekt belief sich auf 1,6 Milliarden Euro, wovon 1,2 Milliarden Euro von der EU finanziert wurden, was die starke Unterstützung der EU für die Energieunabhängigkeit der baltischen Staaten verdeutlicht.
Seit Jahrzehnten streben die baltischen Staaten nach einer Befreiung von den Fesseln des BRELL-Netzes, einem Relikt aus der Sowjetunion. Seit Litauen, gefolgt von Lettland und Estland, den Import von Strom, Gas und Öl aus Russland eingestellt hat, blieb die Stromverbindung das letzte Glied im russisch kontrollierten System und verhinderte die vollständige Kontrolle über die Energieinfrastruktur der Region.
Zum Anlass dieses historischen Moments enthüllte Litauen neben dem litauischen Energiemuseum Ende letzten Jahres eine symbolische Uhr, die die Zeit bis zur Energieunabhängigkeit der baltischen Staaten herunterzählt.
„Die Ära der russischen Energiemanipulationen ist vorbei“
Als Estland, Lettland und Litauen im Jahr 2004 der Europäischen Union und der NATO beitraten, blieb eine entscheidende Frage ungelöst: das Erbe der sowjetischen Energieinfrastruktur. Trotz ihrer Integration in die europäischen politischen und sicherheitspolitischen Strukturen blieben die baltischen Staaten im Energiesektor stark von Russland abhängig. Fast ein Jahrzehnt lang nach ihrem EU-Beitritt blieben die baltischen Staaten aufgrund ihrer energetischen Isolation vom übrigen Europa als isolierte Energieinseln weiterhin bedroht.
Das BRELL-System, das während der Sowjet-Ära ausgebaut wurde, verband die Stromnetze von Belarus, Russland, Litauen, Lettland und Estland. Das 1998 unterzeichnete BRELL-Abkommen sorgte dafür, dass die Energiesysteme der baltischen Staaten mit dem postsowjetischen IPS/UPS-Stromsystem synchronisiert wurden, das von einer zentralen Leitstelle in Moskau koordiniert wurde. Die Abhängigkeit von diesem System stellte daher für die baltischen Staaten eine erhebliche politische und wirtschaftliche Gefährdung dar.
Mit seiner dominanten Rolle im Energiesektor versucht Russland seit vielen Jahren, Demokratisierungsprozesse zu untergraben und die Länder an der Erlangung ihrer Unabhängigkeit zu hindern. Wie Romas Švedas, ehemaliger stellvertretender Energieminister Litauens, erklärt, wurde das Energiesystem Litauens nach der Schließung des Kernkraftwerks Ignalina, nur wenige Kilometer vom Dreiländereck zu Lettland und Belarus entfernt, zu 70-80 % von russischen Lieferungen abhängig. Diese Abhängigkeit machte das Land anfällig für potenzielle politische oder wirtschaftliche Druckmittel Russlands. In Zeiten von Spannungen könnte Russland die Energieversorgung leicht unterbrechen, sei es durch die Einstellung von Öllieferungen oder die Unterbrechung des Gasflusses.
So wurde beispielsweise 2006 die Ölversorgung über die Druschba-Pipeline unterbrochen, als Litauen seine Raffinerie Mažeikiai an Polen und nicht an Russland verkaufte. Die Gaspreise für Litauen waren höher als die für Westeuropa, da es keinen alternativen Lieferanten gab, bis das Flüssigerdgas (LNG)-Terminal in Klaipėda 2014 in Betrieb genommen wurde.
Daher bemühen sich die baltischen Staaten seit langem um Energieunabhängigkeit, und die Abtrennung vom BRELL-Netz ist der letzte Schritt auf diesem Weg. Die Systeme Litauens, Lettlands und Estlands sollen am 8. Februar 2025 vom russischen IPS/UPS-System abgekoppelt werden, und der erste gemeinsame Test für den unabhängigen Betrieb wird beginnen; der Anschluss an den europäischen Synchronbereich ist für den 9. Februar geplant.
Die Entscheidung, sich von BRELL zu trennen, ist ein bedeutendes geopolitisches und wirtschaftliches Moment, das das Ende des russischen Einflusses auf die baltische Energieversorgung markiert. Wie der litauische Außenminister Kęstutis Budrys bei seinem Arbeitsbesuch in Lettland Anfang Januar erklärte, „war Litauen das erste europäische Land, das russisches Öl und Gas vollständig ablehnte. Die Synchronisierung mit den kontinentaleuropäischen Stromnetzen ist eine große Errungenschaft für alle baltischen Staaten und ein Schritt zu einer besseren Energieresilienz. Gemeinsam sind wir ein Beispiel für die Energieunabhängigkeit von Russland für Europa. Die Ära der russischen Energiemanipulationen ist vorbei.“
Russische Desinformation und Provokationen: „Wir müssen vorbereitet sein“
Angesichts des näher rückenden Synchronisierungstermins warnen Beamte und Experten der baltischen Staaten vor Russlands Desinformationskampagnen und möglichen Sabotageakten. Litauen hat den Schutz seiner wichtigsten Energieanlagen verstärkt, die nun vom öffentlichen Sicherheitsdienst und nicht mehr von privaten Unternehmen bewacht werden. Außerdem beginnen NATO-Schiffe mit einer Patrouillenmission in der Ostsee, um Schiffe zu überwachen, die Strom- und Kommunikationskabel beschädigen könnten.
Zu Beginn dieses Jahres erklärte der estnische Ministerpräsident Kristen Michal von der liberalen Reformpartei, dass Estland auf eine Vielzahl von Situationen im Zusammenhang mit Russlands Handlungen während der Abkopplung vom russischen Stromnetz vorbereitet sein müsse, und stellte fest, dass Russland seine „relativ groben Angriffe“ und Versuche, demokratische Staaten zu destabilisieren, voraussichtlich fortsetzen werde.
Laut einer vom Inlandsgeheimdienst Litauens veröffentlichten Mitteilung wird Russland höchstwahrscheinlich aktive Maßnahmen ergreifen, um die Entscheidung der baltischen Staaten, sich vom BRELL-Ring zu trennen, zu diskreditieren, und versuchen, die öffentliche Meinung in Bezug auf die Stabilität und Energiesicherheit des Energiesektors der baltischen Staaten zu beeinflussen. Der Inlandsgeheimdienst warnt auch davor, dass in naher Zukunft mit Cyberangriffen auf Unternehmen des Energiesektors zu rechnen ist, und auch die Möglichkeit kinetischer Aktionen gegen kritische Infrastrukturen kann nicht ausgeschlossen werden. Auch das Risiko von Unfällen mit Schäden an der Unterwasser-Infrastruktur hat zugenommen.
Nach Angaben des Nationalen Zentrums für Krisenmanagement in Litauen wird das Thema der Abkopplung der baltischen Staaten vom BRELL-Netz seit 2018 aktiv in den russischen Medien aufgegriffen. In den letzten Monaten haben sich die Desinformationsversuche jedoch intensiviert. Die russische Propaganda versucht, Panik zu verbreiten, indem sie behauptet, dass die Abkopplung zu weitreichenden Stromausfällen oder Systemausfällen führen wird.
Die Behörden haben die am meisten verbreiteten Mythen zurückgewiesen und der Bevölkerung versichert, dass alle technischen Vorbereitungen für die Synchronisierung abgeschlossen sind und dass der Prozess reibungslos verlaufen soll.
Bis zu 1 EUR/Monat: „Der Preis, der es wert ist, für Unabhängigkeit und Sicherheit zu zahlen“
Berechnungen, die in allen drei baltischen Staaten durchgeführt wurden, zeigen, dass das Synchronisierungsprojekt keine spürbaren Auswirkungen auf die Gesamtkosten der Stromdienstleistungen haben wird. Das ist darauf zurückzuführen, dass die wichtigsten Preistreiber in den baltischen Staaten die inländische Erzeugung, die Brennstoffpreise, die Wetterbedingungen und die Verfügbarkeit der Netzinfrastruktur sind. Berechnungen zufolge würde sich der Strompreis für litauische Verbraucher um durchschnittlich 50 Cent pro Monat erhöhen (bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 140 kWh), für estnische Verbraucher um 60 Cent und für lettische Verbraucher um etwa 1 Euro. Die estnische Klimaministerin Yoko Alender unterstrich diesen geringen Preisunterschied: „Das ist der Preis, der es wert ist, für Unabhängigkeit und Sicherheit zu zahlen.“
Die Abkopplung vom BRELL-Netz und die erfolgreiche Integration in den europäischen Energiemarkt sind nicht nur eine technische Großleistung, sondern auch ein symbolischer Sieg über den russischen Einfluss. Auf dem Weg zu einer größeren Energieautonomie dienen die baltischen Staaten als Beispiel dafür, wie politische, wirtschaftliche und technische Anstrengungen historische Abhängigkeiten und politische Probleme überwinden können. Die Ära der Energiemanipulation durch Russland ist vorbei, und die baltischen Staaten sind nun fest in die europäische Energielandschaft integriert.